Soweit heute die Beobachtungen an unseren Waldbäumen reichen, spielt bei der Übertragung
der Gallmilben auf räumlich entfernte Nährpflanzen der W i n d eine hervorragende Bolle. Heftige
Windstöße reißen im Sommer das gallentragende Laub von den Zweigen und führen es weit fort,
bis es beim Nachlassen des Windes oder beim Zusammentreffen mit Hindernissen niederfällt und
im Windschatten liegen bleibt. Umgeben von der schützenden Galle, können ihre Bewohner tagelang
den schädlichen Witterungseinflüssen und allen Fährlichkeiten einer weiten Luftreise trotzen. Sobald
die auf dem Boden herumliegenden Blätter zu vertrocknen beginnen, verlassen die Milben in Scharen
die Gallen und wandern ziellos nach allen Richtungen. Viele gehen auf diesen Wanderungen zu gründe
und nur eine kleine Zahl erreicht ihr Ziel: sie gelangen auf passende Nährpflanzen und werden Gründerinnen
neuer Kolonien, die wiederum neue I n f e k t i o n s z e n t r e n bilden, von welchen die
Ausbreitung der Parasiten weitersehreitet. Das Vordringen einer Art wird sich umso rascher vollziehen,
je individuenreicher und verbreiteter ihre N ä h r p f l a n z e im Gebiete und je größer die
Zahl der Substrate ist, auf welchen sie zu leben vermag. Dabei darf nicht übersehen werden, daß
die in einer Gegend vorherrschende W i n d r i c h t u n g i n d e r R e g e l e i n e b l e i b e n d e
V e r b i n d u n g z w i s c h e n d e n M u t t e r p f l a n z e n u n d i h r e n S ä m l i n g e n
schafft, welche die Ausbreitung der Gallmilben außerordentlich zu fördern im Stande ist. örtliche
Verhältnisse wehren vielfach den Winden die mitgefühften Blätter und Samen, die beim Nachlassen
des Windes zu Boden gefallen sind, wegzublasen und weiterzuführen. Im Lauf der Jahre entwickeln
sich an solchen windgeschützten Örtlichkeiten, an .Hecken, Zäunen, Berglehnen, in Gräben, Mulden
u. dgl., aus den Samen, die Herbststürme aus der Ferne hierher brachten, dichte Bestände von
Sämlingen und jungen Pflanzen; heftige Gewitterstürme im Sommer bringen an dieselben Orte das
von den Zweigen der Bäume gerissene, gallentragende Laub und lagern es zwischen den jungen
Stämmchen ab. Samen und Laub stammen gar häufig von denselben Bäumen; dadurch wird die Wahr-
scheinlichkeit, daß der Parasit auf seinen Wanderungen eine passende Nährpflanze erreicht, außerordentlich
gesteigert. In der Tat haben fortgesetzte Beobachtungen zur Erkenntnis geführt, daß
sehr allgemein die Infektion der Sämlinge durch das gallentragende Laub der Mutterbäume erfolgt,
sie haben aber auch unzweifelhaft dargetan, daß die Bäume nicht als Hochstämme durch Vermittlung
fliegender Insekten, sondern bereits zu einer Zeit, wo sie noch niedrige, glattrindige Stämmchen waren,
von Gallmilben besiedelt worden sind, die vom Boden her einwanderten und sehr wahrscheinlich
aus den Gallen der Mutterbäume stammten : die Gallenkolonien in den Kronen hochstämmiger Bäume
sind daher kaum weniger alt als diese; ihr Ursprung reicht bis in die ersten Lebensjahre ihrer
Träger zurück.
-Eine Infektion von Bäumen in späterem Alter ist selten einwandfrei nachweisbar und überhaupt
nur unter ganz besonders günstigen Umständen möglich, so z. B. durch gallentragende Zweige, die
in die Krone eines Nachbarbaumes derselben Art ragen, durch Stammausschläge nahe am Boden,
endlich durch Äste, die tief bis auf den Boden berabhängen.
Für die Ausbreitung der Gallmilben der Nutz- und Ziergewächse sorgt nicht selten unbedacht
der Mensch, indem er die zur Vermehrung derselben bestimmten Augen, Reiser, Stecklinge und
Ableger von infizierten Mutterpflanzen nimmt. Diesem Umstand ist die starke Verbreitung der Filzkrankheit
des Weinstockes, der Pockenkrankheit des Birnbaumes, der Knospenverbildung von Ribes
nigrum L. und Syringa vulgaris L., des „Wirrzopfs“ der Salix babylonica L. u. a. m. zuzuschreiben.
Über die Verbreitung der Gallmilben, welche auf krautigen Pflanzen leben, liegen Beobachtuogen
nicht vor; wahrscheinlich spielt auch hier der Wind eine große Rolle. Es ist ganz gut denkbar, daß
Milben, welche sich auf ihren Wanderungen gerade auf herumliegenden Blättern, Rindenstückchen
u. dgl. befinden, vom Wind mit diesen weggeblasen werden; aber auch die Möglichkeit, daß vom
Wind gallentragende Teile der Wirtspflanze abgerissen, ja, ganze Pflanzen vom Boden getrennt und
fortgeführt werden, ist nicht ausgeschlossen. Gewiß ist es keine zufällige Erscheinung, daß an Orten,
wo bei Stürmen große Mengen von Laub und Bodenstreu zusammengetragen werden, wie in Mulden
an Zäunen, Waldrändern, im Hochgebirge zwischen Felsblöcken gallentragende Pflanzen häufiger zu
finden sind als im offenen Gelände.
Klima und Bodenbeschaffenheit, welche die Vegetation beeinflussen und den Charakter derselben
bestimmen, sind indirekt auch für die g e o g r a p h i s c h e V e r b r e i t u n g der Gallmilben
maßgebend. Die Gallmilben sind über äfle Erdteile verbreitet; die Grenze ihrer Verbreitung in horizontaler
wie in vertikaler Richtung ist die Schneegrenze. Über die Verbreitung der einzelnen Arten
ist noch sehr wenig bekannt; im allgemeinen wird man annehmen können, daß sie mit der Verbreitung
ihrer Wirtspflanzen im engen Zusammenhang steht. Daß aber auch klimatische Faktoren dabei
mitbestimmend sind, geht klar aus der Tatsache hervor, daß gewisse Cecidien in manchen Gebieten
häufig sind, während sie im Nachbargebiet fehlen, obgleich die Wirtspflanze da und dort gleich häufig ist.
Zahllose Gallmilben unterliegen Jahr für Jahr auf ihren Wanderungen der Ungunst der Verhältnisse
und nur wenigen gelingt es, auf eine andere Nährpflanze zu gelangen. Erhöhte F r u c h t b a r k
e i t und B r u t s c h u t z sind auch hier Mittel, um die durch die alljährliche Massenvernichtung
in ihrer Existenz bedrohte Art vor dem Aussterben zu schützen. Wohl fehlen direkte Beobachtungen
über die Lebensdauer eines Individuums und die Zahl der von einem Individuum während
seines Lebens produzierten Eier, doch läßt die erstaunliche Entwicklung der weiblichen Gonade und
die große Zahl der Oocyten auf eine große Fruchtbarkeit schließen. Nicht eutfernt kann jedoch
dieselbe mit der Fruchtbarkeit vieler Entoparasiten ( Taenia, Ascaris) verglichen werden, die sich
durch ihre Eier ausbreiten, wegen ihrer seßhaften Lebensweise aber nicht in der Lage sind, für
ihre Brut zu sorgen. Die Massenproduktion von Eiern führt notwendig zu einer Verminderung der
Eigröße und damit zur Larvenentwicklung, welche eine bedeutende Verzögerung der ontogenetiscben
Entwicklung zufolge hat. Anders liegen die Verhältnisse bei den Gallmilben; ihre Ausbreitung
erfolgt, wie wir sahen, nicht durch Eier, sondern zumeist durch geschlechtsreife Weibchen, die auf
eine andre Nährpflanze übersiedeln. Für die Erhaltung der Art ist also die Entwicklung einer möglichst
großen Zahl von Eiern zu geschlechtsreifen Tieren von größter Bedeutung. Die Grundbedingung
hiezu ist durch den ausgiebigen B r u t s c h u t z gegeben, welchen die Gallen ihren Erzeugern gewähren:
er drückt einerseits die Vernichtungsziffer auf ein Minimum herab, so daß bei einigermaßen
günstigen Verhältnissen die Vermehrungsziffer der Adultenziffer (Pl a t e ) gleichkommt, er ermöglicht
andrerseits eine starke V e r k ü r z u n g d e r o n t o g e n e t i s c h e n E n t w i c k l u n g und
damit indirekt eine Steigerung der Individuenzahl während einer Fortpflanzungsperiode. Infolge
des Brutschutzes sind die Eier reicher mit Bildungsmaterial ausgestattet und die jungen Tiere verlassen
bereits in einem weit vorgeschrittenen Entwicklungsstadium die Eihülle; sie gleichen den Elterntieren
vollkommen und ernähren sich wie diese, sind also keine Larven im eigentlichen Sinn (C a r u s, 1852).
Schon nach der zweiten Häutung werden sie geschlechtsreif. Direkte Beobachtungen über die Dauer
der einzelnen Jugendstadien fehlen; mutmaßlich ist diese aber unter günstigen Verhältnissen sehr
kurz. Täglich vorgenommene Untersuchungen von Cory lus - Knospen ergaben, daß von dem Zeitpunkt,
wo die ersten Eier gefunden wurden, bis zum Erscheinen von Larven 6—8 Tage verstrichen;
nach ungefähr derselben Zeit kamen die ersten Larven in Häutung zur Beöbachtung. Die Entwick