erscheinen in einiger Entfernung am Abhang die Cisternen von
Utica. Aber unsere Kutscher fahren immer weiter dem Fluss
entlang und es bedarf einer sehr energischen Interpellation, um
sie zum Abbiegen nach den Höhen zu bewegen.
Querfeldein fahrend gelangen wir an eine halbrunde Vertiefung
mit flachem Boden, eingefasst mit noch erhaltenen Mauerresten;
Daux sieht in ihr das alte Theater, mir schien es eher
wie ein Hafenbecken. Auf etwas bedenklichem Weg, ersteigen
wir die Höhe und halten vor dem schmucklosen weissen Landhause,
dessen Verwalter uns, nachdem er das Schreiben seines
Herrn gelesen, mit einer tiefen Verbeugung willkommen heisst
und in ein grosses Zimmer führt, das mit einigen Divans möblirt
ist. Hier ist die gewöhnliche Station aller Reisenden, welche die
- Reste von Utica eines Besuches würdigen; auf einem grössen
Plakate sind die Namen der Forscher aufgezeichnet, die hier Gastfreundschaft
genossen, es ist eine ganz stattliche Reihe. Daneben
hängt noch eine zweite Tafel mit schematischen Abbildungen aller
Formen von Thongefässen, welche man in den Ruinen gefunden
hat. Unmittelbar neben dem Landhaus liegt das elende Dörfchen
Bou Scha t e r oder wie die Franzosen schreiben, Bou Chateur,
eingenistet zwischen die Cisternen, welche den Bauern als Viehställe
dienen und dazu mit Thüren und Dächern über den Luftlöchern
versehen worden sind. Noch sieht man die Trümmer der
Wasserleitung, welche die Quellen des etwa 10 km entfernten
Dschebel Keschba t a der Römerstadt zuführte*). Die Einwohner
bringen alte Münzen und dgl. zum Verkauf und geben
sie gerne für ein paar Karruben; einer hat auch ein paar geschnittene
Steine, aber er hält auf einen festen Preis dafür und
verräth dadurch, dass die Steine, die verdächtig gut erhalten aus-
sehen, ihm von einem unternehmenden Tunisier in Kommission
gegeben sind; auch hier beginnt die Industrie der gefälschten
Antiken schon sich einzunisten.
Wenige Schritte weiter bezeichnet eine trichterförmige Vertiefung
die Stätte des römischen Amphitheaters; bis auf geringe
Reste sind die Sitzstufen verschwunden. Gewöhnlich liest man,
es liege in einem erweiterten Ravin, doch habe ich das nicht
*) Davis glaubt, die Stadt habe ihr Wasser aus dem oberen See von
Biserta bezogen, doch ist das falsch; das Wasser dieses Sees soll auch schlecht
sein und Fieber erzeugen.
bemerken können. Nur . ein schmaler Rand trennt es von dem
steilen Abhang, der nach der Ebene hinunterführt, welche einst
die Unterstadt trug. Unten' sieht man noch deutlich den alt-
phönicischen Kriegshafen, ein mächtiges viereckiges Becken mit
abgerundeten Ecken und einer Insel in der Mitte, welche das
Arsenal trug. Die Zerstörung ist nicht ganz so fürchterlich, wie
in Karthago, da keine grössere Stadt in der Nähe sich erhob;
nur Porto Farina bezog seine Bausteine von hier. So haben sich
auf der Insel noch gewaltige Reste erhalten, und auch sonst
ist noch Mauerwerk genug zu erkennen. Gründliche Nachgrabungen
würden wahrscheinlich reich belohnt werden. 'Ein
ziemlich langer Kanal führte einst in das offene Meer hinaus,
heute ist er ein sumpfiger Thalgrund, und kaum erkennt man
an seinem Ausgang noch den seitlich sich anschliessenden langen,
schmalen Handelshafen.
Die Gegend hat sich gründlich geändert, seit vor über dreitausend
Jahren nach der gewöhnlichen Annahme um 1230
v. Chr. — die Phönicier hier ihre erste bedeutende Niederlassung
auf dem Wege nach dem Westen anlegten. Damals sprang der
Hügel als Vorgebirge kühn ins Meer vor und ein Graben auf
der Landseite genügte, die hier aufgespeicherten Schätze gegen
die begehrlichen Barbaren zu schützen. Der Ba g r a d a s , die
heutige Medjerda, mündete nur 12 Meilen von Karthago entfernt;
der gegenüberliegende Höhenzug, auf dem Sci pi o Af r i c a n u s
sein Lager aufschlug und der deshalb Ca s t r a Co r n e l i a genannt
wurde, lag nördlich von der Einmündung, und so scheint
es unter der Römerherrschaft geblieben zu sein. Seitdem hat
der Fluss seinen Lauf vollständig verändert; er hat die Landbrücke
zwischen Castra Cornelia und Utica durchbrochen und in
dem ehemaligen Busen von Utica ein Delta aufgeschüttet, das
nach und nach den ganzen Raum zwischen K ap Kama r t und
dem Promo n to r ium Apol l ini s bis auf ein paar Lagunen in
Festland verwandelt hat. Theoba l d Fi s ch e r hat diese Veränderung
einer Hebung des Landes zugeschrieben, die er mit der
Hebung Westsiciliens in Verbindung bringt und der er auch die
Versandung des Eingangs zum Hafen von Biserta zuschreibt.
Par t s ch*) hat das bereits richtig gestellt und ich kann mich
*) Cfr. Petermanns Mittheilungen 1883. VI. p. .201—211.