Bône kamen, hatte man mit dem Schneiden des Getreides noch
nicht begonnen und die armen Kabylen lungerten noch ohne Arbeit
umher. Wir benutzten die Gelegenheit, um die Leute einmal
scharf anzusehen und fanden zu unserem Erstaunen, dass der
grössere Theil blonde oder röthliche Haare hatte, dass also die
blonden Kabylen durchaus- nicht auf die Aurès beschränkt sind.
»Ce sont vôtres f rères«, sa'gte mir lachend ein Franzose unserer
Bekanntschaft ; die Ansicht, dass die blonden Kabylen vandalischer
Abstammung sind, ist in Algerien sehr verbreitet; ob sie berechtigt,
mag das folgende Kapitel lehren.
Einen eigenthümlichen Gegensatz zu dem Rest der Gegend
von Bougie bildet die Ebene, welche sich zwischen der Stadt und
der Mündung des Sahel erstreckt. Es ist ein flaches Sandland,
von den Mündungsarmen verschiedener kleiner Bäche durchflossen,
die am Küstenrande durch Sandbarren gestaut sind und kleine
sumpfige Teiche bilden. Der Strand ist wie gemacht zum Baden
und würde in Europa Bougie zu einem Seebad ersten Ranges erheben,
aber in Algerien besteht dafür noch kein Bedürfniss und
die grossen bunten Aasgeier hacken ungestört an den Thierkadavern
herum, die man hier hinwirft. Ein Theil den Fläche ist
mit stacheligen Binsen bewachsen, dann folgen an den Flussufern
Terebinthen und Oleander, welche wir hier am 28'. April zum
ersten Mal blühend fänden. Es wimmelte an ihnen von der schönen,
freilich am ganzen Mittelmeer gemeinen Helix p i s a n a, welche
sich um die angebliche Giftigkeit des Oleander wenig zu kümmern
scheint. Die Kolonisten sind von dieser aber fest überzeugt; sie
schreiben sogar die Entstehung der Malaria dem vergiftenden Einfluss
des Oleanders zu und in Konstantine erzählte man uns, dass
man Schnecken aus Gegenden, in welchen viele Büsche wüchsen,
ebenfalls für ungesund halte und es verboten sei, solche zu Markt
zu bringen. *) Einzelne Kolonisten sind sogar soweit gegangen,
die völlige Ausrottung der Laurier-rose von Staatswegen zu verlangen.
Vielleicht wäre das nur, eine Wiederausrottung, denn so
ungereimt auch auf den ersten Blick die Ansicht H e h n ’s**) er*)
Die giftige Wirkung des Oleanderblattes auf kleinere Thiere steht
ausser Zweifel und war schon Plinius und Dioskorides bekannt; in Unteritalien
heisst der Oleander darum Amma z zo l ’asino, Eselstödter. —
**) Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Uebergang aus Asien nach
Griechenland und Italien. Dritte Auflage, p. 358.
scheint, dass diese überall verbreitete Pflanze am westlichen Mittelmeer
nicht einheimisch sei, so bin ich doch durchaus nicht abgeneigt,
ihm beizustimmen. Ganz abgesehen von seinen kaum zu
widerlegenden literarisch-linguistischen Gründen ist für mich der
Umstand massgebend, dass am ganzen westlichen Mittelmeer der
Oleander so gut wie nie von Schmarotzerinsekten angegriffen
wird, immer ein Zeichen, dass die' betreffende Pflanze von anders,
woher eingeführt 1 ist, denn in ihrer eigentlichen Heimath hat doch
jede Pflanze, ob giftig oder nicht giftig, mindestens einen Gast
aus dem Thierreich, zu ernähren. In Algerien scheint j sich aber
nicht einmal der Oleanderschwärmer (Sphinx Nern), der sich
doch in warmen Jahren mitunter bis zu uns verfliegt und sich für
'eine Generation*) fortpflanzt, zu finden. Der Oleander hat zwar
einen eigenen kabylischen Namen, Ilili, doch kann dies bei
einer so eigenthümlichen Pflanze nicht auffallend erscheinen; der
arabische Name D e f l e oderDi f n a ist dagegen offenbar aus
dem griechischen Da p h n e verstümmelt. Dem Kabylen war
früher, ehe er das Chinin der französischen Aerzte kennen lernte,
die Oleanderblüthe, mit der Centaurea (Kelilu) gemischt, ein
Hauptmittel gegen das Wechselfieber.
Elftes Kapitel.
Die K abylen des D sch u rd sch u ra .
Als die Franzosen den Widerstand der Araber gebrochen
hatten, als Abd el Kader in ihre Hand gefallen war, da merkten
sie zu ihrem Erstaunen, dass sie noch lange nicht Herren in ganz
Algerien waren und dass in den Bergen ein Volk sass, das, in
Sprache und Sitte himmelweit von den Arabern verschieden,
weder diesen noch den Türken jemals eigentlich unterthan gewesen
war und auch offenbar nicht daran dachte, sich 'den neuen Landesherren
gutwillig zu unterwerfen. Vorher hatten sie nur die vereinzelten
kabylischen Arbeiter in den Städten gekannt, und sie für
eine besonders arme und schmutzige Sorte von Arabern gehalten,
und auch jetzt erkannten sie noch lange nicht, dass zwischen
*) Die Eier der bei uns -gezüchteten Oleanderschwärmer bleiben, soviel
ich weiss, wie die des Todtenkopfes, immer unfruchtbar.