hohe Cascade bildend, seine verhängnissvollen Fluten dem
Pingvallavatn zu; verhängnissvoll, weil vordem darin die
Weiber ertränkt wurden, welche ausser der Ehe Kinder geboren
und diese ermordet hatten. Wo das Innere der Al-
mannagjä nicht von diesen Fluten eingenommen wird, ist
es mit üppigem Grase bewachsener Torfboden oder es tritt die
grauschwarze Lava zu Tage. Einzelne Zwergbirken, Saxifragen
und andere harten Boden liebende Pflanzen wachsen
da auf nacktem Fels.
An dem obern Rande der Kluft blieben wir erstaunt
stehen, keine Möglichkeit einsehend, das weit, weit unten
in der Ebene am See gelegene Pingvellir zu erreichen; die
Almannagjä, deren Ende wir nicht absehen konnten, trennte
uns von ihm.
Als die Führer kamen, fanden sie uns rathlos. Bald
aber zeigten sie uns Mittel und Wege weiter zu reiten.
Eine schneebedeckte Lavatreppe führte den Abgrund hinab,
aber eine Treppe, bei der jede Stufe zu Pferde nur mit
Lebensgefahr betreten werden konnte. Man muss sie hinabklettern
und die Pferde ihrem Schicksal überlassen. Zu
unserm Entsetzen blieben beide Führer in ihren Sätteln und
nur der unglaublichen Sicherheit der isländischen Pferde ist
es zuzuschreiben, dass sie nicht verunglückten, denn jedes
andere Pferd findet auch ohne Last schwerlich seinen Weg
dahinunter. Als das Innere der Kluft glücklich erreicht
war, befanden wir uns an der Stelle, wo neun Jahrhunderte
(von 927—-1800) lang das berühmte Alling1) alljährlich
am 8. Juli tagte.
Einen engen Querriss in der östlichen Wand durchreitend,
sahen wir uns nach wenigen weitern Schritten bergab, am
rechten Ufer der Oxarä, die sehr seicht war und ohne
J) Hauptgericht, Allgericht, Allding, von ad pinga, sprechen,
überlegen, erwägen, verhandeln.
Mühe durchwatet wurde. Wir fühlten uns der Welt wiedergegeben
, als wir die finstere Kluft hinter uns und den herrlichen
See vor uns hatten. Dann ging es über grüne Wiesen
auf die niedliche kleine Kirche von Pingvellir zu, in deren
Nähe unweit der Mündung der Öxara in den See sich die
Wohnung des Pfarrers Sera Simon Bech befindet, der uns
freundlich mit Milch, Butter und Schwarzbrot versorgte.
Unser Zelt wurde im Kirchhofe vor der Kirchthür aufgeschlagen;
die Führer fanden immer noch Platz in irgendeinem
Gelass des kleinen Gehöftes. Sie benutzten auf der
ganzen Reise nur in unbewohnten Gegenden das ihnen bestimmte
Zelt und selbst da nicht immer; in HoltavörÖuheiÖi
z. B. genügte es ihnen, zu dreien sich in die Leinwand einzuwickeln,
sodass nur das Gesicht frei blieb.
Nach einer kleinen Stärkung begaben wir uns sofort in
die Almannagjä zurück mit einem alten lecken Nachen des
Pfarrers über den Fluss setzend, in dem gerade vier grosse
Forellen gefangen wurden.
Bei genauerer Betrachtung der schwarzen Riesenmauern
sahen wir deutlich die Stellen an beiden Seiten, die einander
entsprachen, d. i. die vor der Ruptur in gleicher
Höhe miteinander standen. Sie waren häufig durch horizontale
Linien angedeutet. Die Felswände nämlich sind sehr
scharf und deutlich abgegrenzte Lavabänke mit verticalen
Säulen. Die Almannagjä, sowie die unzähligen kleinern Erdrisse
im Pingvallasveit, welche sämmtlich ebenfalls in auffallend
parallelem Verlauf der Nordnordostrichtung folgen,
sind zweifelsohne durch ein ungemein heftiges Erdbeben
— vielleicht noch in geschichtlicher Zeit, aber jedenfalls
vor Entdeckung der Eisinsel — entstanden, wobei wahrscheinlich
durch die starke Senkung des Bodens das Bett
des Pingvallavatn gebildet wurde, dessen Tiefe noch ungemessen
ist. Sein Grund aber ist, soweit man dies auf einer
Nachenfahrt durch das krystallhelle Wasser beobachten kann,
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