die jetzige Beschaffenheit dieser Meere zu zeugen.
Man hat nähmlich die merkwürdige Beobachtung gemacht,
dafs die Zeitströme der Nordsee und des Canals
einander zwischen Du n g e -Ne f s und R y e Bay (an
der südöstlichen Spitze Eng l ands ) begegnen, und
dafs hier die Fluth der Nordsee die des Oceans (oder
Canals) überwindet, Eine Stunde länger läuft, und das
Wasser einige Fufs höher hebt (1). Wahrscheinlich ist
es daher auch, dafs erst mit dem Durchbruche der Landenge
das Meer von den Ni e d e r l an d en abflofs, und
das, was bis dahin nur Sandbank und Untiefe war, als
trocknes Land zurückliefs. Aber von dem Zeitpuncte
an, da die Fluthen des nördlichen Oceans frey durch die
Meerenge strömten, fiengen sie auch an, an dem von
ihnen früher gebildeten Lande zu nagen, und von dem,
was sie einst unter anderen Umständen gebaut hatten,
wieder Manches zu zerstören; und der Sand, den die
Flüsse immerfort zuführten, wurde an vielen Orten,
wo ihm ehemals das Meer ein ruhiges Ansetzen gestattet
hatte, von demselben Meere weggeschwemmt, um an
ganz anderen Orten angesetzt zu werden.
Wenn ein Durchbruch des Oceans eine ehemalige
Landenge dort zerstört hat, so glauben wir, dafs dieses
vornehmlich v o n der Sei t e des Teut s chen Meeres
her geschehen seyn mufs, aus den so eben angeführten
Gründen; n i c h t von der Sei t e des Canals
her, wie Desmarest zu glauben scheint. Von
dieser Seite her mufs die Kraft des Oceans auf dem langen
Wege im Canal auf einem immer seichter werdenden
Grunde, schon viel verlieren, während sie in den
i) P. de Löwenörn Beschreibung der wachsenden Charte r.
d. Canale zwischen England und Frankreich. Teutsche
Uebers. Kopenhagen. 1817. 4. S. o.
weiten Busen des Teutschen Meeres ungeschwächt bis
in seinen tiefsten Hintergrund eindringt.
Eine dunkle Sage geht von einer Fluth , welche
man gewöhnlich die Cimb r i s c h e nennt, weil sie
das Volk der Cimb e rn aus ihren Wohnsitzen getrieben
haben soll, und es hat Leute gegeben, welche dieser
einzigen Fluth oder Ueberschwemmung einen wichtigen
Einflufs auf die Beschaffenheit der N i e d e r l a n de,
ja wohl gar eben die Trennung Eng l ands von
Fr ankr e i ch durch Zerstörung des Isthmus haben zuschreiben
wollen.
Die Sage ist sehr dunkel, sowohl über die Begebenheit
selbst, als über die Epoche derselben. Flo-
rus (1) sagt: , ,Cimbri Theutoni, atque Tigurini, ab extremis
Galliae profugi, cum terras eorum inundasset
Oceanus, novassedestotoorbequaerebant.“ Er, der ungefähr
sweyhundert Jahre nach dem Cimbrischen Kriege
schrieb, stellt also die von ihm genannte Ursache der
Auswanderung der Cimbern als eine, zu seiner Zeit umgehende,
dunkle Sage auf. Gewifs mufs man annehmen
, dafs die Ueberschwemmung — wenn sie wirklich
statt gefunden — dem Einfalle der Cimbern in das
Römische Gebiet sehr lange vorausgegangen ist, und
sich nicht etwa 1x0 Jahre vor C. G. ereignet haben kann,
als die Cimbern schon umherzogen; wie ein neuerer
Schriftsteller (2) keck genug, und sogar mit Anführung
der Alten behauptet; vielleicht weil einige Niederländische
Geographen und Hydrographen ebenfalls von diesem
Naturereignisse so zuversichtlich schreiben, als ob 1
1) Buch 3. Cap. 3.
2) TJ^iebeking von dem Einflüsse der Bauwissenschaften auf
das allgemeine Wohl und die Civilisation, 4te Abhandlung.
München 1809. S. 1.