Werden mehrere Gewebearten gleichzeitig zur Proliferation und Gallenbildung angeregt, so zeigt sich,
daß die Epidermis stets nur schwach beteiligt ist und hinter den Leistungen des Grundgewebes weit
zurückbleibt.
VIII. Biologie der Gallen; Anpassungserscheinungen.
Wir haben die morphologischen und histologischen Eigentümlichkeiten der Gallen vom
deskriptiven und entwicklungsgeschichtlichen Standpunkte aus an einer Reihe von Beispielen erläutert
und müssen uns jetzt noch der Frage widmen, welche „Zweckmäßigkeits“deutungen den geschilderten
Form- und Strukturverhältnissen gegenüber wohl am Platze sind.
Es dürfte angebracht sein, hier von den Ergebnissen der Ga l l e nan a t omi e auszugehen.
Beim Studium derjenigen Gewebeschichten, welche bei der Prüfung der meisten Gallen zuerst
auffallen, — der eiweißreichen Schicht, die den Parasiten unmittelbar umgibt, und des mechanischen
Mantels, der1 in so vielen Fällen nach außen auf jene folgt — läßt sich der Gedanke nicht zurück-
weisen, daß die infizierte Wirtspflanze mit jenen substanzreichen Gewebemassen Material liefert,
das nur dem fremden Organismus zugute kommt, für die Wirtspflanze selbst aber verloren geht:
denn die mit Eiweiß oder Stärke gefüllte innere Schicht dient dem Parasiten offenbar als willkommenes,
ja als unentbehrliches Futtermaterial, und dieselbe Bedeutung haben für ihn in anderen Fällen
unzweifelhaft die eiweißreichen Epidermiszellen und die „Futterhaare“, die wir bei allerhand Roll-
und Beutelgallen und den Erineen studieren können; — und die aus dickwandigen Zellen aufgebaute
mechanische Gewebsschicht macht die ganze Galle fest und widerstandsfähig, feit die Galle und ihren
Bewohner gegen manchen Angriff und schützt den vom Parasiten bewohnten Hohlraum vor Kollaps.
Zumal bei den komplizierten Dipteren- und Cynipidengaben stoßen wir hie und da auf Einrichtungen,
die uns durch ihre „Zweckmäßigkeit“ für den fremden Organismus aufs höchste überraschen müssen.
Ich will mich hier mit der Erläuterung einiger weniger Beispiele begnügen.
Bei vielen Cynipidengallen ist es gar nicht selten, daß nicht nur innerhalb der mechanischen
Gewebeschicht sich die eben erwähnten nährstoffreichen Zellenlagen finden, sondern auch außerhalb
der harten Schutzschicht, vom Gallenbewohner also durch diese getrennt. Die Stoffe der äußeren
Nährschicht werden früher oder später dem Parasiten durch die Steinzellenschicht hindurch zugeführt.
B e y e r i n c k hat gezeigt, daß in den Linsengallen der Eiche in vorgeschrittenen Stadien der
Entwicklung, wenn das innere Futtergewebe vom Parasiten verzehrt worden ist, die Stoffe des äußeren
in löslicher Form nach innen wandern und in den innersten Zellen des mechanischen Gewebemantels,
die als einseitig verdickte Skiereiden sich vorher bemerkbar machten, deponiert werden, indem eben
diese Skiereiden durch Flächenwachstum ihrer Membran zu großen Schläuchen heranwachsen und
thyllenartig sich in den larvenbewohnten Hohlraum vorwölben.
Sehr merkwürdig sind die Öffnungsmechanismen, die wir an inanchen Gallen wahrnehmen.
Viele Gallentiere verlassen ihre Umhüllung, indem sie sich aus ihrer Wohnung herausfressen; in
anderen Fällen macht die Galle bestimmte Veränderungen durch, welche ihrem Bewohner das Ausschlüpfen
erleichtern. Der dabei wirksame Mechanismus wird in Tätigkeit gesetzt, sobald die Gewebe
der Galle zu schrumpfen anfangen: die wasserreichen, dünnwandigen Partien der Galle schrumpfen
naturgemäß stärker als die wasserarmen, dickwandigen Schichten; es kommt daher leicht zu
Zerreißungen im Gallengewebe. In der Galle von Mikiola fagi vermittelt eine dünnwandige
Trennungszone am Grunde die Loslösung und Öffnung der Galle: zur Zeit der Reife löst sich der obere
helmartige Teil der Galle vom Blatt der Wirtspflanze ab. Bei der auf Lindenblättern häufigen Galle
von Oligotrophus Reaumuri wird durch Schrumpfung der äußeren weichen Teile der harte innere allmählich
herausgedrückt; die Öffnung des letzteren besorgt dann allerdings das Tier selbst mit seinen
FreßWerkzeugen. Auch dafür, daß der mechanische Gewebemantel von vornherein aus zwei durch
weiches Parenchym getrennten Teilen besteht, die sich zur Zeit der Reife voneinander trennen wie der
Deckel von einer Schachtel, ließen sich Beispiele anführen.
An den Gallen von Tetraneura Ulmi, deren Bewohner sich nicht aus der Galle herausfressen
können, bildet sich zur Zeit der Reife ein seitliches Pförtchen, indem die Gallenwand an einer eng
lokalisierten Stelle aufreißt. Verschiedene Blattlausgallen an Populus und Pistacia öffnen sich ebenfalls
zur Zeit der Reife und lassen ihre Insassen ins Freie (z. B. Pemphigus spirothece, P. cornicu-
larius, P. semilunularis).
Auf die Verschlußvorrichtungen mancher Gallen möchte ich ebenfalls kurz eingehen. An denjenigen
Gallen, diedauernd offen bleiben, wie etwa die Beutelgallen, finden wir gar nicht selten besondere
Struktureigentümbchkeiten, welche den ständig offenen Porus stark verengen oder fastvölbg schbeßen.
Von dem Gewebewulst, der an der Ausgangsseite der Gallen sich so oft ringförmig erhebt, war schon
früher die Rede. Sehr häufig sitzen an der genannten Stelle dichte Haarsäume, oder die Epidermiszellen
wachsen ebendort zu außerordentlich starkwandigen Papillen aus, die sich miteinander verzahnen.
Ferner sind die Bildungen der „Innengallen“ gelegenthch als zweckmäßige Anpassungen
gedeutet worden: in der Galle von Cynips hungarica ist der eigentbche Kern mit Larvenhöhle
und Hautschicht durch einen leeren Raum von der Gabenrinde getrennt und mit ihr und dem
Leitbündelsystem nur noch durch ein schmales Gewebestielchen verbunden. „Innengaben“ anderer
Art treten bei den Gallenerzeugnissen verschiedener anderer Cynipiden auf. —
Auch beim Studium der äußeren Form der Gaben hat man viele Erscheinungen, die sich anderweitig
nicht erklären ließen, als Anpassungen, insbesondere als zweckmäßig wirkende Schutzmittel
deuten zu müssen geglaubt. Eine schützende Hülle bilden die seltsamen, blütenknospenartig gestalteten
Anhängsel an den Gallen von Cynips Hartigii, oder die leimrutenartigen Fortsätze an den Gallen von
Cynips lucida, die moosähnbchen Wucherungen an den „Rosenkönigen“ sowie die dornenartigen an den
Gallen von Cynips caput Medusae. Auch von Schutzfärbungen und Mimikry ist gelegentlich
gesprochen worden.
Besser als diese Deutungen lassen sich wohl diejenigen begründen, welche manche physiologische
Quabtäten der Galle nahelegen. Es ist gewiß eine sehr merkwürdige und näheren Studiums
werte Erscheinung, daß die Lebensdauer bestimmter Organe oder Gewebe durch die Parasiten
verändert und zwar verlängert wird. Von den Gallen der Spathegaster baccarum, welche die männ-
bchen Blütenstandachsen der Eichen langlebig machen, war schon früher die Rede. Ganz ähnbeh ist
die Wirkung mancher Pontaniagaben auf die sie tragenden Weidenblätter: die Gaben von P. proxima
werden oft noch durch die lebende Mittelrippe und den lebenden Stiel des infizierten Blattes mit der
Achse der Wirtspflanze verbunden und von ihr aus ernährt, wenn die übrigen Teile des Blattes längst
tot sind. Auch losgelöste Gaben mancher Pontanien bleiben noch lange am Leben, wenn das sietragende
Blatt längst tot und trocken geworden ist. Ähnbches gilt z. B. für die Linsengaben der Eichen.
Mit einigen Worten mag auch noch auf die Mycocecidien eingegangen werden. Die äußeren
Formen und die inneren Strukturverhältnisse sind, wie schon wiederholt zu erwähnen war, relativ
einfach bei ihnen und legen es nicht so nahe, nach zweckmäßigen Anpassungen zu suchen. Besonderes