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 unsere  Unterhaltung  zu  lagern  drohte,  bis  um  11  Uhr  
 abends  der  westliche  Gipfel  des  Geitlandsjökull  erstiegen  
 war.  Die  Rundsicht  auf  die  hellgrün  glänzenden  Gletscher,  
 die  schneeigen  Berge  und  die  völlig leblosen  steinigen Thä-  
 ler  dazwischen  war  erhaben,  zumal die sich  neigende Sonne  
 die  ganze  Landschaft  allmählich mit  einem  röthlich  schimmernden  
 Schleier  bedeckte,  der  jedoch  bald  wieder  verschwand. 
   Ölafur  wies  hier  in nördlicher Richtung  auf einen  
 dunkeln Berg, den Strütur,  und sagte, dass an dessen Fusse  
 Kalmanstünga liege.  Wir hofften ihn in einer kleinen Stunde  
 zu  erreichen,  der Führer aber schüttelte nur verneinend den  
 Kopf und  wiederholte  sein  stereotypes:  «Ekki  godt»  (nicht  
 gut).  Die  klare Luft  hatte  die Entfernung zwischen  unserm  
 Auge  und  dem  Berge  um  ein  Bedeutendes  kleiner  erscheinen  
 lassen,  als  sie  wirklich  war. 
 Der Weg  vom  Geitlandsjökull  zum  Strütur,  an  und  für  
 sich  einer der beschwerlichsten Westislands,  wurde uns doppelt  
 unangenehm ,  die  wir  schon  14  Stunden  im Sattel  sas-  
 sen.  Es  wäre  zu  viel,  wollten  wir  alle  die  Mühseligkeiten  
 und  Unannehmlichkeiten  dieses  Wegs  schildern,  wie  die  
 armen Pferde mit ihrer schweren Last oft bis über den Bauch  
 durch  die  Schneedecken  brachen,  in  den  Gletscherflüssen  
 dem  heftigen Strome  kaum  zu  widerstehen vermochten,  wie  
 eisig  kalt  die  Nachtluft  war,  wie  unendlich  lang  der  mühsame  
 Ritt  bald  durch  Schnee  und  Eis,  bald  durch  rauhe  
 Steinfelder,  bald  über  Gletscherflüsse,  bald  durch  halbgefrorene  
 Teiche  uns  erschien:  hören  wir  lieber  die  Sage,  
 welche  ehedem  hier  spielte  und  an  die der Name des Wegs,  
 Skülaskeiö,  uns  erinnert. 
 Am Al jung verurtheilt,  musste einmal ein Mann, Namens  
 Skuli,  fliehen.  Ein  ganzer  Schwarm  von Feinden  verfolgte  
 ihn;  vor  allen  aber  gab  ihm  sein  gutes  Pferd  einen  Vorsprung. 
   Ueber  den Hofmannaflötur  ritt  der Mann  weg und 
 Über den Tröllahäls,  an den Hallbjarnarvöröur vorbei und in  
 den Kaldidalur hinein.  In diesem hielt er einen Augenblick an,  
 goss aus  seiner Feldflasche Wein in die Höhlung eines Steines  
 und rief höhnisch seinen Verfolgern zu,  dass er  ihnen  damit  
 lohnen  wolle  für das  zahlreiche  ihm  gegebene  Geleit;  dann  
 sprengte  er  im  raschesten  Laufe  über  eine  mit  dem  gröbsten  
 Steingerölle  bedeckte Strecke Landes hin,  über die ihm  
 niemand  zu  folgen  wagte.  Seitdem  heisst  dieser Fleck Skü-  
 laskeiö,  des  Sküli  Reitplatz;  als  aber  der  Mann  heimkam  
 und  sein  Thier  vor  Müdigkeit  und Erschöpfung  zusammenbrach, 
   liess  er,  um  es  nach Verdienst  zu  ehren,  demselben  
 ein  vollständiges Todtenmahl halten,  und es wurde  in einem  
 Grabe  bestattet,  welches  er  ihm  eigens  hatte  herrichten  
 lassen.x) 
 Die  in  aller Pracht  aufgehende Sonne,  welche  kaum untergegangen  
 zu  sein  schien,  sich  nur  zwei  Stunden  läng  
 gleichsam hinter den Strütur versteckend, ohne ihr Licht uns  
 zu  entziehen,  fand  uns  dem  Berge  schon  ziemlich  nahe.  
 Die  Führer  zeigten  uns  auf der  ändern  Seite  eines  ausserordentlich  
 breiten  Thals  einen  drei  Stunden  entfernten  
 Grasfleck,  das  sei Kalmanstünga.  Die Kälte  war inzwischen  
 so  empfindlich  geworden,  dass  wir  kaum  die Zügel  zu  halten  
 vermochten  und  abstiegen,  um  durch Laufen uns  etwas  
 zu  erwärmen.  Die  Pferde  waren  fast  erschöpft.  Hunger  
 aber  trieb  sie  oft  an,  sich  in  Trab  zu  setzen,  wenn  es  das  
 unebene Terrain nur  irgendwie  gestattete.  Der grüne Fleck  
 wurde  nun  immer  grösser,  je  mehr  wir  uns  ihm  näherten.  
 Ein breiter,  sehr reissender Fluss,  dann  eine mit Lavageröll  
 gleichsam  gepflasterte  Ebene  trennten  uns  noch  von  ihm.  
 Der  Flussübergang  war  sehr  schwierig  wegen  der  Tiefe,  
 Stromstärke  und Breite  der Hvita  (weisser  Fluss),  lief aber 
 i)  Diese  Sage  ist  Maurer’s  «Isländischen  Volkssagen  der  Gegenwart 
 »  (S.  235,  236)  entnommen.