Interesse verdient die von S o l m s - L a u b a c h studierte Galle der Ustilago Treubii auf P oly-
gonum; der Pilz veranlaßt krebsartige Geschwülsten, und aus den Beulen brechen spröde, succulente
Wucherungen von hutpilzähnlicher Gestalt hervor. In diesen Teilen bildet der Pilz seine Sporen
aus; die im Sporenlager sitzenden Zellen der Wirtspflanze wachsen merkwürdigerweise zu langen
Fäden aus, die an der Verbreitung der Sporen ähnlich mitzuwirken scheinen wie das Capillitium
der Myxomycetenfrüchte.
Auch an die Bildung von Staubgefäßen in den von Ustilago antherarum infizierten weiblichen
Blüten der weißen Lichtnelke darf hier nochmals erinnert werden.
Ferner hat man verschiedene histologische Einzelheiten, die an Pilzgallen wahrnehmbar sind,
ja sogar dasVerhalten der Kerne in den infizierten Zellen als zweckmäßig für den Parasiten zu deuten
gesucht; ich möchte auf diese Versuche umso weniger eingehen, als es sich mir auch hier keineswegs
um hinreichend begründete Deutungen zu handeln scheint.
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Wenn es nun als sieter betrachtet werden darf, daß viele Eigentümlichkeiten der (lalle zweckmäßig
für den Parasiten sind, so muß die Frage sieh atifdrängen, ob die Wirtspflanze für die Materialunkosten,
welche die Produktion umfangreicher Gallengebilde mit sifeh bringt, durch irgend jviälche
Gegenleistungen entschädigt wird. Inhaltsreiche FuttergewebCV deren- Stoffe nicht unmittelbar
der sie produzierenden Pflanze, sondern irgendwelchen Tieren zugute kommen, wenlcÄiuch unter
normalen Verhältnissen von den Pflanzen oftggbildet, z. B. als'ileischiges Perilcarp; wir nehmen aber
an, daß die Konsumenten dieser Nährstoftnmgazine den Pflanzen insofern einen Gegendienst leisten,
als sie beim Verzehren der Futtergewebe Samen und Früchte verbreiten helfen. Eiweiß- und
fettgefüllte Futterhaare, die sich in mancher Beziehung m it ||p n Nährhaafen bestimmter Gallen
vergleichen lassen, sind von verschiedenen Orchideenblüten her bekannt tfitie locken Insekten an
und nötigen diese, das Bestäubungsgeschäft zu besorgen.
Soweit unsere Einsicht in die Physiologie der Gallen und der gallentragenden Pflanzen zurzeit
ein Urteil zuläßt, besteht bei den Gallen keinerlei Mutualismus: für die Wirtspflanzen bedeutet allem
Anschein nach die Produktion von Gallen rückhaltslos einen Verlust an Substanz und eine. Schädigung,
die allerdings in den meisten Fällen belanglos bleibt. Ich brauche aber nur an die Wirkungen der
gallenerzeugenden Phyfloxera zu erinnern, um zu zeigen, wie stark die von den Gallen und ihren
Erzeugern ausgehenden Schädigungen unter Umständen werden können.
Als Ausnahme kämen vor allem nur die von Bacterium radicieola erzeugten Wurzelgallen
der Leguminosen in Betracht: Welcher Nutzen hier von den Gallen und Gallenerzeugem für die Wirtspflanzen
ausgeht, ist hinlänglich bekannt. Ob sie aber aus eben diesem Grunde noch zu den Gallen
gerechnet werden dürfen, hängt von der Definition ab, die wir von dem Begriff der Galle geben wollen.
Auch die oft zitierten Beziehungen zwischen der Motte Pronuba und den, Yuccablüten und
-fruchtknoten mögen hier ihre Erwähnung finden.
Die Weibchen der Pronubamotten besorgen nicht nur die Bestäubung der Yuceablüten unter
merkwürdig komplizierten Verrichtungen, sondern legen auch ihre Eier in den Yuccablüten nieder,
indem sie die langgestielten Eier zwischen die Samenknospen des Fruchtknotens einführen; die an
der Infektionsstelle liegenden Ovula bleiben in ihrer Entwicklung zurück, während die entfernter
liegenden stark anschweflen. Die Larve frißt einige Samenanlagen auf und verläßt dann den
Fruchtknoten.
Ob hier von Gallenbildung gesprochen werden darf, mag dahingestellt bleiben.
Bei der Befruchtung derEI Feigenblüten durch Blastophaga spielen zwar die sogen. Gallenblüten
des ( apriiicus eine Bolle und Man rechnet auch vielfach die Blastophagen, welche die Bestäubung
vermitteln, zu den Gallenbildnern; gleichwohl glaube ich d ie se Beziehungen hier übergehen zu dürfen.
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Das Problematische hegt hiernach bei den Gallen darin, daß mit ihnen von den Pflanzen
Gebilde erzeugt werden, die der Entwicklung der Pflanzenfeinde Vorschub leisten, die also insofern
für die Pflanze selbst schädlich sein müssen. Die gelegentlich geäußerte Auffassung, daß die Gallenbildung
ein für die Wirtspflanze förderlicher Vorgang s ä da durch ihn der Fremdling und Schädling
eingekerkert, umkapselt und durch die Wachstumsbewegung des infizierten Gewebes oft sogar aus dem
Leibe der Pflanze herausgetragen wird, scheint mir zur Lösung der hier angedeuteten Fragen nichts
beizutragen.
Hie und da macht Sich bei den. Autoren die Tendenz bemerkbar, alle und jede Eigentümlichkeit
der Gallen als zweckmäßig für den Parasiten zu deuten, die äußerlich wahrnehmbaren morphologischen
Charaktere ebenso gut wie die Strukturen der Gewebe und Zellen. Ich halte es für unausbleiblich,
daß bei. solchen Bestrebungen sehr viele unzutreffende und gezwungene Deutungen herauskommen
müssen.
Zur richtigen Stellungnahme wird uns, wie mir scheint, auch hier die z. B. von Berthold klar
dargelegte Auffassung führen, nach welcher die Einzelheiten der Organisation, die wir bei den Pflanzen
wahrnehmen, „nicht auf Schritt und Tritt das Ergebnis zweckmäßiger Anpassungen“ sind, „sondern
• sie sind das Produkt eines blindwirkenden Mechanismus, der zwar im ganzen zweckmäßig arbeitet
d e r aber im einzelnen auf Schritt und Tritt auch Unzweckmäßiges oder doch Nutzloses oder Gleichgültiges
schafft“. Das gilt nicht nur für die Histologie Und Morphologie der normalen Individuen,
sondern auch für die Beurteilung vieler pathologisch veränderter Organe Und Gewebe, insbesondere
auch für die Gallen.
Daß bei diesen viele- Struktureigentümlichkeiten nutzlos und gleichgültig für den Bewohner
sind, ist durchaus sicher. Die mannigfaltigen Anhängsel, die bei so vielen Gallen höchst charakteristische
Kennzeichen abgeben, sind für den Bewohner S # Galle zweifellos-ebenso gleichgültig wie die
auffälligen Haarformen, die sich auf manchen Cynipidengallen finden, die merkwürdigen Sekretorgane,
die die Oberfläche der Gallen hie und da mit ihren lackähnlichen Produkten überziehen usw. Insbesondere
dürften die Kennzeichen vieler organoijfe Gallen schwerlich sich als zweckmäßig für den
Gallenerzeuger deuten lassengifedi vorurteilsfreier Betrachtung ihrer Strukturverhältnisse wird zugegeben
werden müssen, daß die Bildung von überzähligen Laubblätterü am Zitterpappelsproß
(Gallen von Krioithyea dispar), die Produktion von Wurzeln an der Poaegalle, die Proliferationen
infizierter Blüten, die Bildung von Tragblättern in den Inflorescenzen der Gruciferen für die Gallentiere
ebensowenig Bedeutung haben und Vorteil bringen wie die Umwandlung eines Sproßabsehnittes
des Kirschbaumes zum Hexenbesen für Exoascus Cerasi!
Daß die „Zweckmäßigkeit“ der Gallen für den Gallenerzeuger und Gälienbewohner mit
Skepsis beurteilt werden müß, lehren auch diejenigen Fälle, in welchen -— wie wir seit kurzer Zeit
wissen — „fakultative“ Gällenbilduüg vorliegt. M o llia rd hatgezeigt, daß einDorytomus sich auf den
männlichen Inflorescenzen von Salix caprea ebensogut entwickelt, wenn sich die für ihn charakteristischen
Gallen aus irgend einem Grunde nicht entwickeln; wie wenn sie zur Ausbildung kommen.
Zoologica. H e f t 61, 2 0 ‘