§. X IV . In den Mündungen der Flüsse und der Meerbusen
kami es an dem. einen Ufer Jluthen, wenn es längs dem entgegengesetzten
ebbt. Dieser Doppelstrom ist aufser von Bossut, meines
Wissens, von keinem Schriftsteller als von Brünings angemerkt
worden. Des letztem Worte, weil sie sich auf ein bestimmtes Local
beziehn, mögen also hier stehn. Nachherwerden wir noch einigeähnliche
Erscheinungen anführen, die theils erklärt werden
sollen; theils S. 3o4 und 319 erklärt sind.
Brünings sagt nähmlich «Selten folgt der stärkste Ebbestrom
denselben Weg als die Fluthund umgekehrtströmt die Flu th nicht
in die Richtung der Ebbe. So z.B. fluthet derStrom im Haringvliet
(S.3o2) am südlichen Ufer wenn es noch f Stunden am nördlichen
ebbt.“
Zwischen diesen Hauptströmen setzen sich, in solchen breiten
Mündungen, Mittelplatten, welche die zufälligen Ufer solcher Ströme
bilden (S. 304).
Diese besondern Canäle (wir haben sie schon oft Fluth - und
E b b e s t r o m - Rinnen genannt) laufen mit dem eigentlichen Ufer
parallel. Sie verengen sich und nähren sich diesem Ufer nachMafs-
gabe ihre Tiefe zunimmt; wo alsdann zugleich das zufällige Ufer,
das ist die Mittelplatte, höher und flach ablauffender w ird , und
diese bringt dann dem eigentlichen Ufer die Stromrinne näher.
Daher wird das Bett in dieses Ufers Nähe jähe, und es bildet keine
krumme Linie.
Aus diesen besondern Erscheinungen, welche die Erfahrung
darlegt, folgt dann i°': dafs in den Mündungen der Flüsse nicht
allemahl wechselseitige Convexität und Concavität der gegen einander
überliegenden eigentlichen Ufer Statt finde, wenn sie sich
gleich zuweilen antreffen lasse. 2°' Dafs der Abbruch und auch
die Concavität eines Ufers, — welches beydes von derAnnäherung
des Stromes, von dessen Tiefe und Geschwindigkeit oder auch von
demEbbestrom erzeugt wird, viel nachtheiliger ist,als wenn derFluth-
strom die Ursache davon wäre: denn die Annäherung des Stromes
kennt keine andere Gränze als die relativeFestigkeit des Bettes oder
Kunstmittel. Dagegen bewirkt der Fluthstrom Abschälung des
Ufers, und er ist in dieser Hinsicht sehr zu fürchten.
Aehnliche Erscheinungen wie im Haringvliet sind uns von der
Weser und dem Maarsdiep bekannt: Sobald die Fluth in der W e ser
Mündung, gegen Blexen, das Watt erreicht hat, entsteht an dieser
Westseite ein Widerstrom, der immer schneller wird je nachdem
die Fluth steigt. So ebbt es am westlichen Ufer, wenn es am
östlichen fluthet. Zuletzt, eine halbe Stunde vor hohes Wasser,
ebbt es bereits wieder vor Blexen und sogar im Fahrwasser, wenn
es noch vor Gestendorf fluthet. Diese Circulation des Ebbe - und
Fluthstromes hängt ohne Zweifel ab: nicht nur von der Richtung
der Fluth womit sie aus der Norderweser, als dem jetzigen
Fahrwasser, aufkömmt; sondern auch von der Luhne-Platte,
welche den Fluthstrom retardirt, indem sie für dessen Eintreten ein
Flindernifs ist. Auf diese Weise gewinnt denn der Flufs eine
solche Ueberwucht über den Fluthstrom dafs er fähig wird einen
Widerstrom hervorzubringen.
Da ich beym Seeuferbaü an der helderschen Küste S. 4*9
bereits die Wrirkungsärt der einziehenden Fluth und auslauflenden
Ebbe des Maarsdieps erklärte, so will ich hier von denen
daselbst sich befindlichen Widerströmen, welche die Richtigkeit
des im Anfänge dieses § aufgestellten Satzes noch mehr bestätigen,
nichts weiter anführen.
§. XV. Solche Widerströme beschleunigen die Versandungen
der untern Flüsse gar sehr. Ohne einen weitläuftigen Beweis
zu führen ist es ja wohl klar; dafs- indem sie des Fluthstromes
Geschwindigkeit retardiren — sie auch das Vermögen des Ebbe,
und Fluthstromes, wodurch das Bett rein erhalten werden kann,
schwächen müssen. Von der Erfahrung wird dieser Satz auch aufs
unumstöfslichste, bey dem Rivier Haringvliet (S. 3o3); erwiesen,
wo nähmlich die Mittelplatte und der Hinder von den grofsen W iderströmen
erzeugt sind, und wo auch diese Platten selbst wieder
diese Doppelströme verstärken.