Arabern und Kabylen nicht mehr Aehnlichkeit besteht, als zwischen
Arabern und Franzosen, und erst fünfundzwanzig Jahre blutiger
Kämpfe und immer neuer Aufstände haben sie gelehrt, dass-”sie
hier mit einer ürrasse zu thun haben, die, in ihren Wohnsitzen
einheimisch, im Boden Nordafrikas festgewurzelt, eine ganz andere
Behandlung verlangt, als der erst in verhältnissmässig ganz neuer
Zeit eingedrungene Araber.
»Es ist in hohem Grade interessant«, — so schrieb mir Gustav
F r e y tag als Antwort auf ein paar Bemerkungen über die ethnographischen
Verhältnisse Nordafrikas, die ich ihm von Algerien
aus gesandt, — »wie diese uralte weitverbreitete libysche Rasse
seit fast drei Jahrtausenden durch andere Kulturvölker gerichtet
wurde. Bis in die Neuzeit durch Semiten, die Phönizier und
Karthaginienser, dann durch die Araber, dazwischen durch Griechen
und Römer. Jetzt endlich durch die Romano-Germanen, die zur
Vandalenzeit schon einmal eine nicht unbedeutende Kolonisten-
thätigkeit begonnen hatten. ^ Und doch ist, soweit unsere Kennt-
niss reicht, seit Jugurtha und Bocchus der nationale Charakter
derselbe geblieben und bei aller Einseitigkeit auch die ungewöhnlich
zähe Lebenskraft. Von allen Völkergruppen, welche am
Aussenrande der menschlichen Kultur gestanden , haben sie bei
Weitem die grösste Zahl von historischen Helden und die relativ
grösste Einwirkung auf die Geschichte der abendländischen Kulturvölker
ausgeübt. Es ist klar, dass ein solches Volk noch in späteren
Jahrhunderten seine Rolle auf dem Welttheater sich fordern
wird.« —
Es ist ein eigentümliches Volk, das in den unzugänglichen
Bergen Nordafrikas, in den Oasen und Gebirgsstöcken der Sahara
den Einflüssen der Kultur, mochte sie ihm von Phöniziern oder
Römern, von Byzantinern, Arabern oder Europäern dargeboten
werden, in Gutem wie in Bösem immer gleichen zähen Widerstand
entgegengesetzt hat, das Christenthum und Islam gezwungen hat,
sich seinen Eigentümlichkeiten und sein.em geheiligten Herkommen
anzupassen, und es verdient wohl, dass wir ihm hier ein
Kapitel widmen. Meine eigenen Beobachtungen haben dazu natürlich
nur wenig Stoff geliefert, denn der Kabyle ist misstrauisch
von Natur und selbst dem, der seine - Sprache spricht und ihm
durch jahrelangen Verkehr bekannt ist, gegenüber zurückhaltend
und verschlossen. Aber das vorzügliche Werk von Hano teau
und Letourneux*) über die grosse Kabylie ist in Deutschland so
wenig bekannt geworden lind man weiss in unsrem Vaterlande
überhaupt so wenig von den Kabylen, dass ich es wohl verantworten
kann, wenn ich aus ihm das Wichtigste'über die Bewohner
der grossen Kabylie entlehne und hinzufüge, was ich selbst von
ihnen gesehen und im Lande erkundet. **)
Ich habe im achten Kapitel schon erwähnt, wie die wilden
Urbewohner Nordafrikas schon in alter Zeit, erst von den übers
Meer kommenden Ariern, dann von den Phöniziern in die Berge
gedrängt wurden, sich aber hier gegen sie, wie gegen die Römer,
die Byzantiner, die Araber und die Türken behaupteten und rein er-,
hielten. Im hohen Atlas, wo die Amazi rgh ihren Namen, der
»die Freien« bedeutet,- mit Recht tragen, in seinen Ausläufern nach
Norden und Westen, wo die Scheluh oder Schluah wohnen,
im unzugänglichen R if an der marokkanischen Nordküste, in dem
Ouaransenis***) und seinen Nachbargebirgen am wild zenssenen
Abhang des oranesischen Hochplateaus wie gegenüber zwischen
Sch elf ff und Meer, um die Met idja herum, in die Hochburg des
Dschur dschur a, in der kleinen Kabylie, die der Babor mit seinen
Verzweigungen erfüllt, auf dem Edough bei Bòne und in den
unzugänglicheren Parthien der Aures haben sie zu allen Zeiten
in geschlossenen Massen beisammen gewohnt, und was von Fremden
etwa hier sich eindrängte, wurde aufgesogen und vollständig ber-
berisirt. Dass alle diese Stämme und ausser ihnen die sesshaften
Oasenbewohner und die halbnomadischen Tuareg Glieder eines
Stammes sind, beweist ihre Sprache, die trotz vieler dialektischer
Verschiedenheiten im Wesentlichen bei allen Stämmen dieselbe ist.
Scheluh, Amazirgh, Ouled Rif . und Kabyle können sich ganz gut
*) La Kabylie et les coutumes kabyles. Paris 1872. Imprimé par autorisation
de Mr. le Garde des Sceaux. 3 vols. Eine deutsche Uebersetzung
scheint nicht zu existiren.
**y Nach dem Wenigen, was wir über die Organisation der Bewohner
des hohen Atlas wissen, — mir ist kaum mehr bekannt geworden, als die
von S a b a t i e r eingezogenen Erkundigungen über die Ti f f a und Ai t Mes-
sâd, veröffentlicht in der Revue géographique internationale 1883 p. 196, —
sind die Verhältnisse dort von denen am Dschurdschura kaum verschieden.
Selbst der Name Dschurdschura kommt nach Hooker im marokkanischen
Atlas vor.
***) Ist die Namensähnlichkeit dieses Berges mit dem katalonischen
Monsenis nur zufällig?