als Europäer nur unter der Gerichtsbarkeit ihrer Konsuln, und
Angehörige von Nationen, die in Tunis keinen Konsul hatten,
waren überhaupt unfassbar. So benutzte in den siebziger Jahren
eine Bande edler Hellenen die Vakanz,- die im griechischen Konsulat
eingetreten war, und terrorisirte die ganze Gegend, so dass
Niemand mehr ohne Revolver ging. Die Herren zeigten sich ganz
ungenirt in Goletta, denn die tunisische Polizei durfte nicht wagen
sie anzurühren. Die Sache wurde endlich so arg, dass Griechenland
auf diplomatischem Wege veranlasst wurde, wieder einen
Konsul zu ernennen, und das bloseErscheiüen dieses Beamten genügte,
um die Bande, die sich inzwischen schon unter einander th eil weise
aufgerieben hatte, zum Verduften nach besseren Gegenden zu veranlassen.
Aber auch die vorhandenen Konsuln drückten häufig
lieber beide ,Augen zu, als dass sie eine langwierige und nichts
einbringende Kriminaluntersuchung einleiteten, und so ist es kein
Wunder, dass die Moral mancher schon länger hier wohnender
Europäer eine etwas laxe ist und man, 'wenn man sich nach Jemand
erkundigt, manchmal die Antwort erhielt, er ist »nach hiesigen
Begriffen« ein ehrlicher Mann. Das Einrücken der Franzosen hat
die Zustände im Anfang nicht gebessert, denn es kamen mit ihnen
eine Masse Glücksritter, die in Algerien abge wir th schäftet hatten
und es nun hier noch einmal versuchen wollten. Die meisten von
diesen sind aber seitdem schon wieder enttäuscht- weiter “g ezoOgen
und seit die Konsulargerichtsbarkeit aufgehoben worden ist und
am 1. Juni vorigen Jahres die französischen Gerichtshöfe an deren
Stelle getreten sind, nähern' sich die tunisischen Zustände mit
raschem Schritte denen in Algerien und Europa.
Einundzwanzigstes Kapitel.
N a c h P o rto P a rm a .
Es war uns rasch klar geworden, dass la Goletta doch nicht
der geeignete Ausgangspunkt für die Exkursionen sei, die wir im
nördlichen Tunis machen wollten; wir Hessen uns darum von
einem unsrer neuen Bekannten ein Zimmer in einer Pension in
Tunis bestellen und siedelten am 16. Juni dorthin über. Die
direkte Bahnlinie — man kann auch den Umweg über la Marsa
einschlagen — führt immer dem Ufer des Binnensees, der B a h i r a,
entlang über flaches Gelände, das zum Theil bei Hochwassern, wie
sie nach anhaltendem Nordwind eintreten, überschwemmt wird.
Aus den sehr bequemen offenen Wagen, die an beiden Seiten breite
Galerien haben, hat man eine reizende Aussicht über die blaue
Fläche des Sees und die gegenüberliegenden Berge, deren Abhänge
noch der Bebauer harren. Die Staffage bilden die F lamingos,
deren Treiben man, da sie durchaus nicht scheu sind, vom Zug
aus nach Herzenslust beobachten kann. Zu Hunderten, oft sogar,
zu Tausenden, stehen die stelzbeinigen Vögel im seichten Wasser
bis weit hinaus und fischen mit den wunderbarsten Verdrehungen
des Halses ihre Nahrung aus dem Schlamm. Sie halten sich hier
das ganze Jahr hindurch, doch ist ihre Anzahl im Winter viel
geringer und die arabischen Jäger behaupten ganz bestimmt, dass
die meisten beim Beginn der rauhen Jahreszeit nach Egypten
flögen und erst im Frühjahr zurückkehrten. Es hat das auch
gar nichts Unwahrscheinliches, da der Flamingo im Sommer ja
vielfach bis über das Mittelmeer hinübergeht. Die Wintergäste
halten sich aber vorzugsweise in der Sebcha e s -Se ld jo um
auf, einem Salzsee auf der anderen Seite der Hügelkette, welche
Tunis trägt; dort haben sie Schutz vor den furchtbaren Nordstürmen
und kommen nur bei gutem Wetter auf ein paar Stunden in die
Bahira herüber, die ihnen reichlichere Nahrung bietet. Ans Land
kommen sie nur äusserst selten, sie schlafen sogar im Wasser.
Ob sie jemals hier nisten, ist zweifelhaft. Der deutsche Maler
Fuchs, welcher seit Jahren Tunisien durchstreift und längere Zeit
den Flamingo gewerbsmässig gejagt hat, sagte mir, dass er nur
einmal zwei Eier gefunden habe, die am Berliner Museum als
Flamingoeier bestimmt worden seien; sie hätten in einem grossen
aus weichem Seetang bereiteten, flachen Nest im Sand gelegen*).
Dunenjunge sind ihm nie vorgekommen, unausgefärbte, aber
schon völlig flügge Exemplare sind dagegen recht häufig und
| *) Das stimmt schleckt mit der Angabe vieler zoologischer Werke,
dass der Flamingo sich ein hohes kegelförmiges Nest haue und rittlings
auf demselben sitzend brüte. Aber ist ein solches Brüten jemals wirklich
beobachtet wordeh? Der Raum, welcher an dem dürren Körper des Flamingo
zwischen den Beinen bleibt, ist so klein, dass der Nestkegel oben ganz spitz
zulaufen müsste, und keinen Platz für die ziemlich grossen Eier bieten
könnte. Lord L i 1 f o r d hat sich die grösste Mühe gegeben, aus dem Mündungsgebiet
des Guadalquivir, wo der Flamingo in manchen Jahren in ziemlicher
Anzahl brütet, ein solches Nest zu erhalten, doch wollte kein Jäger jemals
ein solches gesehen haben.