Viertes Kapitel.
Bl idah und Cherchel.
Di© quietschenden Dlötentöne der Turkosmusik, die wir von
Mostaganem her kannten, weckten uns am 26. März frühzeitig.
Der Sturm hatte sich etwas ausgetobt, es war prächtig frisch und
kühl. Ich bummelte den Morgen in den Strassen herum und besah
mir die Y i l l e c o q u e t t e , wie sie der Franzose nennt —
der Araber, sagt etwas derber Kabah. Auf dem Hauptplatz und
in den angrenzenden breiten mit Arkaden eingefassten Strassen
des Europäervierteis traf man die Vorbereitungen zu dem grossen
Feste, das die halbe Provinz Algier in die Stadt lockt. Es sollte
diesmal mit besonderem Glanz gefeiert werden und gleichzeitig
eine grosse landwirtschaftliche Ausstellung stattfinden. Draussen
sind alle Gärten mit Orangenbäume gefüllt, aber die Ernte ist
vorüber, nur hier und da hängt noch ein goldner Apfel am Baum.
In Blidah hat sich die Orangenkultur aus der Araberzeit erhalten,
wie auch in einigen geschützten Schluchten der Kabylen und um
Bougie; man zieht die Bäume als Hochstämme, nicht wie in
Spanien in Büschen; am kühlen Atlasabhang und beider reichlichen
Bewässerung ist das ganz gut möglich, während an trockeneren
sonnigeren Stellen die den Boden stärker beschattende
Buschform vorzuziehen ist. Soviel ich sehen konnte, kultivirt man
hier nicht die Sortenmannigfaltigkeit wie in Sicilien, sondern beschränkt
sich auf die beiden neuesten Erwerbungen der Mittelmeerländer,
die gewöhnliche Orange, deren Herkunft der Name
Porto gallo bezeichnet, (sie wurde von den Portugiesen im sechzehnten
Jahrhundert aus dem Osten gebracht), und die Mandarine,
{Citrus madurensis), deren Mutterpflanze ich im botanischen
■Garten in Palermo gesehen habe, wohin sie 1'828 aus Cochinchina
gelangte. Diese Art kultivirt man erst seit den fünfziger
Jahren in Sicilien mehr im Grossen und nach Algerien ist sie
noch später gekommen.' Ausserdem pflanzt man auch natürlich
noch Citronen und Pomeranzen, die -ja die Araber schon seit dem
Jahr 1002 n. Chr. in allen Mittelmeerländern verbreitet haben.
Alle Sorten werden durch Pfropfen fortgepflanzt, die Wildlinge
liefert ausschliesslich Citrus bigarradia.
Die Orangen von Blidah werden von den Franzosen als die
besten der Welt gerühmt; sie sind in der That ausgezeichnet,
etwas saurer, als die sicilianischen, aber köstlich aromatisch; man
erkennt sie an ihrer dicken' Schale. Fast die ganze Ernte geht
nach Marseille, wo die Orangen noch einmal sorgsam sortirt und
umgepackt werden; ein guter Theil geht von da weiter nach
Deutschland. Die Gemarkung von Blidah soll ca. 30,000 Orangenbäume
enthalten und jährlich ca. 15,000 Kisten Orangen im
Werth von über 250,000 frs. exportiren. Die Kultur ist äusserst
einträglich (in Sicilien berechnete man den Rohertrag auf 5000 frs.,
per ha.), aber auch hier spürt' man die Konkurrenz Amerikas.
Früher kamen zu jeder Ernte die schnellsegelnden Klipper herüber
ins Mittelmeer und verluden ungeheure Quantitäten, jetzt decken
" Florida und Californien den amerikanischen Bedarf und machen
selbst auf anderen Märkten dem Mittelmeer den Absatz schwer.*)
Die Wettbewerbung Amerikas wird überhaupt am Mittelmeer viel
schwerer empfunden, als hei uns in Deutschland. Amerikanisches
Getreide, -selbst amerikanisches Mehl ist trotz des Mehlzolles billiger,
als der Kolonist pröduciren kann, nun nimmt Amerika auch die
beiden eigensten Produkte der Mittelmeerländer, Agrumen und
Olivenöl in die Hand und seinem geschäftsmässigen grossartigen
Betrieb gegenüber sind die Romanen am Mittelmeer konkun enz-
unfähig. Ein Glück für Südeuropa, dass bis jetzt wenigstens der
californische Wein diesseits-des Meeres sich noch nicht bemerk-
lich macht. Algerien würde einen ganz anderen Aufschwung
nehmen, wenn der Getreidebau rentirte, aber unter den jetzigen
Verhältnissen kann eigentlich im Inneren nur der Eingeborene,
den der Boden nichts kostet und der die Zeit nicht achtet, für
den also die ganze Ernte reiner Gewinn ist, mit Profit Getreide
bauen.
Die Umgehungen von Blidah und die Flanken des mächtigen
Dschebel Beni Salah, an dessen Abhang die Stadt liegt, sind
so oft geschildert worden, dass ich füglich davon schweigen kann.
Wir hielten uns auch nur einen halben Tag dort auf und gingen
unmittelbar nach dem Frühstück wieder zur Bahn, um nach L a
*) Die Ernte in Florida betrug nach .Zeitungsangaben 1883 gegen
050,000 Kisten ä 150 Stück, in 1884 sogar eine Million Kisten, auch Süd-
californien lieferte 1884 gggen 600,000 Kisten. Dabei packen die Amerikaner
besser und lesen sorgsamer aus.