an die Bildungsanomalien, die man an abnorm ernährten Pflanzenindividuen oder Pflanzenteilen,
an den durch Frost, durch Trauma oder andere Eingriffe in ihrer Entwicklung gestörten Exemplaren
studieren kann. Wir werden in anderem Zusammenhänge noch auf diesen Punkt zu verweisen haben.
Vergleicht man die an organoiden Gallen auftretenden Organe mit den der entsprechenden
normalen Exemplare, so läßt sich zunächst konstatieren, daß die an Gallen auftretenden Blätter
meist kleiner und einfacher sind als die normalen und in ihrem Umriß und ihrer Blattrandbeschaffenheit
wenig Charakteristisches erkennen lassen. Ist aber ausnahmsweise das Gegenteil
zutreffend, so wiederholen sich an den Gallenorganen dieselben Charaktere, die wir von den normalen
Teilen her kennen: die von Erjophyes dispar erzeugten Zitterpappelblätter gleichen durchaus
den normalen, ebenso die in milbenbewohnten Rhododendronblüten gebildeten überzähligen
Petala den normalen Kronblättern u. dergl.
Hinsichtlich des Orts der Organbildung, die durch bestimmte Parasiten angeregt wird, läßt
sich nichts Gesetzmäßiges erkennen. Offenbar kann jeder Teil einer Pflanze, der in noch jungem
entwicklungsfähigem Zustand durch einen Parasiten eine entsprechende „Anregung“ erfährt, Organe
adventiver Natur bilden. Eine Lokalisation dieser Fähigkeiten auf bestimmte Teile, wie sie von der
Bildung normaler Adventivtriebe her bekannt ist (ich erinnere an die blattbürtigen Sprosse von
Bryophyllum und Cardamine) ist nicht erkennbar, und es scheint auch hier der Satz zu gelten, daß
aus Allem alles werden kann.
Vielfach ist der Gedanke zum Ausdruck gebracht worden, daß man aus allerhand Mißbildungen
Schlüsse auf phylogenetische Probleme ziehen könne. Das mag in einzelnen Fällen allenfalls
zutreffend sein; wenn z. B. die Cruciferen nach Infektion durch Aphiden in ihren Inflorescenzen
Tragblätter entwickeln, so liegt der Gedanke nahe, daß hierin die Verwandtschaft der Kreuzblütler
mit Familien, deren Blütenstände Tragblätter besitzen, zum Ausdruck kommen mag.
Forscher wie G ö b e 1 u. a. haben bereits hervorgehoben, wie vorsichtig man hier beim Schlüsse-
ziehen vorgehen muß; es besteht kein Zweifel, daß von den vielen latenten Anlagen, die sich unter
dem Einfluß der gallenerzeugenden Parasiten entfalten, sehr viele bei dem typischen Wachstum
und der typischen Gestaltung der Vorfahren jener gallentragenden Gewächse keineswegs zum
Ausdruck gekommen sind.
VII. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Gallen.
Selbst in denjenigen Fällen, in welchen die von pflanzlichen oder tierischen Parasiten infizierten
Pflanzenorgane in ihrer äußeren Gestalt nahezu unverändert erscheinen, lassen sich unter dem
Mikroskop meist sehr leicht allerhand Abweichungen ihres Gewebeaufbaues von dem der entsprechenden
normalen, nicht infizierten Pflanzenteile erkennen.
Die Unterschiede zwischen normalen und infizierten Organen sind im wesentlichen folgende:
entweder das infizierte Organ bleibt hinsichtlich der Größe, der Zahl oder der Ausbildung seiner Zellen
auf einer früheren Stufe stehen als beim ungestörten Verlauf der Entwicklung — wir sprechen dann
von H y p o p l a s i e oder von H e m m u n g s b i l d u n g e n —, oder das infizierte Organ geht
in irgend einer Beziehung hinsichtlich seiner Gewebeausbildung über die des entsprechenden normalen
Organs hinaus, sei es, daß die Zellen größer werden als im Normalfall, oder sich öfter teilen, so daß
zellenreichere, schichtenreichere Gewebe zustande kommen, sei es, daß die histologische Ausbildung
und die endgültige Differenzierung der Zellen und Gewebe in Bahnen verläuft, die sich von den Wegen
der normalen Ausbildung mehr oder minder auffällig unterscheiden. Handelt es sich bei der Bildung
des abnormen Gewebes um abnormes Wachstum der infizierten Zellen, ohne daß sich diese teilen,
so wollen wir von H y p e r t r o p h i e reden; treten abnorme Zellenteilungen auf, so liegt H y p e r p
l a s i e vor. Gallen, die hinsichtlich ihrer Gewebeausbildung „Hemmungsbildungen“ darstellen,
zeigen unter dem Mikroskop natürlich nur Bilder, welche aus der Entwicklungsgeschichte des
betreffenden Organs schon irgendwie bekannt sind; bei den durch abnormes Wachstum oder durch
abnorme Teilungen zustande gekommenen Bildungen dagegen handelt es sich um neuartige
Strukturverhältnisse, die sich von der Struktur der normalen — völlig entwickelten oder noch unfertigen
— Organe mehr oder minder auffällig unterscheiden.
Daß viele Parasiten an den infizierten Pflanzenorganen Hemmungsbildungen im anatomischen
Sinne zustande kommen lassen, kann nicht bezweifelt werden. Allenthalben sieht
man z. B. unter der Einwirkung vieler Aphiden die anatomische Differenzierung der Blätter
„unvollkommen“ bleiben: das Mesophyll, das sich normalerweise in mehreren deutlich unterscheidbaren
Schichten Palissadenparenchym und Schwammparenchym entwickelt, bleibt homogen
oder zeigt die Differenzierung minder ausgesprochen als in normalen Teilen; die Gefäßbündel
fallen dürftiger aus als bei ungestörter Entwicklung, das mechanische Gewebe bleibt schwach
u. dergl. m.
Entschieden häufiger ist aber der Fall, daß sich gewisse Erscheinungen der Hypoplasie kombinieren
mit Vorgängen hypertrophischer oder gar hyperplastischer Natur. Bei sehr vielen, von Rostpilzen
(Uredineen) infizierten Pflanzenteilen sehen wir, wie zwar die Gewebedifferenzierungen vereinfacht
erscheinen, — das Mesophyll unvollkommen oder gar nicht in Palissaden- oder Schwammgewebe
unterschieden, das Collenchym oder Sklerenchym spärlich ausgebildet oder gar nicht vorhanden
—, daß aber die Zellen des Grundgewebes und auch der Epidermis sehr viel größer und nicht
selten auch zahlreicher sind als in entsprechenden normalen Pflanzenorganen.
Ob in denjenigen Fällen, in welchen irgend welche Parasiten nur Hypoplasie, — ohne Kombination
mit Hypertrophie oder Hyperplasie — hervorrufen, füglich noch von Gallen gesprochen werden
darf, muß zweifelhaft bleiben. Denn bei reiner Hypoplasie liegen ausschließlich Wachstums-, Ge-
staltungs- und Differenzierungsprozesse vor, die weder an sich abnorm sind, noch in abnormer Kombination
sich abspielen; das Abnorme in der Histogenese derartiger Organe liegt offenbar nur darin,
daß bestimmte Wachstums- und Differenzierungsprozesse ausbleiben. Ich verweile bei dieser Frage
nur, um mit ihr zu zeigen, wie schwer es unter Umständen sein kann, zu entscheiden, ob ein abnormes
Gebilde, das unzweifelhaft der Einwirkung von Parasiten seine Entstehung verdankt, als „Galle“
angesprochen werden darf oder nicht.
Schon deswegen, weil die Hypoplasien, wie wir eben angeführt haben, dem Histologen nichts
Neues bringen, sondern immer nur das von frühen Entwicklungsstadien nicht infizierter Organe her
Bekannte zeigen, wird die Aufmerksamkeit der Gallenanatomen sich hauptsächlich denjenigen Gallen
zuwenden dürfen, welche durch Hypertrophie oder Hyperplasie zustande kommen. Die folgenden
Seiten sollen über alles Einschlägige kurze Auskunft geben und jede der Gallengruppen, die man auf
ihre anatomischen Strukturverhältnisse hin unterscheiden kann, mit einigen Beispielen erläutern.