Durch eine Schlucht kletterten wir wieder in die Ebene
hinunter, leider ohne an den Felsen auch nur die geringste Ausbeute
zu machen; gerade hier, wo man sich Westsicilien am
nächsten befindet,' trat der schroffe Unterschied in der beiderseitigen
Schneckenfauna am schärfsten hervor. Das macht die
Hypothese von einem ehemaligen Landzusammenhang sehr unsicher;
hat jemals eine Verbindung bestanden, so muss sie nicht Folge
einer Hebung gewesen sein, sondern die Form eines Tiefthals,
vielleicht von einem schmalen Meeresarm durchschnitten, gehabt
haben, so dass eine Vermischung der beiderseitigen Schneckenfaunen
ausgeschlossen blieb. Merkwürdig wäre aber auch dann
noch die,nahezu vollständige Verschiedenheit in der Säugethierfauna*).
Der Abstieg war übrigens nicht gerade leicht, obschön
er kaum 100 Meter betragen mochte; stellenweise konnte man
ihn an dem steilen mit scharfkanntigem Geröll bedeckten Abhang
über einer Felsenwand hin geradezu gefährlich nennen. Wir
kamen aber glücklich hinunter und suchten uns quer durch die
Gärten den Weg zum Dar el Bey. ,
Aber in der Küche sah es noch-öde und traurig aus. Wir
hatten keinen Am’r-Bey, also auch keinen Anspruch auf officieüp
Verpflegung. Am Abend vorher hatte ein Eingeborener, den der
Chalifa (Ortsvorsteher) zur Bedienung des französischen Officiers
gesandt, gekocht und wir hatten ihn behalten wollen, aber es
stellte sich bald heraus, dass As eile und Frau Dr. Kunitz sich,
mit Heine zu reden, viel zu gut kannten. Der Biedermann hatte
vor einigen Monaten in Tunis als Koch in ihren Diensten ge-
standen, sie tüchtig bestohlen und war dann in ein Asyl nach
*) Die Verschiedenheit der Säugethierfaunen wird zwar meist in Abrede
gestellt; F o r s y t h Ma jor behauptet (Tyrrhenis) ausdrücklich, dass fast
sammtliche Säugethiere Korsikas auch in Nordafrika vorkämen, doch ist
as ein Irrthum. Seihst die anscheinend gemeinsamen Arten, Fuchs, Wildschwein,
Hase, Kaninchen, Igel, Iltis etc. gehören bei genauerer Betrach-
ung verschiedenen Lokalrassen an, die man ganz gut als Arten betrachten
kann; Schakal und Hyäne fehlen, wenn sie jemals in Sicilien vorkamen, doch
seit Urzeiten, der Wolf ist nie nach Nordafrika hinübergekommen. Am
schärfsten ist der Unterschied in den kleinen Nagethieren; die für Europa
charakteristische Gattung Arvicola, die noch in Sicilien eine eigene Art hat
ehlt m Nordafrika so vollständig, wie die Meriones, Dipus und andere
typisch nordafrikanischen Springmäuse in Sicilien. Es würde mich übrigens
zu weit führen, wollte ich hier auf diese hochinteressante Frage genauer
emgehen.
Bizerta geflüchtet; die Rechnung war noch nicht ausgeglichen
und das genirte den guten Aselle denn doch, obschon seine frühere
Herrin unter diesen Umständen gerne bereit gewesen wäre,
ein Auge zuzudrücken. Er hatte es übrigens auch nicht nöthig,
denn die Regierung hatte ihm in Anbetracht seiner bewiesenen
Qualifikation die Aufsicht über eines der leerstehenden Forts übertragen.
So mussten schliesslich unsere Damen selbst zugreifen,
eine ziemlich schwere Aufgabe beim vollständigen Mangel alles
Küchenmaterials, trotz der Hülfe des getreuen Signore Mosca.
Auch der Wein war schon alle und was dort aus der Grescenz
eines Bruders des Herrn Mosca zu haben war, konnte nicht einmal
Anspruch darauf machen, wie Wein auszusehen und schmeckte
genau wje Essig, Da gab es etwas lange Gesichter und eine
einigermassen gedrückte Stimmung; doch war die Umgebung so
reizend und so reich an malerischen Motiven, dass das nicht lange ,
vorhielt und als es gelang, eine gewandte Malteserin zu
engagiren, die uns aller Sorge überhob, war die gute Laune bald
wiedergewonnen.
Nachmittags besuchten wir das sogenannte Laz z a r e t t o , das
Quarantänegehäude für Tunis, das man kluger Weise an einer
Stelle angelegt hat, wohin kein Schiff gelangen kann und wo die
Verproviantirung einer einigermassen grösseren Menschenzahl
absolut unmöglich ist. Wir waren nicht wenig erstaunt, in dem
alten Tuniser Fort alles sauber und tadellos erhalten, selbst die Gärten
gut gepflegt und mit Blumenbeeten geschmückt zu sehen, ein
wahres Wpnder in Tunis, zumal an einem von der Kontrole so
weit entfernten Punkte. Die Komplimente, welche ich Herrn
Mosca, dem Aufseher* darüber machte, waren wirklich aufrichtig
gemeint. Das Lazzaretto liegt wunderbar idyllisch in ausgedehnten
Baumpflanzungen am Meer und wir waren einstimmig der Ansicht,
dass man hier schon einmal ganz gut. ein paar Wochen träumen
und arbeiten könne; Frau Dr. Kunitz fasste sogar den ganz bestimmten
Plan, hier den Sommer zuzubringen, wozu von dem
befreundeten Quarantänedirektor die Erlaubniss leicht zu erhalten
gewesen wäre. Wir ahnten damals nicht, dass wenige Tage später
durch alle derartigen Pläne ein Strich gemacht werden sollte.
Am anderen Tage gingen wir dem Strande entlang nach dem
Kap Farina oder, wie es gewöhnlich genannt wird, dem R a s Sidi
-Ali el Mekki , dem Ur omo n t o r i um Ap o l l i n i s der Alten.