falls braucht der Fremde bei Streifereien in Algerien weder den
Sbäci (das wilde 'Thier, die gewöhnliche Bezeichnung für den
Löwen) noch den Nemr (Panther, kabylisch Arilas) zu fürchten;
die Zeiten sind vorüber, in denen er hoffen konnte, bei Nachtfahrten,
wie wir sie nach Cherchel machten, die Pferde schaudern
und stutzen und dann plötzlich im Galopp durchgehen zu sehen,
weil sie den Löwen wittern.
Unsere Pferde jagten unbekümmert durch die Finsterniss des '
Buschwaldes, aus dem nur hier und da eine einzelne höhere
Strandkiefer emporragte. Der Kutscher brauchte keine Peitsche;
oh, ils marchent bien, sagte er nur manchmal mit zufriedenem
Schmunzeln zu mir. So ging es im scharfen Trab hinauf zur
Wasserscheide und wieder hinunter zum Oued el Hachem, über
eine von hohen Bäumen umstandene Brücke, dann dem Fluss entlang
nach Zür ich. Vom Dorf sahen wir nur eine lange Strasse
und eine prachtvolle Platanenallee, dann ging es wieder hinaus
in die Nacht, die nur von den Blitzen eines fernen Gewitters erhellt
wurde, das auf dem Meere lag und den baldigen Sieg des
Nordwindes über den Scirocco ankündigte. Endlich wurde vor
uns das Licht eines Leuchtthurmes sichtbar, und um neun Uhr
rollte der Wagen durch das Thor von Cherchel
Auch hier war das Hotel besetzt, aber in der Dependance —
soweit ist man schon vorgeschritten — fanden wir noch ein ganz
behagliches Unterkommen und konnten- ruhig anhören, wie der
Regen aufs Dach prasselte und ein Gewitter das andere jagte.
Auch am Morgen stürmte es noch tüchtig und regnete gelinde,
aber der Hauptkampf am Himmel war zu Ende, der Scirocco
zurückgedrängt, die nördliche Strömung Herr geworden. Freilich
pflegt es nach einem solchen Tumult immer ein paar regnerische Tage
zu geben, aber dagegen war nichts zu machen und ich riskirte trotzdem
einenkleinen Spaziergang durch das nahe Thor, durch welches wir
gekommen. Noch innerhalb der Ringmauer ist ein ganz hübscher
öffentlicher Garten, gegenüber am hohen Ufer ein Spielplatz, von
Belläsombras beschattet. Hier stehen die Trümmer eines Tempels
an der Stelle, wo man sie gefunden, schön bearbeitete Marmorsäulen
und Bruchstücke eines Frieses, eine Erinnerung an die
glänzenden Zeiten, die Cherchel erlebte, als Ju ba II. mit der schönen
Kl e o p a t r a Selene, der Tochter des Antonius und der Kleo-
patra, hier Hof hielt und seine Residenzstadt von den ersten
Künstlern Griechenlands schmücken liess. Von hier stammen die
schönsten Skulpturen des Museums in Algier- und noch ist in dem
kleinen offenen Hof des sogenannten Museums in Cherchel genug
vorhanden, was jedem Museum zur Zierde gereichen würde.
Systematische Nachgrabungen, die man bis jetzt niemals angestellt
hat, würden gewiss noch mehr Ergebnisse liefern.
Von der Brustwehr des Tempelplatzes sieht man gerade
hinab auf den kleinen Hafen, den Juba angelegt. Man liest gewöhnlich,
dass er denselben ganz -habe im Festland ausgraben
lassen, das scheint indessen ein Missverständniss, er hat nur die
vorliegende Insel, welche die Franzosen Joinville nennen, durch
einen Damm mit dem Festlande verbunden und so einen kleinen,
aber für. die Bedürfnisse'der Alten genügenden und gegen alle
Winde geschützten Hafen geschaffen. Die Stelle ist in mehr als
einer Hinsicht interessant. Hier ist eine der ältesten Niederlassungen
der Phönicier, die Gründung von J o l reicht weit hinauf
vor die von Utica und fand vermuthlich statt, als der gewaltige
Pharao Thutmes III. über 1600 Jahre vor unsrer Zeitrechnung
eine mit Phöniciern --r denn die Egypter scheuten die Salzfluth,
das Reich des Typhon, und hielten sie für unrein — bemannte
Flotte nach der nordafrikanischen Küste sandte und hier- einen
noch vorhandenen Denkstein errichtete. Seine Nachfolger liessen
die Eroberungen schwinden und die Flotte .verfallen, aber die
klugen Handelsleute vom Fuss des Libanon vergassen den Weg
nicht und behaupteten Jol, bis es nach der Zerstörung von Tyrus
an die Karthager kam. Es war für ihre Flotten eine wichtige
Station auf. dem Weg nach dem fernen Tarschisch, wo sie rasten
und sich neu verproviantiren konnten; ähnlicher Stationen, sogenannte
Metagoniten-Städte, lag noch eine ganze Anzahl an der
nordafrikanischen Küste, immer auf kleinen dem Lande nahen
Inseln oder auf weit vorspringenden Kaps, die durch Wall und
Graben leicht zu vertheidigen waren; so Kollops, Pithekusa, Siga
an der Tafnamündung. Sie waren durch Verträge mit den Herren
des Landes geschützt, Handelsstationen und Verproviantirungs-
plätze zu gleicher Zeit. Aehnliche Stationen hatten die Phönicier
auch an anderen Küsten, auch da wo wir sie später von Griechen
verdrängt finden, und die meisten heutigen Hafenstädte, am Mittelmeer
stehen auf den Stätten phönicischer Faktoreien. .
Das alte Hafenbecken gibt uns aber auch einen wichtigen
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