rührung französischen Gebietes möglich ist*). Die Konsumtionsfähigkeit
Tunisiens ist seit der üebernahme des Protektorats entschieden
in der Hebung begriffen und wird, wenn einige der
drückendsten Steuern abgeschafit werden und dem Raubsystem,
wie es namentlich Mu s t a p h a ben I smai l , der letzte Premierminister,
im Grossen trieb, ein Ende gemacht wird, noeh viel
rascher vorangehen. Noch hat ja Tunis seinen so unendlich
fruchtbaren Boden und eine arbeitsame Bevölkerung, es war nur
die schauderhafte Regierung und die Raubsucht einiger Günstlinge
in Verbindung mit europäischen Finanzspekulanten, welche, wie
man in Tunis sagt, »das ganze Land aufgefressen haben.«
In der Beziehung ist ein Blick auf den Verfall von Tunis
historisch interessant. Noch 1815 beim Tode Hamouda’s war
es ein im Verhältniss zu seiner Grösse und Bevölkerungszahl
mächtiger Staat, dessen Freundschaft von den anderen Mittelmeerstaaten
geschätzt wurde. Erst 1816 erzwang Lord Exmou th
im Auftrag des Wiener Kongresses die offizielle Abschaffung der
Seeräuberei und die Aufhebung des Marktes für Christensklaven. **)
Schwere Schicksalsschläge trafen das Land im ersten Viertel
dieses Jahrhunderts. 1819—-1820 wüthete die Pest entsetzlich,
1821 wurde die ganze Kriegsflotte von einem Sturm vernichtet,
trotzdem erholte sich Tunis immer wieder und noch Achmed
Bey regierte vollständig unumschränkt und hinterliess bei seinem
Tode einen gefüllten Schatz. Aber sein Nachfolger Sidi Moha-
med ben Hossein verschwendete mit seinem Harem binnen
Kurzem den ganzen Schatz: was übrig blieb, stahl der berüchtigte
*) Der Zuckerimport von Marseille aüs belief sich in 1873 noch auf
1500000 Fcs., in 1883 nur noch auf 300000; von England kam nur für
108000 Fcs., der ganze Rest aus Deutschland über Genua und neuerdings
über Hamburg.
**) Der Markt für Negersklaven bestand in einer Seitengasse des neuen
Juwelenbazars bis 1837, die offizielle Abschaffung der Sklaverei erfolgte
durch Achmed Bey 1842. Die Aenderung des Verhältnisses zwischen Herrn
und Diener ist freilich nur eine nominelle geblieben, kaum ein Sklave hat
seinen Herrn verlassen. Die Haussklaverei in mohamedanischen Ländern ist
eben eine ganz andere, als in den Plantagen der südlichen vereinigten Staaten;
der Sklave rechnet sich zur Familie und pocht auf sein Recht im Hause
zu bleiben; wer einen Sklaven freilässt, ist verpflichtet, für seine Zukunft
in ausreichender Weise zu sorgen. In Tunis sind die meisten ehemaligen
Sklaven heute noch bei ihren alten Herren.
Mustapha Khasnadar*) mit seinen Gesellen, und als der
schwache Mohamed e s -Sadok den Thron bestieg, waren alle
Kassen leer. Unglückseliger Weise behielt er den Khasnadar
als Finanzminister bei und von dem Moment an ging es mit rasender
Schnelle abwärts mit Tunis. Der Khasnadar, von dessen
Wirksamkeit Mal tzan eine getreue Schilderung entwirft, wusste
alle Einkünfte des Landes in seine Privatkasse zu leiten und dem
Bey blieb nichts übrig, als Schuldenmachen. In 1865 wurde mit
derr Bankhäusern E r l a n g e r und Op p e n h e im das erste Anlehen
abgeschlossen, 1 400 000 L. Sterling zu nur 12 °/o, 1865
folgte schon ein weiteres, aber wenig genüg davon kam in die
tunisischen Kassen; der Schatzmeister Kaid Nes sim brannte
mit 25 Millionen Franken durch, der General Ben Ayet folgte
seinem Beispiel mit einer ähnlichen Summe, dann kamen die
Hungerjahre von 1867 und 1868 und die Cholera, die in 1867
ein Drittel der Bevölkerung hinraflfte, und 1868 musste der Bey
seinen Bankerott erklären.
Die Macht des Khasnadar blieb vorläufig ungeschwächt;
neben der persönlichen Anhänglichkeit des schwachen Bey schützte
ihn seine Frau, eine Schwester es-Sadok’s, welche ihren Bruder
völlig beherrschte. Neben ihm war der Tscherkesse Kheireddin
der einflussreichste Mann, ein ehemaliger Mameluck (Sklave) Achmed
Beys, der sich aber durch eigene Kraft eine hervorragende
europäische Bildung angeeignet hatte und von allen Tunisern der
einzige war, welcher dem Lande wieder hätte aufhelfen können.
Der Khasnadar hatte ihn zu seinem Schwiegersohn gemacht und
glaubte seiner ganz sicher zu sein, aber schliesslich gelang es
seinen Gegnern, in erster Linie dem französischen Konsul, Kheireddin
zu gewinnen, und, durchdrungen von der Ueberzeugung, dass
dem Lande nicht anders zu helfen sei, trat er an die Spitze einer
Agitation, die mit dem Sturze des Khasnadar endigte. Ganz Tunis
jauchzte ihm zu und Mustapha wäre vom Bey dem Yolke zum
Opfer gebracht worden, wenn nicht seine Frau erklärt hätte, dass
sie ihm, sobald man ihn aus seinem Palast ins Gefängniss führe,
unverschleiert und mit aufgelöstem Haar durch die Strassen von
Tunis folgen werde. Vor diesem Skandal schrak der Bruder zurück,
und Mustapha blieb am Leben, wurde aber in strenger Bewachung
gehalten bis zu seinem bald nachher erfolgten Tod.
*) Khasnadar ist ein Titel, unserem Finanzminister entsprechend.