Ungeachtet allen diesen Berechnungen eine an sich
unbezweifelte Erscheinung zum Grunde liegt, so mufs
man doch glauben , dafs in den dabey angewendeten
einzelnenVordersätzen bedeutende Irrthümer sind, denn
sie stimmen weder unter sich überein, noch nähern
sie sich, die letzte vielleicht ausgenommen, der Wahrheit.
Die Erfahrung zeigt vielmehr, dafs die Wirkung
des Absetzens von Sand und Schlamm im Meere weit
eerinerer, und das Vorschreiten der Bildung von neuem
Lande durch sie weit langsamer ist als die meisten Be*
reclmungen es annehmen.
Wenn man zum Beyspiel die Stauntonsche Berechnung
auf den N il anwenden wollte, von welchem
es bekannt ist dafs er Land ansetzt; und wenn man
alle Verhältnisse zwischen dem gelben Flusse und dem
Nil gleich annähme, wie man wohl ungefähr könnte;
so würde daraus das wahrheitswidrige, ja gänz lächerliche
Resultat hervorgehen, dafs das ungefähr. 100 geographische
QMeilen Flächeninhalt einnehmende De l ta
des N i l in nicht viel mehr als306 Jahren gebildet worden
sey.
Doch wir verlassen nunmehr die allgemeinen Ansichten
von dieser Erscheinung und wenden uns zu
dem, was uns wirkliche Ueberlieferungen über die
verschiedenen Gegenden in welchen sie beobachtet
worden ist berichten. Die Betrachtung des Ni l ,
welcher unter allen Flüssen für uns die am weitesten
in das Alterthum hinaufreichende Geschichte hat, mag
die Reihe eröffnen.
Die Küsten des Mittelländischen
und Schwarzen Meeres.
t ) e r N i l wird von den ältesten Zeiten her als ein
Flufs angeführt, welcher durch den in seinem Laufe
mitgebrachten Sand und Schlamm, durch seine regel-
mäfsige Ueberschwemmung der aufseinen beyden Ufern
liegenden Gegenden, und Absetzung jenes Schlammes
auf denselben, das überfluthete Land und eben so den
Meeresboden bey seiner Mündung allmählich erhöhet.
Diese Erscheinung ist bey dem N il so merkbar und
beständig gewesen, dafs sie Anwohnern, welche seine
Ufer während eines langen Zeitraumes inne hatten,
nicht entgehen konnte. Es ist daher auch sehr natürlich,
dafs der denkende Theil unter denselben auf diese
unter seinen Augen vorgehende Landbildung Schlüsse
bauen, und, vielleicht durch Traditionen von Gegenden
welche das Meer vormals erreicht hatte, von denen
es aber durch die Alluvionen des Flusses verdrängt
worden war, unterstützt, die Folgerung ziehen mufste:
die ganze unter ägyptische, aus keinem festen Gesteine
bestehende Niederung — das De l ta — sey allmählich
durch Alluvion des Nil gebildet, und dadurch ein ehe