Einfluss und kem einigermassen wichtiger Beschluss wird ohne
deren Zuziehung gefasst.
Der Amm besorgt gleichzeitig auch die Geschäfte des Gemeinderechners
, darf aber ohne Beschluss der Djemäa nur ganz
unbedeutende Beträge bei den. laufenden Geschäften, Almosen
Fremdenbewirthung u. dergl. verausgaben; für die Moscheengüter
und die Wohlthätigkeitsanstalten wird ein eigener Ouki l gewählt,
dessen Stellung meist sehr einflussreich ist. Ausserdem
hat fast jedes Dorf seinen Imam, der neben seinen religiösen
Berufspflichten als Gemeindeschreiber und Lehrer fungirt, und einen
Gemeindediener, der ganz wie bei uns, wenn auch ohne Schelle,
alle Gemeindeangelegenheiten bekannt zu machen hat.
Der Amin ist ein geplagter Mann. Er hat nicht nur die
Geschäfte zu erledigen, die auch bei uns dem Gemeindevorstand
und Gemeinderechner zukommen, sondern er hat auch die Civil-
standsregister zu führen — und zwar sehr pünktlich, wie wir
später sehen werden —, er hat bei Hochzeiten und Begräbnissen
dafür zu sorgen, dass die alten Sitten und Gebräuche hübsch beobachtet
werden, er hat zu wachen, dass die das Dorf besuchenden
Fremden, ob vornehm oder gering, die gebührende Gastfreundschaft
erhalten, und er muss sich dabei immer nicht nur
mit seiner Djemäa auf gutem Fusse halten, sondern, was viel
schwerer ist, auch mit den Qofs, den festgeschlossenen Partheien
ohne die ein Kabylendorf nicht existiren kann.
Ein Qof *) ist eine feste Verbrüderung, welche sich meist
aus Anlass irgend einer Streitigkeit oder einer Wahl oder einer
ähnlichen Gelegenheit büdet, aber dann oft für lange Jahre mit
immer neuen Zielen und Zwecken besteht. Die Mitglieder sind
durch einen schweren Eid gebunden, sich'in Recht und Unrecht
mit Gut und Blut beizustehen, und das Interesse des £of geht
allem Anderen vor, selbst dem Wohl der Gemeinde und des Geschlechtes.
Meist ist die Brüderschaft auf ein Dorf beschränkt,
sie kann sich aber auch über mehrere Dörfer und ,über einen
ganzen Stamm erstrecken und zeitweise ist sogar die' ganze
Kabylie in zwei feindliche g0fs geschieden gewesen. So war es
schon im Alterthum; diese Spaltungen haben den Römern die
Unterwerfung erleichtert, sie haben den Türken stets die
w KabyllSch Tarouß°uit’ bei den freien Amazirgh vom Stamm der
Ait Aissa im hohen Atlas Taroyout.
Mittel geboten, die Bergbewohner zu schwächen und niederzuhalten,
und auch die Franzdsen müssen mit ihnen rechnen. Bei
Gerichtsverhandlungen wird das Zeugniss von Gliedern derselben
Brüderschaft immer mit Misstrauen aufgenommen, denn wenige
Iiabylen bedenken sich einen falschen Eid zu leisten, wenn er
einem Genossen nützen kann. So lange der Kabyle einem M
angehört, wird er unverbrüchlich und mit den grössten Opfern
an ihm festhalten, eine Treulosigkeit würde ihn ehrlos machen;
aber er hat das Recht jederzeit sein Verhältniss aufzukündigen
und Niemand findet etwas darin, wenn er unter Wahrung der
herkömmlichen Form seine Partei wechselt; es ist einer der hässlichsten
Züge im Kabylench arakter, dass dabei das Geld eine
grosse Rolle spielt. Die Qofs waren früher die Quelle der endlosen
Bürgerkriege, sie hatten aber das Gute, dass sie auch dem
einzelnen armen Manne'Stolz und Selbstgefühl gaben, denn er
war sicher, dass, wenn ihm Unrecht geschah, die Schwurgenossen v
hinter ihm staiiden. So besonders in den Fällen, wo er eiriem
anderen sein Geleite, die Anaia,*) zugesagt hatte. Jeder Kabyle
nimmt nämlich für sich das Recht in Anspruch, jedem Anderen,
sei er Kabyle oder Fremder, seinen Schutz zuzusichern; dann ist
er verbunden, jede diesem zugefügte Beleidigung zu rächen; wer
die Anaia hat, geht noch vor dem nächsten Blutsverwandten, und
kein Kabyle wird den Schimpf ertragen,' dass sein Geleite ungestraft
verletzt worden. Ist der Beschützer ein angesehener Mann
oder gar ein Amin, so' tritt sofort sein ganzer Stamm für ihn
ein, aber auch der Aermste wird seinen Qof nicht vergeblich auf-
rufen. Würden ja doch sonst die anderen Kabylen auf jedem
Markte mit Fingern auf die deuten, welche die Verletzung ihrei
Anaia nicht gerächt haben, und ihnen, wo sie sich blicken liessen,
den Packsattel eines Lastesels hinhängen, den ärgsten Hohn, den
man einem Kabylendorfe zufügen kann. Nur unter dem Schutz
dieser Einrichtung waren früher Handel und Verkehr m der
Kabylie möglich. Für jeden Markt ertheilte der Stamm, auf dessen
Gebiet derselbe stattfand, allen Händlern selbstverständlich das
Geleite und wenn einer beraubt wurde, musste er ihn entschädigen
und den Frevel rächen. Im Sus ist das heute noch Brauch; der
Beherrscher von S id i He d s c h am hat, wie Lenz**) erzählt,
*) Bei den Scheluh Taissa, bei den. Amazirgh Kassi.
**) Timbuktu I p. 323.