Noch viele andere Daten von hervorragender Wichtigkeit ließen sich den wenigen hier
genannten anreihen.
Die Fortschritte der neuesten Zeit liegen vor allem in einer genauen Durchforschung der
europäischen Gallenflora und der sorgfältigen Beschreibung der zahlreichen unterschiedlichen Gallenformen.
Recht gut spiegeln sich die Fortschritte der Gallenforsehung wenigstens nach -dieser
floristischen und deskriptiven Richtung in den Gallenkatalogen verschiedener Zeiten: H a i m-
h o f f e n kannte im Jahre 18.58 ungefähr 300 Gallen; S c b l e c h t e n d a l s Anleitung zur Bestimmung
der „Gallbildungen (Zoocecidien) der deutschen Gefäßpflanzen“ (1891) kommt auf 1315
Nummern, und das neueste Gallenverzeichnis, das H o u a r d 1909 veröffentlicht hat (Les
Zoocécidies des plantes d’Europe et du bassin de la Méditerranée, 2 tomes) gibt von nicht
weniger als 6279 Gallen eine kurze, aber zur Bestimmung durchaus genügende Beschreibung.
Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel, das den Gallenforschem erst seit kurzem zur Verfügung
steht, sind die eocidiologischen Herbarien: zuerst gaben seit 1890 H p r o n y m i n und P a x
ein „Herbarium cecidiologicum“ heraus, das später von D i t t r i e h und P a x fortgesetzt
wurde. 1000 kam die von T r o t t h r und ;Ge c c oni herausgegebene „Gecidotheca italica“
hinzu und seit 1907 sind bereits mehrere Fascikel der „Zoocecidia et Gaeidozoa imprinjis provinciae
Rhenanae“ erschienen, die von G r e v i l l i u s und N i e s s e n edidiert werden.
Schließlich müssen wir noch erwähnen, daß 1902 T r o 11 e r eine internationale Zeitschrift
für alle Interessen der Cecidiologie begründet hat. Marcello Malpighi zu Ehren nannte er sie
Marcellia; bisher liegen acht Bände von ihr vor.
Daß die Gallen nach ändern Gesichtspunkten als den floristischen ebensogut erforscht wären
wie nach diesen, läßt sich noch keineswegs behaupten. Die vorzüglichen Arbeitsmittel, die uns mit
den in der internationalen Literatur nun vorliegenden großen Katalogen und Bestimmungsbüchem
gegeben worden sind, berechtigen uns aber zu der Hoffnung, daß auch die ändern Probleme, die
Fragen nach der Anatomie und Physiologie der Gallen, in nicht allzufemer Zeit gründlichere Behandlung
finden werden als bisher. Ein hervorragender französischer Biologe und Gallenkenner,
Al f r e d ' Gi a rd, ermutigt zu solchen Forschungen mit folgenden Worten: „Nulle.partie de Ja
biologie n’est plus propre que lä; cecidiologie ä inspirer des recherches passionnantes dans des
directions plus diverses et oú Pon soit sur d'arriver le plus rapidement -a des resultats d une
haute importance generale“.
I. Definition des Begriffs der Gallen.
Daß man ursprünglich unter Gallen nur die auffallendsten Formen dieser Art — die „Galläpfel“
und ähnliche mehr — bezeichnet hat, darf als sicher angenommen werden.
Für die wissenschaftliche Erforschung der Gallen, die auffallende und unscheinbare Formen
gleichermaßen zu berücksichtigen hatte, konnte diese Begriffsumgrenzung selbstverständlich nicht
ausreichen, und Thomas erkannte sehr richtig, daß eine treffende Definition des Begriffs der „Gallen“
der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Gebilden keine geringe Förderung bringen müßte.
T h o m a s verdanken wir die erste wissenschaftliche Begriffserklärung, nach welcher „jede
durch einen Parasiten veranlaßte Bildungsabweichung der Pflanze“ als Galle bezeichnet werden soll.
Der Autor fährt fort: „Das Wort Bildung ist in dieser Erklärung zugleich im Sinne des Prozesses
’(also aktiv), nicht nur seines Resultates zu nehmen. Eine abweichende Form zeigt jedes von einer
Raupe angefressene oder minierte Blatt. Solche Veränderungen wird niemand den Cec-idien beigesellen.
Zur Natur der letzteren gehört die aktive Teilnahme der Pflanze, die Reaktion derselben
gegen den erfahrenen Reiz“.
Ich habe bereits bei früherer Gelegenheit hervorgehoben, daß die von T h oma s gegebene
Definition vielleicht etwas zu weit ist und der Einschränkung bedarf. Wenn irgend welche Tiere an
Pflanzen nagen und ihr Grundgewebe oder ihr Cambium zur Produktion von Calluswucherungen
oder Wundholz anregen, so kann es sich sehr wohl um eine durch einen Parasiten veranlaßte Bildungsabweichung
handeln; trotzdem dürfte es nicht immer zulässig sein, von einer Gallenbildung zu sprechen,
selbst dann, wenn der die Pflanze angreifende Organismus in nächster Nähe des vom Wirtsorganismus
produzierten abnormalen Gewebes bleibt, wie es z. B. der Fall ist, wenn der von irgend einer Larve
gefressene Miniergang in einem Blatte sich hinter dem weiterarbeitenden Tier mit Callusgewebe füllt.
Neuerdings haben insbesondere die Studien von M o 11 i a r d gelehrt, daß Mißbildungen,
welche echten, unzweifelhaften Gallen außerordentlich ähnlich sind, an vielen Pflanzen entstehen
können, wenn in weiter Entfernung von dem abnorm sich gestaltenden Teil der Wirtspflanze parasitische
Organismen sich ansiedeln — gleichviel ob Pilze oder tierische Feinde. Ein solcher Parasit
„agissant ä distance“ ist z. B. Hylastinus obscurus, der durch Fraß an den vegetativen Teilen von
Trifolium repens abnorme Blüten entstehen läßt, welche die von vielen Gallen her wohlbekannten
Erscheinungen der Vergrünung und Proliferation zeigen. Ähnliche Fälle sind für Melilotus arvensis,
Senecio jacobaea u. a. beschrieben worden; ein Dematium-artiger, auf den Wurzeln von Primula
officinalis lebender Pilz ruft nach M o 11 i a r d Blütenfüllung hervor u. a. dergl. m.
In Fällen dieser Art läßt uns ebenfalls die von T h oma s gegebene Definition im Stich.