konnte im schlimmsten Falle den Verbrecher, wenn er ein Einheimischer
war, mit Verbannung, den Fremden sogar mit dem
Tode strafen. Dann trat die ganze Gemeinde zusammen und
jedes Glied der Djemäa musste seinen Stein werfen, damit* jede
Möglichkeit der Blutrache ausgeschlossen sei. Für den Gemeindegenossen
gab es keine Todesstrafe, aber man stiess ihn nackt und
blos ins Elend und riss sein Haus nieder, wie die Korsen, die in
so -vielen Punkten den Berbern gleichen, heute noch dem thun,
der den beschworenen Frieden hinterlistig bricht. Die Franzosen
haben der Djemaa das Recht über Beben und Tod genommen,
ihr sonst aber ihre Befugnisse gelassen, sehr vernünftiger Weise,
denn das öffentliche Verfahren in der Djemäa, und der Umstand,
dass der Verklagte stets eine Stütze an seinem Qof findet, bürgen
dafür, dass kein allzuschweres Unrecht geschieht.
Neben der Gerichtsbarkeit der Djemäa besteht aber noch die ,
der Kharrouba; das Geschlecht richtet seihe Angelegenheiten
unter sich, Niemand kann ihm darein reden, und es ist oft härter
und unerbittlicher, als die Djemäa. Ein Mädchen, das sich vergangen,
verfällt fast stets dem Tod durch seine nächsten Verwandten,
ebenso der Verführer, wenn er nicht rechtzeitig flüchtet;
die Franzosen mögen das. noch .so hart als Mord strafen, das
Urtheil des Geschlechtes findet jederzeit seinen Vollstrecker.
Ebensogut die heiligste Pflicht des Kabvlen, die Blutrache. Wie
die Vendetta des Korsen, so ist die T h ame g u e r e t (arabisch
Re b k a ) des Kabylen unerbittlich, unabwendbar. Nur eine unabsichtliche
Tödtung kann durch die Zahlung eines Wergeides
(D i a) abgekauft werden, sonst muss wieder Blut fliessen; ist der
Mörder entkommen,' so trägt sein ganzes Geschlecht die Blutschuld,
und so spinnen sich auch hier Familienfehden durch Generationen
fort, wenn es nicht die Gemeinde einmal für angezeigt hält, Frieden
fliesst, und verweist den Geschädigten auf das Recht der 'Wiedervergeltung,
was nicht ausschliesst, dass er für diese dieselbe Strafe zahlen muss, wie
der, der ihn verletzte. In den Oaspn dagegen findet man den Gebrauch der
Zahlung von Wergeid. Ein Mörder zahlt 100 Duros und wird auf ein Jahr ,
verbannt. Bei Wunden, die mit einem schneidenden Instrument beigebracht
sind, hat man im T u a t nach Daumas denselben Gebrauch, wie im
deutschen Alterthum: ein Mitglied der Djemäa misst mit einem eigenen
Maassstab, der K i a s -e d-D e m, Blutmaass, genannt wird', die Wunde
und' für jeden Grad des Maassstabes muss der Thäter zwei Duros (10 Frs.)
zahlen.
zu stiften.*) Das französische Gesetz hat sich hier bis jetzt völlig
machtlos erwiesen. Rachsüchtig ist der Kabyle überhaupt im
höchsten Grade und eine empfangene Beleidigung trägt er lange
n a c h ; jeder Kolonist weiss, dass er einen Araber prügeln darl
unbeschadet der Freundschaft, dass aber der Kabyle einen empfangenen
Schlag unfehlbar rächt.
Wie schon oben gesagt, ist für den Kabylen das Dorf seine
Welt, was jenseits der Gemarkungsgrenze liegt, ist schon fremd,
und er hütet eifersüchtig seinen Grundbesitz. Kein Fremder kann
in der Dorfflur Eigenthum erwerben, auch nicht ererben, denn
die kabylische Frau hat kein Erbrecht, daran haben die Kabylen
im schroffsten Widerspruch zu den Vorschriften des Koran festgehalten,
damit ja der Gemeinde nichts von ihrem Grundbesitz
entfremdet werden kann. Doch hat hier und da das gemeinsame
Interesse eine Milderung der strengen Vorschriften bewirkt und
Nachbardörfer bewilligen sich oft gegenseitig Vorrechte , oder sie
schliessen sich enger zusammen und bilden einen Arch (von den
Franzosen meist Tribu, Stamm, genannt), dessen gemeinschaftliche
Angelegenheiten von einer Delegation der beiderseitigen Gemeinden
o-eleitet wird. Die meisten Tribus haben sich auch noch einmal
■ einer sogenannten T h a k e b i l t (Konföderation bei den
Franzosen) vereinigt, welche wesentlich die Vertheidigung in Kriegsfällen
zum Zweck hatte. Arch und Thakebilt sind aber ebenso
demokratisch, wie das einzelne Thaddar t (Dorf) und wählen
sich ihren Amin, dessen Befugnisse genau begrenzt sind. Die Thakebilt
sind dauernde Einrichtungen; was man Stämme zu nennen pflegt,
sind eben diese Konförderationeh; manche von ihnen, und zwar
besonders die des Dschurdschura, bestanden unter ganz denselben
Namen schon im Alterthum. Dieselbe Einrichtung findet sich
auch bei den ScheLuh und Amazirgh, aber sie heissen dort In f
i t h. Die Franzosen haben leider den Versuch gemacht, diesen
*) Bei den meisten Stämmen zieht jede Tödtung, auch wenfi sie an
einem Dieb oder zur Vertheidigung des eigenen Lehens oder der Anaia
begangen wurde, nicht nur Blutrache, sonderh auch eine Strafe seitens der
Gemeindebehörde nach sich. Selbst der Mann, der seine untreue brau
tödtet, verfällt ihr, obschon er ausser der allgemeinen Verachtung auch
ein§ schwere Geldstrafe zu erwarten hat, wenn er es nicht thut. Hur
wenige Stämme haben versucht, diesen Widerspruch zu lösen; sie verbannen
in einem solchen Falle den Mörder, aber sie lassen ihm zehn Jahre
Zeit, um seine Angelegenheiten zu ordnen.