
424 Anmerkung 31. Das Schaf.
Von dem S ch a fe .
Der grösste Theil der Schafe, die in Syrien gegessen werden, ist nicht einheimisch,
sondern kommt von Erzerum, Kurdistan, Mesopotamien. Wenn sie
nach Syrien kommen, sind sie gewöhnlich 4—6 Jahr alt, jünger ertragen sie
nicht leicht die Beschwerden der Reise; doch findet man unter ihnen auch
einjährige Lämmer, die man von ihren Müttern nicht trennen konnte, und solche
die auf der Reise geboren wurden. Da die Hirten wissen, dass sie 3 - 4 Monate
unterweges bleiben, so richten sie ihren Marsch so ein, dass sie täglich keinen
grössern Weg zurücklegen, als sie auf den Weiden thun würden. Jede Abtheilung
von Hirten verfolgt einen etwas abweichenden Weg, damit es ihnen nie an
Futter fehle. Wenn sie eine Zeit lang durch magere (dürre) Weideplätze
gewandert sind, so ermatten die Thiere, zehren ab, und es sterben viele. Finden
die Hirten dann einen guten Weideplatz, so bleiben sie da, bis die Weide aufgezehrt
ist, damit die Heerden von dem ausgestandenen Elend sich erholen.
Die Reiseroute ist nach der Zeit der Abreise verschieden. Im Winter sind
die Gebirge ungangbar wegen Schnee und Eis; im Frühling entstehen daraus
Sumpfe und Ströme in den Niederungen, über welche die Heerden nicht kommen
können. Dieselben Gegenden, welche die Heerden im Winter vermeiden, werden
im Sommer ihre Zufluchtsstätten, wo sie- Ueberfluss an Futter finden So
kommen jeden Monat mehrere Tausend Schafe in Syrien an.
Die Verluste, welche sie unterweges erleiden, bestehen nicht allein in der
Sterblichkeit, oäer der grossen Zahl der kranken Thiere und der Schafe, welche
eine Fehlgeburt gehabt haben, deren Magerkeit nöthigt, sie zurück zu lassen,
oder fast umsonst hinzugeben; sie leiden auch beträchtlichen Verlust durch
Diebstahl.
Diese Auswanderung von Schafen, welche regelmässig so weit herkommen,
um die syrischen Städte mit Nahrung zu versehen, kann in Europa unglaublich
erscheinen. Es kann Erstaunen erregen, dass eine so grosse Zahl von Thieren
auf der Reise bestehen kann, ohne dass der Werth der Thiere dadurch aufgezehrt
werde, besonders in diesen barbarischen Ländern, wo Alles umgekehrt
als bei uns ist. Allein die Bestimmung des Eigenthums ist der Art, dass sie
solche Auswanderungen weniger auffällig macht. Die ungeheuren Steppen oder
Gebirge, welche die bewohnten Provinzen Syriens von den Gränzen von Kurdistan
und Mesopotamien trennen, gehören Allen oder Niemand. Das persönliche
Eigenthum der unbeweglichen Güter existirt da nicht. Heute kommt ein
arabischer Stamm, pflanzt seine Zelte auf, lässt seine Heerden weiden, und
bricht wieder auf, wenn Alles abgefressen ist; 2 - 3 Monate später kommt ein
anderer, der auch nicht länger liegen bleibt. Aber auch, ohne gerade nöthig
zu haben, die Schafe nach Syrien zu bringen, durchwandern die Beduinen den
Ungeheuern Raum zwischen Syrien und den Gränzen von Indien. Sie erkennen
weder die Autorität des Sultan noch des Schah an, und lassen keine andere
Polizei zu, als die sie sich selbst gegenseitig auferlegen. Jeder Fremde, Reisende,
wird als ausser dem Gesetz befindlich angesehen, und ohne Erbarmen
ausgeplündert. Um diess zu vermeiden, ist das Beste, vorher mit den Häuptlingen
der Stämme zu unterhandeln. Die Karawane von Damascus nach Mecca
obgleich begleitet von 1000 gut bewaffneten Soldaten mit 7 — 8000 Pilgern und
Kaufleuten, muss es ebenfalls thun. Die türkische Regierung bezahlt selbst den
Beduinen em Losegeld dafür, dass die Karawane das Recht des Durchzugs erhalte.
Die Expeditionen der Schafe geschehen auf dieselbe Weise, und trotz der
Anmerkung 31. Das Schaf. 425
kleinen Summe, welche jeder Hirt für den Durchzug seiner Heerde zu bezahlen
hat, kommt es doch öfter vor, dass die Beduinen, sich die Schwäche und
geringe Zahl der Hirten zu Nutze machend, ihnen in einem Engpass auflauern,
um einige Schafe zu rauben.
leb war eine Zeitlang Hauptdirector der Merino-Schäfereien in Aegypten.
Im December 1839, als die Heerden von Böhirö auf Befehl des Vicekönigs nach
Tauta zurückkehrten, begegnete ihnen Abdurrahman Efendy von dem Dorfe
Galib auf dem Wege, welcher dem grossen Kanal entlang geht, der diesen
District durchschneidet. Er verlangte 5 Lämmer als Bakschisch (Geschenk).
Der Director (Anführer) Mr. Bataglini, welcher es verweigerte, wurde ergriffen
und geschlagen, die Schäfer erhielten die Bastonade, die Heerden flohen
erschrocken im Felde umher; man verlor viele Schafe bei dieser Plünderung,
die einen waren gestohlen, die ändern hatten sich verloren, und die Schäfer
waren dermassen gemisshandelt, dass Einige von ihnen noch 2 Tage nach
diesem Kampfe blutende Wunden hatten. Ich selbst führte die Verwundeten zu
dem Gouverneur der Provinz Chalil Efendy, um ihm augenscheinliche Beweise
zu bringen, es wurden Berichte an alle höhern Autoritäten gesendet — Niemand
antwortete, alle meine Mühe war vergeblich.
Die Schafe des Haurän und der grossen Wüste sind meist nicht so fett und
von geringerer Qualität, daher auch weniger geschätzt als die des Nordens, doch
werden sie ebenso theuer verkauft, 1) weil die Schlächter sie nur gezwungen
kaufen, wenn die nördlichen Provinzen keine liefern, 2) weil die Bewohner des
Haurän und der Wüste, da sie dem Mittelpunct der Consumtion näher sind, und
den Vortheil haben, alljährlich die grosse Karawane von Mecca zu verproviäntiren,
ihre Producte leichter absetzen können, als die Länder des Euphrat. Ich habe
in den Schlächtereien von Damascus beobachtet, dass fast alle Schafe des Nordens
eine tuberkulöse Leber haben, nicht aber die des Haurän und der Wüste.
Diess erklärt sich aus den Sumpfpflanzen, die in grösser Menge in Klein-Asien,
Armenien und den benachbarten Ländern wachsen. Vielleicht sind die Schafe
von Kurdistan weniger den tuberkulösen Affectionen ausgesetzt, aber die
schlechte Nahrung unterweges, die Entbehrungen, und die Unregelmässigkeiten
der Reise bringen dasselbe Resultat hervor.
Im Allgemeinen haben die Heerden, die auf trockenen, hohen Plätzen
weiden, ein saftiges und aromatisches Fleisch wie die in Frankreich, besonders
in Marseille. Die Heerden in fruchtbaren Gegenden, wo das Gras in Ueberfluss
und von guter Qualität ist, erlangen eine beträchtlichere Entwicklung des Muskelsystems,
und liefern ein weniger feines, zartes und saftiges Fleisch als das des
nördlichen Frankreich. -— In Syrien ist weder das Eine, noch das Andere. Die
Hammel, die von Klein-Asien, Armenien und Kurdistan kommen, sind im Ueberfluss
genährt worden, haben viel sumpfige Kräuter gefressen, und eine beträchtliche
Entwicklung des Muskelsystems erlangt; aber ihr Fleisch wird nur geschätzt,
weil es kein besseres giebt. Bei uns würde .man sagen, es sei hart,
schwer zu kochen und zu' verdauen. Mit Ausnahme des Lammfleisches muss es
6—7 Stunden kochen, bis es geniessbar wird, zuweilen noch länger.
Der Haurän und die Wüste haben noch einen ändern Uebelstand. Wegen
der Seltenheit des Regens sind die Weideplätze zu trocken, selten, ungenügend,
daher die Hammel elend und oft mager werden; ferner, da die Eigen-
thümer wissen, dass sie die Butter stets mit Vortheil verkaufen können, so
melken sie die weiblichen Schafe bis zu ihrem Tode, um mehr Milch zu erhalten.
— Die syrischen Gebirge haben ungeheure Weideplätze für die Hammel,