wo zu Fuss gekämpft werden musste, sind sie dagegen nie des
Kabylen Herr geworden. Nur ein paar Kantinen längs der im
Bau begriffenen Bahn sind europäisch, aber es wird schon anders
werden, wenn einmal die Lokomotive durch den fruchtbaren Grund
pfeift, und wenn sich kein legaler Verwand findet, den Ouled Isser
einen Th eil ihres Erbes abzüriehmen, so wird schon ein regenloser
Winter kommen, der sie zwingen wird, freiwillig ihre Ländereien
zu verkaufen, um Mensch und Vieh vor dem Hungertod zu
schützen. Den Arabern im kulturfdhigen Teil ist das Urtheil
unwiderruflich gesprochen.
Nach einer guten Stunde verliessen wir das hier in einem
spitzen Knie umbiegende Isserthal und fuhren auf bald steiler
abfallender Strasse ein kleines Seitenthal hinauf, in welchem die
Strasse schnell anfing sich zu winden und Serpentinen zu beschreiben.
Mit dem Gebirge kamen die Dörfer und wurden immer
häufiger, in jedem Thalwinkel sahen wir Steinhäuschen, von Oel-
bäumen und Feigen beschattet, wir waren im Kabylenland. Auch
die Eingeborenen trugen nicht die heilige' Kameelhaarschnur, sondern
ein wejsses Tuch mit hinten herabfallendem Zipfel, oder auch
' das einfache kabylische Lederkäppchen. Sie begegneten uns
übrigens selten genug, denn der Kabyle weiss die Zeit besser zu
schätzen, als der Aiaber und läuft nur dann draussen herum, wenn
er wirklich etwas zu thun hat. Auch dem Vieh konnte man es
ansehen, dass wir nicht mehr im Araberlande waren, denn es war
nicht mehr das brandrothe oder schwarze kleine Bedumenviph
sondern ein schöner weissgrauer Schlag mit langen spitzen Hörnern.
Endlich war die Höhe, circa 600 m nach meinem Anero’id,
erreicht und nun ragte dicht vor uns der Ad r a r Boud fel
empor in seiner ganzen Majestät, durch keinen Vorberg mehr geschieden,
hier an der Südseite nur in den Schluchten noch grössere
Schneestreifen zeigend. Zu seinen Füssen dehnte sich die Hochebene
bis zu dem fern im Süden sich erhebenden Ds che bei
Di ra bei Aumale; näher liegt auf der nur wenig abfallenden
Fläche ein funkelneues weisses Städtchen, so sauber und niedlich,
als habe man es eben erst aus der Schachtel gepackt und dahingestellt.
Es scheint ganz nahe, aber hier im unmittelbaren Angesicht
des Hochgebirgs, täuscht man sich gewaltig über die Entfernung
und wir brauchen trotz des scharfen Trabs noch eine
gute Stunde, bis wir Bo r ds ch Bo u i r a erreichen.
Hier ist abermals Wagenwechsel; warum, muss die Compagnie
Bonnifay wissen, wir sind jedenfalls nicht unzufrieden damit,
denn wir haben Zeit zu einem guten Abendessen und können den
halb von Wolken umhüllten Berg in der wunderbaren Beleuchtung
des Sonnenunterganges betrachten. Dann fing es aber wieder
sachte an zu regnen, was es, wie uns der Wirth in dem recht
guten Hotel sagte, seit etwa sechs Monaten täglich gethan. Die
Bergmasse kühlt die von Süden kommenden warmen Luftströme
ab und verdichtet ihre Feuchtigkeit, so dass hier nur bei Nordwind
auf beständiges Wetter zu rechnen ist. Andauernde Nordwinde
im Frühjahr bedingen hier im Windschatten des Dschurdschura
dauernde Trockenheit und Missernten und das ist eine Gefahr für
die-Kolonisten auf der sonst fruchtbaren und . zum Weinbau On e--
eigneten Hochebene, denn die vom Berg herabrieselnden Bäche
werden durch eine flache Eiusenkung aufgefangen und können
nicht ohne grosse Kunstbauten zur Bewässerung verwandt werden.
Die Türken bairten hier an dem wichtigen Uebergang vom-
Issergebiet ins Sahelthal schon bald nach der Eroberung ein
Fort, das ursprünglich dicht am Dschurdschura lag; die Beni Abbas
aber, denen die Zwingburg in ihrem Gebiete sehr unbequem war,
zerstörten es zweimal und schlugen poch im ersten Jahrzehnt
unseres Jahrhunderts eine von Omar Pascha abgesandte Armee
vernichtend, so dass man sich entschliessen musste, die Befestigung
weiter vom Berg weg ins Gebiet der Hamsa zu verlegen. ‘
Bei beginnender Dämmerung ging es dann die einzige lange *
Strasse hinunter zum Oued Sahel , oder,,wie er hier oben noch
heisst Oued Eddous , dessen Lauf wir von nun an bis zu seiner
Mündung bei Bougie folgen wollten. Dieser Fluss, dessen
Quellen am Dira bei Aumale liegen, ist schon ziemlich wasserreich,
da ihm auch viel Schmelzwasser vom Hochgebirge zufliesst, aber
ein eigentliches Thal hat er sich doch nicht gebildet-, sondern
nur eine flache, aber steilrandige Einsenkung in der Hochebene,
durch welche er sich mit häufig wechselndem Bett hinwindet. Die
Dunkelheit verhinderte uns, die Gegend genauer zu betrachten ;
sie scheint noch ganz in den Händen der Eingeborenen; nur einmal
hielten wir an einer hochummauerten festungsartigen Karawanserei;
dann ging es wieder weiter über die Hochebene, anscheinend
immer auf ganz flachem Grunde, fort. Gegen elf Uhr
hielt der Wagen, der Kondukteur öflhete den Schlag und mel