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Felsen herabscluesst. Es war leider schon zu spät, als wir hier aukamen, um für
heute noch eine Zeichnung dieser interessanten Naturscene aufzunehmen. Wir versuchten
eiu Unterkommen für die Nacht in der Mülile zu finden, die ein geräumiges
Haus war, alleiu unsere Landsleute (die Mutter des Mannes war noch in Deutschland
geboren), konnten oder wollten uns nicht beherbergen. Man gab uns von dem
Wasser des Baches zu trinken, welches einen stark eisenhaltigen und schwefeligen
Geschmack hatte. Da durchaus kein Unterkommen iu der Nähe war, so wies man
uus an, noch 3 Meilen bis auf die Höhe des Gebirges zu machen, welchen Weg
Avir zAvar zurücklegteu, aber beinahe diesen Entschluss zu bereuen hatten.
Der Weg steigt an der Unken Bergwand des Salomon-Creek in dichtem
Walde über felsigen Boden aufwärts, so dass wir rechts beständig den steilen Abhang
neben uns sahen. Zwei Wagen konnten einander hier nicht ausweichen, zum
Glücke gehören jedoch Wagen in dieser abgeschiedenen Wildniss zu den Seltenheiten.
Da man uus gesagt hatte, dass es hier viel Wild gäbe, so wurden die
Gewehre mit Kugeln geladen. Wir zogen bergan, in eine Waldschlucht, wo eiu
Paar einsame, ärmliche uud von Baumstämmen erbaute Wohnungen kaum hinlänglich
Raum für eiu kleines Feldcheu oder verwildertes Gärtchen übrig liessen. Indem
der Weg immer wilder oder verwachsener Avurde, trat die Abenddämmerung ein,
und unsere Pferde konnten nur mit grösser Anstrengung den Wagen durch Felsen
und über umgefalleiie Stämme ziehen, und nur durch die grösste Aufmerksamkeit
Avurde das Umwerfen verhindert. Wir begegneten mehren vou der Waldarbeit mit
ihren Aexten uud Gewehren zurückkehrendeu Bauern, starken, wild aussehenden,
kräftigen Männern, deren plötzliche Erscheinung in solcher Abgeschiedenheit an
anderen Orlen Misstrauen erregt haben würde. Räuber giebt es in dieser Gegend
iiiclil, ich habe wenigstens nie vou ihnen gehört, allein man muss eingestehen, dass
die Gegend ganz für sie geeignet ist. Die schöne Lobelia cardinalis stand an
SumpCslelleu des Waldes iu solcher Menge, dass ihre Vereinigung eine schön rothe
Fläche bildete; auch wuchs hier sehr häufig Chelone obliqua mit ihren weisseu
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Blumen. Der Mond trat endlich zu unserer Erlösung hell und freundlich herv’or
und erleuchtete den finsteren Pfad der Abeulbeuerer. Auf der Höhe aiigekommen,
theilte sich der Weg, hier mussten wir wählen, und waren auch so glücklich, den
richtigen zu ti-effen. Um 9 Uhr Abends erblickten wir endlich ein uns freundlich
entgegen scliimmerudes Licht; ein einsames Häuschen auf einer freien Stelle lag
vor uns. Auf unser Klopfen wurde die Tliüre langsam geöffnet. Wir traten iu
eine ärmliche Hütte, in welcher zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere am
Kaminfeuer sassen; der Hausherr, ein gewisser W r ig h t, war abwesend. Unsere
beiden Wirthimieii Avareii von sehr langer Statur und rauchten ruhig aus kleinen
thönernen Pfeifen. Sie Avaren nicht wenig befremdet über deu späten Besuch, aUehi
das Feuer wurde sogleich neu angefaclit und Wasser aufgesetzt. Unser frugales
Abendessen, bestehend iu Kartoffeln und Kaffee, Avar bald volleudet, und wir
rulieten in unseren Kleidern auf leidlicben in einer leeren bodenartigeii Halle auf-
gestellteii Betten aus, welche, wie in diesem Lande beinahe immer, für zwei Personen
eingerichtet waren. Dieses Haus gehörte zu Hannover-Township, die Ansiedelung
selbst hatte aber noch keinen Namen. Man sprach hier nur englisch.
Nahe bei dem Hause rauschte der Wapalpi-Creek durch das Gebüsche der Bergschlucht
zu.
Die Nacht vergieiig schnell und um 6 Uhr des 30. August setzten wir die
Reise fort. Um eine Ansicht vou den Fällen des Salomon-Creek zu entAvcrfen,
trennte sich Bo dm e r von uns und gieng wieder nach der Mülile hinab, um später auf
einem anderen Wege, sich zu Bethlehem wieder mit uus zu vereinigen. Der Bruder
unseres Wirthes, J o h n W r i g h t , Avohute 3 Meilen von hier in einem wilden
kleinen Thale, wo wir das Frühstück einzunehmen beabsichtigten. Wir überschritten
den Wapalpi auf einer Brücke \-oii Bohlen, uud vertieften uus in den Wald,
der auch hier ununterbrochen die bergige Wildniss bedeckt, aber wieder durch
Brand ruinirt ist. Er besteht nur aus einem dichten Unterholze mit einzelnen höheren
Stämmen a'oii Laubholz und Kiefern. In der Morgeukühlung, wo die Gewächse
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