Auf dem von diesen Abgründen ein geschlossenen Hügel,
dem Lögberg, Gesetzesberg, wurde in weltlichen Dingen
Recht gesprochen. Dies war die Lögretta. Davon durch
die Öxarä getrennt befand sich in der Almannagjä der Sitz
des geistlichen Gerichts, Prestastefna (Priesterrath). Ebenda
ist noch der Felsvorsprung zu sehen, von dem herab die
der Hexerei beschuldigten und zum Tode verurtheilten
Männer und Frauen in den brennenden Scheiterhaufen ge-
stürzt wurden (zuletzt 1685). x)
Sonst aber erinnert hier nichts an die grosse Vergangenheit
des Ortes. Freilich wurden keine Gebäude errichtet,
deren Trümmer jetzt zeugen könnten von dem Leben, wel7
ches ehedem hier herrschte. - Man versammelte sich unter
freiem Himmel, schlug Zelte auf und Buden, die wie hergezaubert
die ganze Ebene von Pingvellir bedeckten und
das Innere der Almannagjä, soweit daselbst Gras wächst.
Erst im vorigen Jahrhundert ward für den Gesetzesmann
ein Haus aus Lavablöcken erbaut; doch sehr bald zerfiel es
und die Steine wurden zu ändern Zwecken benutzt, sodass
man davon keine Spur mehr zu entdecken vermag.
Sera Simon, welcher seit 21 Jahren Pfarrer von Pingvellir
ist und nie die Insel verlassen hat, zeigte uns seine einfache
Wohnung, die nur aus wenigen Räumen besteht und
theilweise, wie fast alle Häuser im Südlande, mit Gras bewachsen
ist. Auch führte er uns in die neue Kirche, welche
’) Maurer (S. 107) gibt an, die letzte Verurtheilung wegen Hexerei
in Island habe im Jahre 1690 stattgehabt; der Verurtheilte sei
jedoch begnadigt worden, und von da ab wurde kein Zauberer, keine
Hexe mehr in Island gerichtlich verfolgt. Nach Scherr («Geschichte
deutscher Cultur und Sitte», Leipzig 1854, S. 380) wurde in Deutschland
die letzte Hexe 1749 zu Würzburg verbrannt; die letzte Hinrichtung
in der Schweiz fand 1783 zu Glarus statt. So waren die
Isländer den Schweizern in der Aufklärung mit Bezug auf Hexerei
fast ein volles Jahrhundert voraus! Gewiss ein rühmliches Zeichen
der hohen Intelligenz des isländischen Volks.
im Jahre 1859 für 800 dänische Reichsthaler (ungefähr
578 deutsche Thlr.) gebaut wurde. Sie ist eine annema
(Nebenkirche) im Gegensatz zu adct/TkiThjch (Hauptkirche).
Letztere sind doppelt so gross wie erstere und fassen auf
30—32 Bänken etwa 100 Personen. Alle Kirchen Islands,
mit Ausnahme der drei «Kathedralen» zu Reykjavik, Skal-
holt und Hölar sind aus importirtem Holz gebaut und von
aussen meist schwarz betheert.
Das bescheidene Gotteshaus zu Pingvellir ist vor der
Mehrzahl der isländischen Kirchen dadurch ausgezeichnet,
dass die Bänke sauber weiss angestrichen sind; auch der
Fussboden ist glänzend weiss gescheuert und contrastirt mit
der grell bunt bemalten Kanzel scharf gegen die dunkle
äussere Hülle und die düstere Lava, welche sie umgibt.
Sonnabend den 23. Juni ward bald nach 8 Uhr aufgebrochen,
um nach Reykholt zu gelangen, wohin wir
durch Briefe aus Reykjavik freundlichst empfohlen waren.
Sera Simon Bech sattelte selbst sein Pferd und begleitete
uns eine weite Strecke, die Führer aber, welche nach
uns Pingvellir verliessen, konnten uns nicht folgen und
hatten eine andere Richtung 'eingeschlagen. Nachdem wir
ihretwegen in Besorgniss auf einer mit Zwerg birken reichlich
bewachsenen Anhöhe geraume Zeit gewartet hatten und
nichts von unserm langen Pferdezuge auf der Ebene erblicken
konnten, machte sich der gute Pfarrer selbst auf den
Weg, sie zu suchen. Endlich kamen sie und wir nahmen
von Sera Simon Bech nach einer lebhaft geführten lateinischen
Unterhaltung herzlichen Abschied mit den Worten:
«Auf Wiedersehen in Pingvellir!»
Wir ritten nun über den Hofmannaflötur an der Ostseite
des aus Basalt bestehenden Ärmannsfell und gelangten dann
durch eine tiefe, mit Wacholder bebuschte Schlucht im
Palagonittuff, hierauf über einen hohen kahlen Berg nach
dem tief unten westwärts liegenden einsamen Sandkletta