Bekanntlich hat man Madagascar in zoologischer Beziehung theils als einen
eigenen, von der alten Welt (Afrika, tropisches Asien) scharf gesonderten Welt-
theil, welcher Süd-Amerika und Australien gleichzusetzen sei, mit dem Indischen
Archipel aber noch deutlichere verwandtschaftliche Beziehungen als mit dem Conti-
nent Afrika’s erkennen lasse, hinzustellen versucht, theils sogar eine Anlehnung
seiner Fauna an diejenige Süd-Amerika’s geltend machen wollen. Während letztere
Ansicht*) sich vorläufig nur auf einige vereinzelte Wirbelthierformen stützt,
von welchen diejenigen kaum in’s Gewicht fallen können, welche ausser auf Madagascar
und in Süd-Amerika auch auf den Südsee-Inseln vertreten sind, geht
erstere **) einerseits von dem gänzlichen Fehlen der eigentlichen Affen, der grossen
Pachydermen und der Wiederkäuer, andererseits von dem Dominiren der Prosimii,
sowie dem Auftreten mehrerer eigentümlicher Insectivoren- und Carnivoren-For-
men, ähnlicher Fälle unter den Vögeln, Reptilien und Insekten nicht zu gedenken,
mit gutem Grunde aus, basirt aber darauf Schlüsse, wie: dass sich die „Land-
thiere“ (?) Madagascar’s nicht nur specifisch, sondern fast durchgehends auch generisch
von denjenigen aller übrigen Länder unterschieden, dass sich in Süd-Afrika
sogar nicht eine einzige verwandte Gruppe fände, dass man nur in Ostindien (incl.
der Inselgruppen) die in der Organisation am nächsten stehenden Gattungen antreffe
u. s. w. Prüfen wir hier in Kurzem an den bis jetzt bekannt gewordenen
Madagassischen Insekten-Formen, unter welchen die in grösserer Artenzahl vorliegenden
Coleopteren sich als besonders charakteristisch erweisen, in wie weit jenen
Angaben eine allgemeinere Gültigkeit zuerkannt werden darf.
Das Verhalten der Madagassischen Insektenfauna sowohl derjenigen der alten
Welt im Allgemeinen als des Afrikanischen Continents speciell gegenüber lässt
mehrere der augenscheinlichsten Analogieen mit den Säugethieren erkennen, in negativer
nicht minder als in positiver Beziehung. Was bei jenen in verhältniss-
mässig niedrigen Zählen zum Ausdruck gelangt, wird bei den Insekten durch
Massenverhältnisse (an Gattungen sowohl wie an Arten) bestätigt. Zunächst das
gänzliche Fehlen solcher Gruppen höheren sowohl wie niedrigeren Ranges, welche
theils in einzelnen Distrikten des Afrikanischen Continents durch Artenfülle dominiren,
theils sich über diesen allgemein verbreiten oder auch zugleich bis nach
Ostindien reichen. Hierher gehören einerseits ganze Familien, wie die Paussiden
und Vesicantien, von welchen letzteren weder die über die ganze alte Welt
verbreitete und sehr artenreiche Gattung Myldbris noch die gleichzeitig in Amerika
auftretende Lytta auf Madagascar — beide ebenso wenig in Neu-llolland — reprä-
sentirt ist***) — andererseits eine sehr beträchtliche Anzahl artenreicher Gattungen.
Unter den Carabiden fehlen von solchen: Manticora, Promim, Anthia, Polyhirma,
Graphipterus, Acanthogenius, Galerita, Tefflus; unter den Lamellicornien: Ateuehus,
*) P e t e r s , Ueber die Säugethier - Gattung Solenodon. p. 19. — Sitzungsber. d. Gesellsch.
naturf. Freunde. 1870. p. 54.
**) Isid. Ge o f f r o y St .-Hi l a i r e , Fragmentarische Bemerkungen über die geographische Ver-
theiiung der Thiere (aus: Bé l a n g e r , Voyage aux Indes orientales in: F r o r i e p ’s Neue Notizen aus
dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. XVIII. Bd. (1841) p. 21. — Auch reproducirt in:
L. S c hma r d a , Die geographische Verbreitung der Thiere, p. 286 ff.
***) Diese grosse, gegenwärtig bereits über 800 beschriebene Arten umfassende Familie hat
bis jetzt auf Madagascar als einzigen Repräsentanten den Meloë Chevrolati, C o q. aufzuweisen, während
gerade diese Gattung auf dem Afrikanischen Continent, abgesehen von Algerien, sehr spärlich,
nämlich nur durch eine Capensische und eine Aegyptische Art vertreten ist.
Sisypkus, Gymnopleurus, Epirhinus, Gopris, Onitis, Äbldbera, PcCdkycnema, Peritriehia,
Lepithrix, Pichelus, Elaphims, Gametis; unter den Malacodermen: Lycus; von typischen
Melasomen: Adesmia, Cryptochüe, Eurychora, Machla, Mol/wns, Psammodes,
Trachynotus, Sepidmm, Trigonopus, Gonopus, Anomaüpus; von Curculionen: Episus,
Microcerus, Siderodactylus, Sciobius, Ellimemstes, Eremwus, Byrsops, Spartecerus, Hy-
pocolobus, Hipporrhinus, Ta/nyrrhynch/us, Cleonus; von Longicornien: Promeces, Pitopus,
Jonthodes, Euporus, Ceroplesis u. A.; von Vesparien z. B. Synagris,. Sodann
das gewissermassen verlorene Vorkommen einzelner Arten aus solchen Gattungen,
welche gleich den oben genannten auf dem Afrikanischen Continent, resp. zugleich
im südlichen Asien durch ihre Artenfülle hervortreten, wie bei Abacetus, Cetonia
(sens. strict.), Schigonycha, Monochelus, Zophosis, Opabrwn, Brachycerus und vielen
anderen. Dass sich sowohl aus diesem gänzlichen Fehlen der einen, wie aus der
Arten-Armuth der anderen. Gruppe von Gattungen für Madagascar ein sehr auffallender
negativer Charakter ergiebt, ist durchaus unbestreitbar; trotzdem erscheint
der Unterschied dem gesammten Afrikanischen Continent gegenüber auf den ersten
Blick bei weitem beträchtlicher, als er in Wirklichkeit ist. Bei näherem Eingehen
auf den Sachverhalt ergiebt sich nämlich, dass Madagascar durch den Mangel jener
Formen zunächst nur in einen scharfen Gegensatz zu dem Caplande tritt, dagegen
in einen sehr viel weniger prägnanten zu dem übrigen tropischen Afrika, welchem,
wie bereits oben erwähnt, gleichfalls eine ansehnliche Zahl der erwähnten Gattungen
abgeht. Es entfernt sich daher Madagascar von dem grösseren Theil des Afrikar
nischen Continents faunistisch nur relativ stärker als das Capland, was insofern
gewiss nicht verwundern kann, als dieses nur durch einen Flusslauf, jenes dagegen
durch einen Meeresarm getrennt ist, welcher an seinen verschiedenen Stellen zwischen
75 und 150 geogr. Meilen in der Breite misst.
Lässt das Fehlen der bisher erwähnten Insektenformen eine deutliche Analogie
mit dem Mangel der eigentlichen Affen, Wiederkäuer u. s. w. erkennen, so
dürften andere in eine ähnliche Parallele mit den für Madagascar charakteristischen,
jedoch nach beiden Seiten hin ausstrahlenden Halbaffen zu setzen sein.
Neben einer Anzahl vereinzelter Gattungen, wie Thyreopterus, Dej. (Garabidae),
Monomma, Klug (Melasoma), u. A. ist dies vor Allem mit der Cetoniarien-Gruppe
der Sehizorrhiniden der Fall, welche auf Madagascar sowohl durch Arten- wie
durch Gattungszahl (mit Einschluss von Pm-yscelis nämlich 10) dominirt und einerseits
nach dem Afrikanischen Continent hin durch eine einzelne (Amphistoros), andererseits
nach Ostindien, den Sunda-Inseln, Philippinen, Molukken und Australien
hin durch drei Gattungen vertreten ist, den übrigen Gebieten der Erdoberfläche
dagegen abgeht. Durch dieses Verhalten würde Madagascar jedoch offenbar sich
den übrigen Theilen der alten Welt weniger gegenüberstellen, als vielmehr die
Afrikanische mit der Ostipdischen Fauna vermitteln.
Drittens fehlt es Madagascar, wie an einigen Wirbelthiertypen, so auch selbstverständlich
nicht an einer beträchtlichen Anzahl Insektengattungen, welche, in
ihrem Vorkommen auf die Insel beschränkt, durch den Grad sowohl wie durch
die Zahl ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderweitig vorkommenden
Gattungstypen für die Ermittelung des faunistischen Charakters des Landes vor Allem
in’s Gewicht fallen. Unter Hinweglassung der minder charakteristischen oder
nur durch einzelne Arten repräsentirten mögen als solche specifisch Madagassische
Formen hier nur folgende erwähnt werden: Von Carabiden: Pogonostoma, Nycteis,
Belonognatha, Sphaerostylus, Crepidopterus, Storthodontus, Eucamptognathus; von La