
der kurdische Aufstand nicht bloss auf das Gebiet von Suleimanije beschränkt
■war, sondern sich viel weiter nach Norden verbreitet hatte, und alle kurdischen
Gebiete zu durchdringen drohte.*) Zudem hörten wir auch, dass wenige
Tage vor unserer Ankunft in Bagdad der persische Gesandte, Achmed
Tewfik Efendi, auf derselben Tour, die wir so eben gemacht hatten, und
zwar bei Deli Abbäs, 14/2 Stunde von Schehraban, wo wir eine Nacht blieben,
von den Beduinen des Stammes Schemmär angefallen worden sei.
Denn die grössten und gefürchtetsten Stämme der Beduinen hatten kaum
die Erhebung der Kurden erfahren, als auch sie mit grösserer Keckheit auftraten,
und ihre Plünderungen bis in die Nähe von Bagdad verbreiteten.
Selbst der Pascha, welcher einen Streifzug gegen sie unternahm, war in
Gefahr, und musste alle nur entbehrlichen Truppen aus der Stadt an sich
ziehen. So war ich gleichsam genöthigt, den Winter in Bagdad zuzubringen,
und nahm die wiederholte Einladung meines Freundes Brühl, bei ihm zu
wohnen, dankbar und um so lieber an, da ich durch ihn nicht nur bei den
anwesenden Europäern, namentlich Engländern und Franzosen, eingeführt
wurde, sondern auch durch seine Vermittelung Bekanntschaft mit Arabern,
Muhammedanern, Christen und Juden machte, welche mir Handschriften
und Antiken zum Verkauf brachten. Bagdad ist immer noch ein bedeutender
Handelsort, wohin Waaren aus Europa, Indien und Persien gebracht
werden, wohin Araber mit Antiken, und persische Bücherhändler mit ihren
Schätzen kommen, und es ist vielleicht hier nächst Ispahän der grösste
Büchermarkt. So hatte ich Gelegenheit, eine bedeutende Anzahl schöner
und seltener arabischer und persischer Handschriften für die königliche
Bibliothek zu erwerben. Die meisten derselben verschaffte mir der gutmü-
thige und gut unterrichtete Molla Säleh, Einer der wenigen Araber, welcher
seiner Ehrlichkeit wegen allgemein gerühmt wurde, und nächst ihm ein
schlauer persischer Mirza (d. i. Schreiber, Gelehrter). Die Letztem sind
überhaupt ihrer Schlauheit wegen berühmt oder berüchtigt. Folgende Anec-
dote, welche mir in Bagdad erzählt wurde, mag zum Beleg dafür dienen:
Ein Perser sah einst eine schöne Weintraube in einem Laden hängen, und
fragte den Besitzer, ob er sie verkaufe, und wie viel er dafür verlange? E r
*) D ie Kurden glaubten — und n ic h t ganz mit Unrecht —- dass das L an d ü b e ra ll
von T ru p p en en tb lö sst sei, und h ie lten dah e r diesen Z eitp u n c i für den geeignetsten, um
das ihnen so lä s tig e tü rk isch e Joch abzuschüttelD.
gab ihm den verlangten Preis, und der Besitzer reichte ihm den Stiel der
Traube. Als er sie herauszog, blieben sämmtliche Beeren abgestreift in dem
Laden, so dass er nur den Stiel in der Hand hielt. E r sagte darauf: „O
Mirza, o Hadschi (Pilger), o Seid!“ Verwundert erwiderte Jener: „Woher
kennst Du mich denn, und weisst, dass ich alle diese Würden in mir vereinige?“
„Weil, antwortete Jener, diess nur ein Solcher thun kann.“ Um
mir diese Beiden geneigter zu machen, und zugleich meinen Aufenthalt möglichst
nützlich für mich selbst anzuwenden, nahm ichHnterricht bei Beiden.
Mit Sonnenaufgang kam der Molla zu mir,-und las mit mir arabische Prosaiker
und Dichter. Er war selbst früher Bücherhändler gewesen, kannte
also die Litteratur seines Volkes besser als die meisten Ändern, und wai
auch Dichter. Dieser blieb bis gegen 10 Uhr Morgens, da wir frühstückten,
bei mir, und nachher kam der Mirza, welcher mit mir persische Prosaiker
und Dichter bis gegen 1 Uhr las. Die übrige Zeit verging mit Lecture, mit
Besuchen, die wir empfingen oder machten, mit Einkäufen von allerhand
Gegenständen, die mir gebracht wurden, und mit Spaziergängen um die
Stadt. Auf einem dieser Spaziergänge, den ich am 3. December mit dem
Proselyten Jecheskiel, Agenten der englischen Bibelgesellschaft, machte,
begegneten wir einer Karawane mit schwarzen Sclaven und Sclavmnen;
wir besuchten mehrere Gärten, welche ein üppiges Grün und wilde Blumen
zeigten. Unter Ändern sahen wir an einem Baume einen Ast, welcher röth-
lichen Saft ausschwitzte; mein Begleiter sagte mir, dass man diesen Saft
„Thränen“ nenne, weil der Baum blutige Thränen darüber weine, dass der
Ast verdorrt sei. Derselbe machte mich auch auf eine kleine Art Bachstelze
aufmerksam, mit blauem, und an den Seiten schwarzem und gelbem Gefieder,
von der die Sage geht, dass sie die Ursache von Husein’s (des jüngern
Sohnes von ’Aly) Tod gewesen sei, daher die Perser sie tödten, wenn sie
eine solche erblicken. Husein, so erzählte er mir, hatte sich verirrt, und litt
sehr vom Durst. E r sah einen Siräb (trüglichen Wasserschein) und diesen
Vogel, Sita genannt, welcher stets nach dem Wasser geht, und vor
ihm herflog. E r glaubte durch ihn an Wasser geleitet z u werden, ging ihm
nach, fand aber keines, und fiel dadurch in die Hände seiner Feinde.
Bagdad liegt in einer grossen, weiten Ebene, welche nur geringe E r hebungen
zeigt, und wird von dem Tigris durchschnitten, beide Stadttheile
aber sind durch eine lange Schiffbrücke verbunden. An beiden Ufern des
Tigris sind vor und hinter Bagdad lange, fast in ununterbrochener Reihe