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 Im nachfolgenden Kapitel soll nicht von den äußeren Formverhältnissen der Gallen überhaupt  
 die Rede sein, sondern nur von denjenigen Gallen, bei welchen es sich um Umwertung von O r g a n e n   
 oder  um  Neubildung  von  solchen  handelt,  d.  h.  von  denjenigen Gallen,  die  ich  oben  als  organoide  
 bezeichnet  habe. 
 Dio Gestaltungsvorgänge, welche den Unterschied zwischen normalen Pflanzenorganen und den  
 aus  ihnen  hervorgegangenen  organoiden Gallen  ausmachen,  können  sehr  verschieden sein.  Zunächst  
 kann  es  sieh  um  Umbildung  von  Organen  handeln  z.  B.  um  die  Bildung  von  Niederblättern  statt  
 Laubblättern,  um  die  Bildung  von  Laubblättern  statt  Nebenblättern,  um  die  Füllung  der  Blüten,  
 um  Verwandlung  der  Fruchtknoten  zu  freien  Karpellen  u.  dergl.  m.,  —  oder  es  kann  Neubildung  
 von  Organen  eintreten,  d.  h.  Neubildung  von  Wurzeln,  SproBscn,  Blättern,  Geschlechtsorganen.  
 Zu  einer  dritten  Kategorie  möchte  ich  die  Achsenstauchungen  vereinigen,  welche  zur  Bildung  von  
 Blattschöpfen oder artischokonähnlichen Gallen an vielen Kraut- und Holzpflanzen führen.  Schließlich  
 sind  die  Hexenbesen  zu  nennen,  die  durch  abnormale  Verzweigung  infizierter  Sproßabschnitte  
 zustande  .kommen. 
 Ich  nannte  in  den  vorangehenden  Zeilon  die  verschiedenen  Gestaltungsprozesse,  die  beim  
 Zustandekommen  organoider  Gallen  beteiligt  sind:  in  vielen Fällen  sehen wir  aber,  daß  bei  Bildung  
 e i n e r   Gallenform es sich um mehrere dieser Vorgänge gleichzeitig handeln kann, so daß das „Krankheitsbild“, 
   das  eine  Galle  aufweist,  z.  B.  durch  die  Kombination  von  Organ - U mb i 1 d u n  g  
 und  Organ - N e u b i l d u n g   gekennzeichnet  worden  kann. 
 Folgende  Beispiele mögen  für  die  Erläuterung  des  Gesagten  genügen. 
 1.  Umbildung  von  Organen. 
 Göbol   vor  allem  hat  gezoigt,  daß  man  durch  relativ  einfache  experimentelle  Eingriffe  die  
 Pflanze  zur  Bildung  von  Organen  bringen  kann,  die  sich  wesentlich  von  denjenigen  unterscheiden,  
 die  beim  normalen  Fortgang  der  Entwicklung  entstehen.  Durch  Entgipfelung  und  Entblätterung  
 kann  nmn  bei  Prunus  Padus  dort,  wo Knospenschuppen  zu  erwarten waren,  Laubblätter  entstehen  
 lassen,  und  durch  andere  Eingriffe  verschiedener  Art  gelingt  es  an  vielen  Pflanzen,  ihre  „Jugendfora!“ 
   wieder  hervorzurufen,  d.  h.  diejenigen  Organformen,  die  bei  normaler  Entwickelung  des  
 Pflanzenindividuums  nur  für  seine  frühesten  Entwicklungsphasen  charakteristisch  sind. 
 Ähnliche Organumformungen und -Umwertungen werden durch sehr zahlreiche gallenerzeugende  
 Pilze  und  Tiere  hervorgerufen.  In  vielen  Fällen  entsteht  statt  der  erwarteten  Organform  eine  
 „niedrigere“,  einfachere Form,  so  daß  wir  an  Göbel s   Untersuchungen über Jugendformen  erinnert  
 werden  und von Hemmungsbildungen  zu sprechen Veranlassung haben;  in anderen Fällen  entstehen  
 umgekehrt  statt  der  erwarteten  einfachen  Organformen  sehr  viel  kompliziertere. 
 Sowohl  an  vegetativen  Sproßabschnitten  als  auch  an  den  Blüten  sind  organoide  Gallen  der  
 in  Rede  stehenden  Art  zu  finden. 
 Vereinfachung  der  Blattform  ist  bei  vielen  Blattschöpfen  anzutreffen:  die  von  verschiedenen  
 Dasyneuren  hervorgerufenen  Schöpfe  an  Euphorbiaarten  bestehen  aus  ähnlich  einfachen  Blättern,  
 wie  sie  an  den  von  Uromycesarten  infizierten  Exemplaren  von  Euphorbia  cyparissias  anzutreffen 
 sind.  Bei Besprechung der  „äußerlichen“  „Gallen mit unbegrenztem Wachstum“  stellt  Beye r inck  
 eine ganze Gruppe von Knospengallen  zusammen,  bei welchen  sämtliche Blätter stets  zu  niederblattartigen  
 Organen  reduziert  sind;  die  von  Li via  juncorum  an  verschiedenen  Juncusarten  erzeugten  
 Gallen  interessieren  uns  insofern,  als  bei  ihnen  der  Scheidenteil  der  infizierten  Blätter  dermaßen  
 vergrößert,  der  Spreitenteil  so  stark  reduziert  ist,  daß  das  Aussehen  der  Blätter  vollständig  verändert  
 erscheint. 
 Sehr  überraschend  sind  die  Veränderungen,  welche  Eriophyes  dispar  an  den  Zweigen  von  
 Populus  tremula  hervorruft:  die  normalerweise  unscheinbaren  und  hinfälligen Nebenblätter  werden  
 sehr  oft  zu  stattlichen  Laubblättern,  so  daß  immer  drei  Laubblätter  nebeneinander  an  der  Achse  
 inseriert  stehen;  das  mittelste  entspricht  dem  auch  an  normalen  Zweigen  vorhandenen.  Die  drei  
 zusammengehörigen  Laubblätter  können  miteinander  in  mannigfaltiger  Weise  verwachsen. 
 Organumformungen  treten  auch  in  der  Blütenregion  auf:  Copium  Teucrii  verwandelt  z.  B.  
 die  Kronen  des  Teucrium  montanum  in  große,  bauchige  Urnen,  die  an  der  Spitze  durch  ihre  fünf  
 ungleichförmigen  Zipfelchen  noch  die  Zygomorphie  der  normalen  Krone  andeuten. 
 Sehr mannigfaltig  sind  die  durch  Gallenmilben,  Hemipteren  u.  a.  in  Blüten  hervorgerufenen,  
 als  Vergrünungen  wohlbekannten  Organumwandlungen.  Ganz  ähnliche  Veränderungen  sind  von  
 zahlreichen  Pilzgallen  her  bekannt. 
 Als  Beispiel mögen  die  auf  verschiedenen Cerastiumarten  durch Trioza Cerastii,  auf Lonicera-  
 arten  durch  Siphocoryne  xylostei  hervorgerufenen Chloranthien,  die  von  Peyr i t s ch  an Cruciferen  
 studierten Aphidengallen, die Chloranthien verschiedener Veronica-  (Eriophyes anceps) und Gentiana-  
 arten (E. Kerneri)  erwähnt werden.  Als mycogene Vergrünungen seien die von Albugo auf Cruciferen  
 erzeugten  genannt. 
 Werden  die  Staubblätter  zu  petaloiden  Organen  umgewandelt,  so  entstehen  gefüllte  Blüten.  
 Gallmilben „füllen“ die Blüten von Valerianella carinata, die überdies unter dem Einfluß der Infektion  
 ihre  abnorm  vergrößerten  Blumenblätter  zu  fleischigen  Scheiben  vereinigen.  Bei  Rhododendron  
 ferrugineum  u.  a.  werden  nicht  nur  Staub-  und  Fruchtblätter  zu  Blumenblättern  umgewandelt  
 (Infektion  durch  Eriophyes  alpestris),  sondern  es  tritt  noch  eine  Teilung  der  Organanlagen  ein,  so  
 daß  sehr  zahlreiche Blumenblätter  die Blüte voll werden  lassen.  Eriophyiden  machen  die Blüten  
 verschiedener  Ranunculusarten  sehr  stattlich. 
 Ganz  ähnliche Blütenfüllungen  treten unter dem Einfluß  von  parasitisch  lebenden Pilzen  ein.  
 Ustilago  saponariae  füllt die Blüten  von  Saponaria  officinalis,  Peronospora violacea  die von Knautia  
 arvensis  usf. 
 Zu  den  Organumwandlungen  ließen  sich  noch  eine  Reihe  anderer  Anomalien  stellen,  z.  B.  
 die  Teilung  der  Kompositenköpfchen  in  mehrere  kleine,  die  Verbänderungen  oder  Fasciationen,  
 die  Bildung  von  Schlauchblättern  oder  ähnlichen Mißgestalten  u.  a.  m. 
 2.  Neubildung  von  Organen. 
 Wurzeln  und  Sprosse  können  unter  dem  Einfluß  von  gallenerzeugenden  Parasiten  „neu“  
 gebildet  werden. 
 Beispiele  für  adventive Wurzelbildung  liefern  die  bekannten  Grasknotengallen,  welche  
 Mayetiola  poae  an  den  Halmen  von  Poa  silvestris  hervorruft:  an  den  Infektionsstellen  entstehen  
 zahllose feine Würzelchen.  Daß Pontaniagallen  (P.  salicis) sich auf Boden oder feuchtem Sand leicht