Die nähere Erforschung dieser biologisch gut gekennzeichneten Gallengruppe wird gewiß noch
mit vielen interessanten Einzelheiten bekannt machen. Wie der Pilz in die Galle kommt, und wie
sich die Konstanz seines Auftretens erklärt, läßt sich zurzeit nicht sagen. N e g e r mutmaßt, daß
der Pilz vom Muttertier dem Ei beigelegt wird.
IX. Ätiologie der Gallen.
Wie entstehen die Gallen? Was ist die eigentliche Veranlassung ihres Entstehens und Wachsens?
Wie kommt es, daß fremde Organismen auf Wirtspflanzen bestimmter Art Mißbildungen von
oft großer Kompliziertheit und vor allem mit unbedingt konstanten und leicht unterscheidbaren
Merkmalen zu erzeugen imstande sind? Die Lehre von den Organismen kennt nichts, was in diesem
Punkte mit den Gallen gleichgestellt werden dürfte und auf die hinter den gestellten Fragen ruhenden
Probleme einiges Licht werfen könnte.
Kein Wunder, daß gerade die Ätiologie der Gallen die Forscher schon seit langem interessiert
und zur Aufstellung verschiedener Theorien und zu allerhand Versuchen geführt hat. Wir dürfen
unseren Betrachtungen hierüber vorausschicken, daß die gewonnenen Ergebnisse zu der aufgewandten
Mühe und Zeit im denkbar ungünstigsten Verhältnis stehen. —
Schon M a 1 p i g h i hat über die Ätiologie der Gallen nachgedacht; wir hörten darüber schon
oben das Wesentlichste. Die von ihm begründete Lehre, daß das Wachstum der Gallen durch einen
vom Parasiten gelieferten Stoff veranlaßt werde, deckt sich mit der auch heute noch einleuchtendsten
Theorie, die hierüber geäußert worden ist.
R ea um u r , welcher sich nicht vorstellen konnte, daß so geringe Mengen eines ausgeschiedenen
Saftes so umfangreiche Wucherungen hervorrufen können, nahm an, daß von den Gallenerzeugern eine
Art von Saugwirkung ausginge, welche die Säfte der Pflanze an dem Infektionsort zilsammenströmen
ließe. Nach, ihm tritt an der Saugstelle noch eine Temperaturerhöhung ein, welche das Wachstum
weiterhin fördert.
L a c a z e - D u t h i e r s , D a r w i n , H o f m e i s t e r , B e y e r i n c k , „ P e y r i t s c h
und viele andere haben sich im Sinn M a l p i g h i s über die Frage ausgesprochen. Aber ein
Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme ist weder von ihnen, noch von irgend einem ändern
Autor bisher gegeben worden: alle mit großer Geduld ausgeführten Versuche, durch Applikation
von irgend welchen Giftstoffen auf geeignete Pflanzenorgane Gallenbildungen künstlich hervorzurufen,
sind bisher resultatlos verlaufen. Der negative Ausfall dieser Bemühungen bedeutet
eine große Lücke in unserer Kenntnis von den Gallen und hindert uns ständig, eine große Reihe allgemeiner
biologischer Fragen, welche uns die Betrachtung der Gallen aufdrängt, in Angriff zu nehmen.
Am weitesten in der Analyse der Gallenätiologie ist B e y e r i n c k durch seine Studien an
Pontaniagallen vorgedrungen; auf seine Beobachtungen haben wir hier kurz einzugehen.
Unzweifelhaft wird bei der E i a b l a g e , wie sie P. proxima auf den Blättern der Weide
besorgt, gleichzeitig mit dem Ei aus der Giftblase noch eine kleine Quantität „Gift“ in das eiauf-
nehmende Pflanzenorgan hineinbefördert. Beye r incks Bemühungen, mit dem künstlich der Giftblase
entnommenen Stoff durch Injektion in junge Weidenblätter Gallen hervorzurufen, scheiterten zwar;
trotzdem kann nicht bezweifelt werden, daß eben jener Giftstoff das wirksame Agens darstellt: denn
die Verwendung an sich kann unmöglich der Anlaß sein, da andere Blattwespen jungen Weidenblättern
ganz ähnliche Wunden beibringen wie jene Pontania u. a., aber keine Gallen hervorbringen wie
diese. Das Ei und die aus ihm sich entwickelnde iLarve kann ebenfalls nicht das Wesentliche bei der
Gallenbildung sein, denn auch dann, wenn kem Ei vom Insekt abgelegt wird, bildet sich an der von
ihm verwundeten Stelle eine Galle, die zwar kleiner bleibt als die typischen, eierführenden Gallenexemplare,
sonst aber durchaus mit diesen übereinstimmt. Die geringe Größe der eilosen Gallen
hängt lediglich damit zusammen, „daß das Tier, wenn es kein Ei in die Wunde bringt, immer auch
weniger Substanz aus der Giftblase darin ergießt, und man kann sich leicht davon überzeugen, daß
das schließliche Volumen des erwachsenen Cecidiums sowohl proportional ist mit der Größe der Verwundung
wie mit der Quantität der dareingebrachten Proteinsubstanz“ (Be y e r i n c k ) .
Weiterhin konnte B e y e r i n c k zeigen, daß die Bildung der Galle ihren Fortgang nimmt, auch
wenn man das Ei bald nach der Ablage tötet: „weder das Ei noch die Larve sind deshalb notwendig
für die Gailbildung. Daß deren Gegenwart jedoch einen gewissen Einfluß ausübt auf die Regelmäßigkeit
der Entwicklung des Cecidiums, z. B. auf die Entstehung des Innenraums, kann nns nicht
wundernehmen, wenn wir überlegen, wie außerordentlich verschieden die Ernährungsbedingungen
in dem Gallengewebe sein müssen, wenn sich das an sich gewiß einer spezifischen Eiweißnahrung
bedürftige Ei darin wohl oder nicht fortentwickelt“.
B e y e r i n c k kommt auf Grund rechnerischer Erwägungen zu dem Resultat, daß die
wirksame Substanz eine Art Ferment sei.
Die einleuchtenden Darlegungen B e y e r i n c k s lassen es unentschieden, ob al le Gallen ihre
Entstehung einem chemischen Reize verdanken, oder ob nur ein Teil von ihnen, etwa die komplizierten,
von uns oben als prosoplasmatische bezeichneten Gallen „Chemomorphosen“ sind. Zu der Annahme,
daß auch Reize anderer Art genügen könnten, Gallenbildung za veranlassen, führen namentlich die
Ergebnisse der vergleichenden Pflanzenpathologie: es zeigt sich, daß Organ- und Gewebeanomalien,
sowie abnorme Zellenformen, die den als Gallen angesprochenen durchaus gleichen oder sehr ähnlich
sind, auch ohne Mitwirkung von Organismen als Reaktionen des Organismus auf Reize sich bilden
können, bei welchen es sich keinesfalls um die Wirkung fremder chemischer Agentien handelt. Am auffälligsten
zeigt sich eine solche Ähnlichkeit beim Vergleich zahlreicher kataplasmatisch er Holzgallen mit
Wundgeweben: das Gallenholz, das nach Infektion der Wirtspflanzen durch Pilze oder Hemipteren
gebildet wird, gleicht in allen wesentlichen Punkten dem Wundholz. Auch die von vielen organoiden
Gallen her bekannten Organumbildungen sind auch durch Trauma hervorzurufen oder finden sich an
Pflanzen, die im Experiment einer abnormalen Ernährungsweise unterworfen worden waren. Wenn aus
'gleichen oder ähnlichen Folgen auf gleiche oder ähnliche Ursachen geschlossen werden darf, legen uns
Gallen dieser Art, deren Charaktere wir auch an abnormalen Objekten anderer Provenienz wiederfinden,
die Vermutung nahe, daß auch bei ihrer Entstehung der von den Parasiten ausgehende Wundreiz oder
die durch ihn veranlaßte abnormale Ernährung den wesentlichen Faktor ausgemacht habe. Von besonderem
Interesse erscheinen die von M o 11 i a r d beobachteten Fälle, welcher zeigte, daß Parasiten,
welche im Erdreich an den Wurzeln ihrer Wirtspflanzen nagen, die Bildung von gefüllten Blüten, von
Vergrünungen und Proliferation hervorrufen können (parasites agissant ä distance), — also dieselben
Umbildungen, die auch als Gallen bekannt sind. Viele organoide Gallen sind, wie schon früher kurz zu
erwähnen war, durch dieselben Form Verhältnisse gekennzeichnet, die wir an verwundeten Pflanzenteilen
— Blütenkörbchen usw. — gelegentlich auftreten sehen, an Pflanzen, die durch Frost in ihrer
Entwicklung gestört worden sind, an Wurzelschößlingen, die oft die Blätter in anderer Stellung zeigen
als die ändern Sproßabschnitte und nicht selten abnorme Blattformen (Schlauchblätter u. dergl.) tragen.