Ganz anders, wie beim Araber ist auch die Stellung der
rau. Freilich kaum besser und theoretisch sogar schlechter
enn die Frau hat kein Erbrecht, sie wird von ihrem nächsten
erwandten ohne gefragt zu werden an einen beliebigen Mann
verkauft, sie kann von diesem jederzeit weggejagt werden, und
sie muss so schwer arbeiten wie je eine Araberin. Faktisch stellt
sich ihre Stellung aber doch günstiger. Mit dem Wegjagen ist
es zunächst nicht *so arg, denn eine Frau kostet I 4—500 Frs
und die sind verloren, wenn sich nicht ein anderer Liebhaber
fandet, der dann freilich vor dem Heirathen dem früheren Ehemanne
das Geld zurückzahlen muss. Gegen Misshandlungen kann
die Frau den Schutz ihres Geschlechtes anrufen, sie kann sich
sogar gegen ihren Mann empören und sein Haus verlassen. Arbeiten
muss sie allerdings schwer, aber sie ist darin nicht wie
die Araberm, nur das Lastthier des Mannes, sondern seine Gefährtin,
und der Mann arbeitet so schwer wie die Frau. Dagegen
hat sie aber auch sehr gewichtige Freiheiten. Sie geht zunächst
ohne Schleier, sie kann auf dem Markt und im Dorfe verkehren
wie sie will; sie hat im Hause selbst eine gewichtige Stimme und
Kabylen, die regelrecht unter dem Pantoffel stehen, sollen gar
nicht allzu selten sein. Man erinnere sich nur, was der fromme
Sidi Muhamed ben Yussef*) über die Ehemänner in seiner
Heimath Milianah sagte. Wo ich Berberfamilien draussen gesehen
habe, machre die Frau durchaus nicht den Eindruck einer Sklavin.
Geht der Mann auf längere Zeit auswärts, so führt die Frau
selbständig das Hauswesen, und bleibt er längere Jahre aus
ohne ihr Unterstützung zu schicken, so kann sie bei der Djemaa
verlangen, dass er für todt erklärt wird und sie ihre volle Freiheit
wieder erhält.**) Seit der Berührung mit den Franzosen
scheint sich die Stellung der Kabylenfrau entschieden zu bessern.
Grundlage ruhend, wie in der grossen Kabylie, haben sich unter den ganz
anderen Bedmgungen auch anders entwickelt und geben Anlass zu sehr in-
teressanten Vergleichungen.
*) Cfr. p. 66.
**) Die Kabylen um Fort National haben neuerdings auf Vorschlag
des Admmistrateur Sabatier in feierlicher Sitzung diesen Zeitraum von fünf
auf zwei Jahre herabgesetzt und gleichzeitig beschlossen, dass kein Mädchen
vor zurfickge egtem 14. Lebensjahr ihrem Manne übergeben werden
h M ! f ! 811 1 diesem Gebiet zählten über 800 Schüler und Schülerinnen. im vorigen Jahre
R E I C H E K A B Y L I N
(Copie nach. Gaffarel/l’Algerie)
LitKAnst.v.Werner Winter, Frankfurta/M.