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 unvermischt  und  unverdorben  als  eigenes  Volk  in  Island  
 erhalten  haben.  Nicht  selten  versetzt  uns  das  patriarchalisch  
 friedliche  Leben  des  bescheidenen Völkchens  um mehrere  
 Jahrhunderte  zurück  und  ihre  bisweilen  fast  unglaublich  
 primitive  Beschäftigung  und  Arbeit  erinnert  oft  ganz  
 an die Zustände eines Urvolks.  So beispielsweise die Art und  
 Weise,  wie  hier  zu  Lande  die  Wolle  von  den  Schafen  gewonnen  
 wird:  man rupft sie ihnen  ab,  wie man einem Vogel  
 die  Federn  ausrupft.  Oft  sieht  man  daher Schafe,  die halb  
 gerupft,  halb  noch  mit  ihrer  dicken  Wolle  bekleidet  sind,  
 was  mitunter  einen  recht  komischen  Eindruck  macht,  besonders  
 wenn  an  der einen Seite sämmtliche Wolle  entfernt,  
 an  der  ändern  aber  stehen geblieben  ist,  oder wenn sie nur  
 an  einzelnen  Stellen  ausgerupft  wurde.  Solcher Schafe  trafen  
 wir  jetzt  viele  an,  als  wir,  weiter  nach  Westen  vordringend, 
   in bewohntere Gregenden kamen.  Im Süden  sahen  
 wir  noch  lange  den  Berg  Ok,  im  Norden  (zur  Rechten)  
 Gilsbakki und  verschiedene  einander  zum Verwechseln  ähnliche  
 Meiereien,  wie  Bjamastaöir,  KolstaÖir,  Sämstaöir,  
 Lorgautstaöir  (von  Porgata,  ein  betretener Weg),  Fjärhüs  
 (Viehhaus).  In  KolstaÖir  brachte  uns  eine  frische,  baus-  
 bäckige  Isländerin  Kuhmilch,  welche  sie  eben  gemolken  
 hatte.  Als  einer  von  uns  sie  frug:  «Hvaö  gammall  ert 
 ■pü  stülka  min?D  (Wie  alt  bist  du,  mein  Mädchen?)  raffte  
 sie  ihre  ganze  Würde  zusammen  und  erwiderte  stolz:  «Pg  
 er  giptkona!»  (Ich  bin  verheirathet!)  Und  doch  zählte  
 diese  Frau  erst  16  Winter.*) 
 Bei  Fjärhüs  befindet sich eine dunkle Schlucht, Fjärhjall  
 genannt,  und  dumpf  rauschend  wälzt  durch  die  zerrissene  
 Felsenkluft  ein  Sturzbach  sein  Schneewasser  der 
 3)  Frühes  Heirathen  scheint jedoch  in  Island  nicht Sitte  zu  sein.  
 Siehe  hierüber  Anhang  E. 
 immer  zu unserer Linken  in  einiger  Entfernung  hinfliessen-  
 den  Hvitä  zu.  Als  wir  hineingingen,  flog  erschreckt  ein  
 grösser  Sägetaucher  (Mergus  merganser)  auf,  der  einzige  
 Vogel,  der  an dem Tage geschossen wurde.  Der Bruder  
 unsers  Wirthes  in  Kalmanstünga,  welcher  uns  als  Führer  
 diente,  verliess  uns  in Fjärhüs.  Wir  hielten  den Mann  für  
 sehr  zärtlich  und  liebevoll,  denn  an  allen  Gehöften,  an  
 denen  wir  vorbeikamen,  wurden  sämmtliche  Familienmitglieder, 
   alt und  jung,  Mann  und Weib,  Herr  und  Knecht,  
 Sohn  und  Tochter  von  ihm  umarmt,  geküsst  und  geherzt.  
 Bald  jedoch  sahen  wir,  dass  es  Landessitte  ist,  bei  Be-  
 grüssungen ohne Rücksicht  auf Stand,  Geschlecht  und Alter 
 sich  zu  küssen  oder  zu  umarmen. 
 Nachdem  noch  eine  Sandfläche  durchritten  war,  die  
 augenscheinlich  das  alte  Bett  der  Hvitä  ist,  gewahrten  wir  
 im  Süden  grosse  Dampfwolken  aus  einer  grasbewachsenen  
 Ebene  emporwirbeln;  sie  entstiegen  den  heissen Quellen  zu  
 Reykholt im « Thale des Rauches ».  Sir George Mackenzie x),  
 welcher  sie im Jahre  1810 besuchte,  schreibt Folgendes über 
 die  Hauptquelle: 
 «Ungefähr  eine  (englische) Meile  weiter unten am Ende 
 des  Thals  liegt  der  Tüngu-hver,  eine  Gruppe  von  Quellen,  
 die  vielleicht  die  merkwürdigste  der  ganzen Welt  ist.  Em  
 Fels  erhebt  sich  etwa  20  Fuss  aus  dem  Lehm  und  ist  ungefähr  
 50  Ellen  lang,  aber  nicht  von  bedeutender  Breite.  
 Dieses  scheint  ehedem  ein  Hügel  gewesen  zu  sein,  dessen  
 eine  Seite  mit Gras bedeckt  blieb,  während die andere  weggerissen  
 oder vielleicht zerstört wurde zur Zeit, als das heisse 
 ))  Travels  in  Iceland  (Edinburgh  1851,. S.  48).  Vgl.  auch  Eggert  
 Ölafsson  og  Bjarni  Pälsson,  §.  175,  die  auf  das  Bestimmteste  
 von  einem  vierfach  abwechselnden  Sprudel  am Tüngu-hver  sprechen,  
 und  Ida  Pfeiffer,  «Reise  nach  dem  skandinavischen  Norden  und  der  
 Insel  Island  im  Jahre  1845»  (zweite  Auflage,  Pesth  1855,  I,  190  
 und  191)-