wechselseitige Unterstützung im ausgedehntesten Maasse. Vorab
sind zwei Gemeindeeinrichtungen. aufs Genaueste geregelt, die
Armenunterstützung und die Gastfreundschaft. Letztere wird von
Seiten der Gemeinde nach ganz bestimmten Regeln geübt. Betritt
ein Fremder ein Dorf, wo er Niemand kennt, so sagt er dem
Ersten, der ihm begegnet: Ich komme als Gast des Dorfes; er
wird, wenn der Angesprochene nicht vorzieht, ihn in sein eigenes
Haus zu bringen, dann sofort an den Amin gewiesen und von
diesem der Familie zugetheilt, welche gerade an der Reihe ist,
denn die Verköstigung und Beherbergung der Gäste geht reihum!
Es ist Pflicht des Amin, jedesmal die Familie, welche zunächst
an die Reihe kommt, rechtzeitig zu benachrichtigen, damit sie
sich für die nöthigen Vorräthe sorgt; thut er das nicht, so verfällt
er in'eine Geldstrafe. Die Bewirthung entspricht dem Range
des Gastes; angesehenere Leute behält der-Amin selbst oder einer
der reicheren Dorfbewohner. An vielbegangenen Strassen ist ein
Häuschen ausschliesslich für Gäste bestimmt, und nur die Verpflegung
geht reihum. Sie ist freilich nach unseren Begriffen
ein wenig frugal, aber nicht schlechter, als .die gewohnte” Nahrung
der Leute selbst, ja durchschnittlich besser, denn während
der Kabyle fast ausschliesslich von Gerstenmehl lebt, hält er
streng darauf, dass dem Gaste Kuskussu aus Weizenmehl vorgesetzt
wird.
An der Organisation der Armenpflege können sich die civili-
sirtesten Völker ein Muster nehmen. Natürlich sorgt für die
Arbeitsunfähigen in erster Linie das Geschlecht, die Kharrouba,
aber wo diese nicht kann, bei Wittwen, Waisen und einzelnstehenden
Kranken, tritt die Gemeinde ein. Fast überall sind
fromme Stiftungen vorhanden, meist Grundstücke mit Feigen und _
Oelbäumen, deren Ertrag den Armen zufällt; aber auch ausser-'
dem wird bei der Ernte ein bestimmter Antheil ausgeschieden
für die Armen. Ferner erhalten sie einen vollen Antheil bei den
öffentlichen Fleischvertheilungen. Diese,, die sogenannten Thim e-
eheret, sind eine höchst eigenthümliche Einrichtung'der Kabylen.
Ihre gewöhnliche Nahrung ist rein vegetabilisch, etwas Brod,
Kuskussu aus Gerstenmehf und getrocknete Feigen, oft auch nur
süsse Eicheln, dazu etwas ranziges Oel. Fleisch g ilt' natürlich
als höchste Delikatesse, ist aber dem gewöhnlichen Kabylen zu
theuer; um es zeitweilig Jedem zugänglich zu machen, wird bei
bestimmten Gelegenheiten Vieh auf Gemeindekosten angekauft und
geschlachtet. Dann kommt die ganze Gemeinde zusammen, der Amin
mit dem besonders zu diesem Zweck ganz genau geführten Em-
wohnerverzeichniss, und das Fleisch wird in Portionen vertheilt,
die immer für eine gewisse Anzahl Personen bestimmt sind; entweder
die Mitglieder einer Kharrouba oder eigens für die
Fleischvertheilung gebildete Gruppen erhalten einen solchen Antheil.
Die Vertheilung erfolgt nach Köpfen. Alt und Jung,
Arm und Reich, Männer und Frauen haben gleichen Anspruch.
Jede Gruppe bringt ein Stäbchen, an dem ein Zeichen angebracht
ist, und übergibt es dem Amin; dieser schüttelt die Stäbchen
in . einem Gefäss durcheinander und reicht sie seinen Tem-
man, welche zu jeder Fleischportion ein' Stäbchen legen. So ist
aller Streit unmöglich gemacht und Niemand kann sich über
seinen Antheil beklagen. Die Kosten werden aus den in die
Gemeindekasse fliessenden Strafgeldern bestritten. Mitunter thun
sich auch ein paar Familien zusammen und schlachten ein Stück
Vieh; sie müssen das aber bei schwerer Geldstrafe dem. Amin
anzeigen und den Armen und Kranken einen Theil abgeben.
Auch bei jeder Festlichkeit, bei Hochzeiten wie bei Begräbnissen,
sind die Armen selbstverständlich zu Gaste geladen, und
so tief ist jedem Kabylen die Pflicht, für die Armen sorgen zu
müssen, eingeprägt, dass die so überaus einfache Organisation
selbst in den schlimmsten Zeiten ausreicht. In den schweren
Hungerjahren, die durch das Ausbleiben der Winterregen entstanden,
zuletzt noch in 1881, sind die Araber massenhaft dem Hungertod
erlegen, aber im Kabylenlande ist kein einziger Fall vorgekommen;
und obschon die Hungernden von allen Seiten der
Kabylie zuströmten, ist keinem die Gastfreundschaft versagt worden
und die Gemeinden haben lieber die letzten vergrabenen
Goldstücke aus dem Versteck geholt und selbst Anleihen aufgenommen,
als dass sie dem alten Herkommen untreu geworden
wären oder Hülfe bei der Regierung gesucht hätten. Das ist em
Zug im Charakter der Kabylen, der manche Schattenseite vergessen
lässt.
Ebenfalls sehr gut entwickelt sind das Wasserrecht und das
Wegerecht; eine Einführung der französischen Einrichtungen
würde, darüber sind auch die französischen Autoritäten einig,
einen Rückschritt bedeuten.