
platzen immer mehr sich vermindern miisse, weil man
nirgends daran denke, einen Theil der Grascr die Reife,
des Samens erreichen zu lassen, um die eingehenden
Wurzelstocke durch neue Pflanzen zu ersetzen; daher
werde, weil die futterbediirftigen Baudenbesitzer in er-
reichbarer Lage Alles vor der Zeit wegmahen, die Vegetation
immer karglicher.
Nachdem wir hier uns hinlanglich gerulit und ein sehr
opulentes Mahl eingenommen hatten, welches aus dem
mitgenommenen delikaten Braten und der sehonen Ge-
birgssahne durch die geschickte Hand des Revierjagers
bereitet und sehr landlich verzehrt worden war, wobei
ich nur iiber die driickende Hitze und die mannigfalti-
gen Ausdiinstungen der Stube zu klagen gehabt hatle,
machten wir uns zu einem forstlichen Hauptgange fertig.
Wir stiegen hinab ins Schreiberhauer Revier, um
hier einen der wenigen Urwalder kennen zu lernen,
welche Deutschland noch aufzuweiscn hat. An der
Flofskochel unter dem Guckucksteine trifft man eine
ziemlich grofse, abgeholzle und sparlich wieder mit
Fichten angebaute Flache, traurige Ueberreste eines Ur-
waldes. Es liegt noch ziemlich viel Lagerholz umher.
Stocke von verschiedener Hohe zeugen von der Starke,
welche hier das Holz ehemals erreichte. Der Boden ist
gediingt von der modernden oder schon humificirten
Holzfaser. Riesige Farrenkrauter von Mannshohe, durch
die man sich nur mit Miihe durchdrangt, untermischt
mit Himbeeren und andern Unkrautern (Calctmagroslis
Ilalleriana, Aira cespitosa, Senecio nemorensis), alle
von ungewohnlicher Ueppigkeit, zehren von den Ueber-
resten des ehemaligen Waldes. Nicht vergessen darf
ich die Gentiana aselepiadea, welche auch hier. wie in
vielen andern Gegenden dieser hohen Region in grofser
Menge wachst und mit ihren sehonen grofsen blauen
Blumen schon von Weitem freundlich winkt. W7as mir
h ie r aber gerade auffiel, war die Menge von weifs
bliihenden Exemplaren und die zahlreichen Uebergange
in Blau. Gewohnlich standen mehrere weifse Exemplare
dicht bei einander, wie man das auch wohl in
der Ebene bei dem sonst selten weifs bliihenden Thymns
Serpyllum wahrnimmt; so erzahlte mir auch einer
meiner Zuhorer, Herr L e u s c h n e r, er habe im Braurf-
schwender Reviere am Harze auf fettem Thonschiefer-
boden in dem geringen Umfange von wenigen Ruthen
viele weifse Exemplare von Anemone Hepatica gesehen,
die ich nur einmal in meinem Leben weifsbliihend fand.
Hier drangt sich dem Beobachter lebhaft die Niitz-
lichkeit der Stocke und Stamme auf, wenn sie Zeit haben
langsam zu modern. Lafst man ihnen diese Zeit
aber nicht, namentlich im Gebirge, oder mit andern
Worten, setzt der Mensch seine kiinstliche Wirthschaft
an Stelle der natiirlichen, dann haben sie nicht Zeit
ihre wohlthatigen Wirkungen zu entwickeln.
An einem Fichtenstocke von 1 | Fufs Durchmesser
zahlte ich 90 Jahresringe, welche vom 30 — TOsten am
Breitesten waren.
Aus dieser halb kiinstlichen, halb natiirlichen Wild-
nifs gelangt man in eine schon erhaltene ganz natiirli-
che, welche sich am ostlichen und nordlichen Abhange
des Reiftragers herumzieht, und wohl noch 500 — 600
Morgen im Zusammenhange betragen kann. Die Axt
hat hier noch wenig verandert; ja noch vor nicht lan-
ger Zeit hat man so wenig das Bediirfnifs eines Holz-
schlages in dieser Einode gefiihlt, dafs man selbst die
vom Winde gebrochenen Stamme nicht wegraumte. Sie
geben dem Ganzen unverkennbar das Geprage eines Ur-
waldes. Aber auch der Eindruck, den die Grofse, Starke
und Mischung der Baume, und ihr fast iiberall hoch iiber
Einem sich schliefsendes Dach auf den Menschen macht,
die Eigenthiimlichkeit des Bodens und der Atmosphare,
und die Stille in dieser abgelegenen und hohen Gebirgs