
 
		Fleiss,  mit  welchem  zu  einer  Zeit,  wo am literarischen Horizont  
 des  in Roheit und Barbarei  versunkenen Europa  kein  
 Stern  glänzte,  sich  die  Einwohner  dieser  entlegenen  unfruchtbaren  
 Insel  der  Erlernung  der  Wissenschaften,  der  
 Pflege  der  Dichtkunst  und  Geschichtschreibung  zuwandten  
 und Werke  verfassten,  die  mit  Recht  classisch  genannt  zu  
 werden  verdienen. 
 Meist  von  kleiner  untersetzter  Gestalt,  offenem  Antlitz, 
   sind  die  Isländer  wohlgebaut;  nur  fanden  wir  eine  
 sonderbare  Beobachtung  Mackenzie’s  sehr  häufig  bestätigt,  
 die  nämlich,  dass  viele,  wenn  nicht  die  meisten  Isländer  
 einen  im  Verhältniss  zu  den  Extremitäten  etwas  langen  
 Rückgrat  besitzen.  Von  den  Sinnesorganen  ist  durchweg  
 das  Auge  am  schärfsten  entwickelt.  Die  Scharfsichtigkeit  
 unsers  Führers  Olafur  beim  Auffinden  des  Wegs  in  absoluter  
 Wildniss * war  erstaunlich;  stundenweit  entfernte  
 Steinpyramiden  (varöur) ,  welche  die  Richtung  des  Wegs  
 anzeigen,  entdeckte  er  da,  wo  ein gewöhnliches Auge selbst  
 mit,  der  grössten  Anstrengung  nichts  zu  sehen  vermochte.  
 Um so schwächer sind hingegen die übrigen Sinne entwickelt;  
 riechen  können  die  meisten  Isländer  wohl  gar  nicht  öder  
 nur  sehr  wenig,  denn  sonst  könnten  sie  die Atmosphäre  in  
 ihren  Erdhütten  unmöglich  so  sorglos einathmen.  Auf  das  
 bei  den  Männern  übliche  Schnupfen  kommen  wir  später  
 zurück.  Ebenso  muss  man  gar  manchem  isländischen  Fischer  
 den  Geschmacksinn  fast  gänzlich  absprechen,  wenn  
 man  ihn  mit Wollust  einen  Esslöffel  voll  reiner Butter und  
 hinterher  ein  Stück  lederharten  Klippfisch  verzehren  sieht,  
 von  dem  für  uns  völlig  ungeniessbaren  Walfischspeck  zu  
 schweigen.  Die  schmackhaftesten Speisen in Island sind die  
 Vogeleier  (die  einzelner  Enten  und  die  der  Seeschwalben  
 sind die feinsten), Lamm- und Kalbfleisch, sowie  das Fleisch  
 einiger  Vögel,  vor  allem  Laehs  und  einige  andere  Fische;  
 das  Brot —  fast  ausschliesslich  Schwarzbrot  —  wird  aus 
 importirtem  und  auf  Handmühlen  gemahlenem  Roggen  in  
 steinernen  Töpfen  gebacken,  daher  auch  pottbrauö  (Topfbrot) 
   genannt,  im  Gegensatz  zu  dem  aus  einheimischem  
 wilden  Korn  (Elymus arenarius,  melur)  gebackenen dünn-  
 scheibigen flatbrauö. 
 Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf die Vergangenheit  
 Reykjaviks, so findet auch hierauf Anwendung, was von  
 ganz  Island  gilt:  dass  nämlich dieses Land — wie Kretzsch-  
 mar in seinen |  Trachten der Völker » sehr richtig bemerkt —,  
 da  es  mit  ändern  Völkern  wenig  oder  gar  nicht  in  Berührung  
 kam,  keine  Geschichte,  sondern nur eine Hauschronik  
 hat.  Und  selbst  diese  hat nur wenig aufzuzeichnen  gehabt.  
 Am  bemerkenswerthesten  erscheint  noch der Umstand,  dass  
 Reykjavik  an  derselben  Stelle  gebaut  ist,  wo  der  erste Ansiedler  
 Islands,  Ingolfur,  sich  niederliess.  Fast  ein  Jahrtausend  
 später  fand  eine  Revolution  in  Reykjavik  statt,  
 jedoch  ohne  dass  ein  Tropfen  Blut  floss.  Der  Usurpator  
 Jörgensen nämlich,  ein  dänischer Matrose,  bemächtigte  sich  
 der  obersten Gewalt  und  der Staatskasse,  bis  er nach  zweimonatlicher  
 unumschränkter  Autokratie  mit  Schimpf  und  
 Schande  verjagt  wurde.  Die Einzelheiten  dieser  tragikomischen  
 Geschichte,  sowie  sämmtliche  dahin  gehörige  Acten-  
 stücke  findet  man  im  zweiten  Bande  von  Hooker’s  « Tour  
 in  Iceland»  (im  Jahre  1805). 
 Im Jahre 1800 wurde  der  Althing in  veränderter Gestalt  
 von  Pingvalla  nach Reykjavik  verlegt,  wo  er  alljährlich  am  
 8. Juli  tagt — ein Schatten des  frühem mächtigen Althings! 
 Sonst  weist  die  Geschichte  der  Hauptstadt  Islands  kein  
 wichtiges  politisches  Ereigniss  auf.