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Nationen mühsam studiren, um die Kenntnisse zu erwerben, welche sie ins-
gesammt in ihren religiösen Schriften besitzen; ich würde in ihren Werken
finden, wafs die Litteratur keines Volkes der ganzen Welt darböte, da eine
Weisheit darin verborgen sei, von der man sonst keine Ahnung habe u. s. w.
Ich erwiderte, dass ich wenigstens einen Anfang machen, und suchen wolle,
so viel von ihnen zu lernen, als die kurze Zeit mir Verstatte. Wir fingen
an; den ersten Tag zeigte er ‘mir das Alphabet, wobei ich mir gelegentlich
Einiges mittheilen liess, was mich interessirte, war aber so vorsichtig, in
seinei Gegenwart nichts aufzunotiren, um ihn nicht misstrauisch zu machen.
E r wollte mich mit den Buchstaben wo möglich Wochen lang hinhalten, ich
aber drang in ihn, den folgenden Tag schon ein Buch mitzubringen, um
mich im Lesen zu üben. Nach vielem Widerstreben verstand er sich endlich
dazu, er brachte ihr Hauptwerk, welches von Norberg unter dem Titel
„Buch Adams“ herausgegeben ist, aber nicht diesen Titel führt, sondern
„das grosse Buch und „der Thesaurus, der Schatz“ von ihnen genannt
wird. Ich las, und fing sogleich an zu übersetzen, indem ich ihn bat, mir,
was ich nicht gleich verstand, zu erklären. Da die Sprache dieses, wie aller
ihrer Bücher ein syrischer Jargon ist, so war es nicht schwer, Einzelnes
sogleich zu verstehen. Er aber war der Meinung, dass mir diese Sprache
ganz fiemd sein müsse, und dass ich erst nach vielen und langen Vorarbeiten
zu dem Verständniss der Schriften würde gelangen können. Doch ich überzeugte
ihn bald von dem Gegentheil, und erlangte endlich von ihm, dass er
sich auch dazu bequemte. So arbeitete ich mich allmälig in -die Kenntniss
dieser Sprache ein, da ich ja doch einen Begriff von dem, was Grammatik
heisst, bei ihm nicht voraussetzen durfte. In der That besass er diesen auch
nicht, ob ich gleich mich bald davon überzeugte, dass er mir die Wahrheit
gesagt hatte, indem er mir versicherte, dass er von allen seinen Glaubensgenossen
die gründlichste Kenntniss der Sprache und ihrer Lehren besitze.
Denn oft stiess ich auf Stellen, die mir unverständlich sein mussten, weil
sie zu ihren mir unbekannten Lehren in Beziehung standen; und jederzeit
wusste er sie mir befriedigend zu erklären. Auch konnte ich ihn dabei con-
troliren, da dieselben Ausdrücke öfter wiederkehrten, und ich jedes Mal dieselbe
passende Erklärung von ihm hörte.
Doch meine Studien begannen nicht sogleich, wie ich wünschte. Fürs
Erste, sagte mir der Priester, müsse ich dem Beduinen-Scheich, in dessen
Gebiete ich mich befinde, meinen Besuch abstatten, und er wolle mich
Süq esch Schiuch. W itte ru n g . 89
begleiten und demselben vorstellen, da er mit ihm bekannt sei. Leider verzögerte
sich diess einige Tage, da mittlerweile Regenwetter eintrat, und,
wie ich schon oben erwähnte, der Scheich 3 Stunden nördlich von Süq esch
Schiuch sein Lager aufgeschlagen hatte. Ich benutzte die Zwischenzeit zu
meiner häuslichen Einrichtung, zur Correspondenz, sowie zu nöthigen Vorarbeiten,
und unterhielt mich dabei mit den zahlreichen Besuchern, welche
vom Morgen bis zum Abend zu mir kamen. Auch Hadschi Ilomeidi machte
mir einen Gegenbesuch, und erkundigte sich, ob ich mit der Wohnung zufrieden
sei. Von ihm erfuhr ich, dass der Chan sein Eigenthum war, und
er versicherte mir, dass ich ganz nach Gutdünken darin schalten und walten
könnte, da es -— nach arabischer Höflichkeit — nicht sein, sondern mein
Haus sei. Ein Wiener Federmesser, welches ich ihm zeigte, gefiel ihm, daher
ich es ihm zum Geschenk machte; dagegen gab er mir das seinige, eine
indische Arbeit, welches aber schon sehr abgenutzt war. Eine Pfeife bot
ich ihm nicht an, und Kaffee wollte er von dem Gjauren nicht annehmen.
Doch sind nicht alle Schiiten so fanatisch. Ich hatte von Diwanije aus
einen Armen dieser Secte, welcher aus Bagdäd dahin gekommen war, auf
mein Boot mitgenommen, und ihn bis Süq esch Schiuch beköstigt. Unterweges
that er mir die wesentlichsten Dienste, und als er hier von mir Abschied
nahm, fasste er meine Hand, küsste sie zweimal, und legte sie auf
seine Stirne. Ich gab ihm noch etwas Reisegeld, da er, so viel ich mich
entsinne, von da noch nach Basra wollte, worauf er dasselbe mit meinem
Rockzipfel that, und zugleich mit der Versicherung seiner Dankbarkeit seine
stete Bereitwilligkeit mir zu dienen aussprach.
Nachdem der Regen vorüber war, wurde es empfindlich kalt, so dass
mir die Hände bei dem Schreiben erstarrten; und mein Diener versicherte
mir, dass es in der Nacht vom 26. zum 27. Januar gefroren habe. Aber die
Kälte hielt nicht a n , nach wenigen Tagen war sie gebrochen, und die Mittagssonne
brannte so heiss, wie bei uns im Hochsommer. Leider hatte man
keine Vorrichtungen sich zu erwärmen, keine ManqäTs' (Koldenbeckan),
und Holzkohlen waren nicht zu bekommen. Hier fand ich jedoch, wonach
ich bis dahin vergeblich gefragt hatte, das Holz des Ghadha-Baumes
(LaiÜI dessen Kohlen die beste und anhaltendste Gluth geben,
daher sie von den arabischen Dichtern so häufig als Bild der heissesten
Liebe angeführt werden. Mir scheint dieser Baum, den ich übrigens nicht
selbst gesehen habe, da er nicht in der unmittelbaren Nähe von Süq esch