lieber den Charakter der Insektenfanna des Sansibar-Gebietes
nebst Bemerkungen über die Verbreitung der Insekten in Afrika.
Die Zahl der gegenwärtig bekannten Europäischen Insekten aller Ordnungen
lässt sieh in runder Summe auf mindestens 60,000, diejenige einer einzelnen,
mässig begünstigten Lokalität des mittleren Deutschlands auf 15 bis 16,000 veranschlagen.
Zu letzterer Summe würde man wenigstens dann gelangen, wenn man
das Verhältniss von 95 z. B. für Berlin, Frankfurt, Augsburg nachgewiesenen Rho-
paloceren zu 300 Europäischen als auch für die übrigen Familien und Ordnungen
maassgebend ansieht. Um wie viel grösser der Artenreichthum in den Tropengegenden
und besonders in der Nähe des Aequators ist, ergiebt sich aus den Ermittelungen
von Wa l la c e und Ba te s , von welchen ersterer die Zahl der bei Para vorkommenden
Rhopaloceren auf 600, letzterer sogar auf 700 angiebt. Bei Zugrundelegung
des obigen Verhältnisses würde hieraus die Gesammtzahl der bei Para einheimischen
Insekten auf mehr denn 100,000 zu veranschlagen sein. So wenig es
nun zweifelhaft sein kann, dass irgend welche Lokalität des tropischen Afrika und
am wenigsten eine an der Ostktiste dieses Erdtheiles gelegene, sich an Artenreieh-
thum mit der ausnahmsweise begünstigten -Umgegend von Parä messen kann, so
wird doch in keinem Falle mit der Voraussetzung fehl gegriffen werden, dass eine
durch Mannigfaltigkeit des Terrains ausgezeichnete und eines üppigen Pflanzenwuchses
wenigstens stellenweise nicht entbehrende, in unmittelbarer Nähe des
Aequators gelegene Afrikanische Landschaft einer Gegend des mittleren Deutschland
an Artenreichthum nicht nur nicht nachstehe, sondern dieselbe hierin nicht
unwesentlich übertreffe, mithin gewiss nicht unter 20,000 Insekten-Arten besitze.
Einer derartigen Summe gegenüber muss nun freilich die Zahl von 737 Arten, wie
sie sich aus der Sichtung der im Vorstehenden verzeichneten Sammlung ergeben
hat, als verschwindend gering erscheinen, ohne freilich bei Erwägung der in Betracht
kommenden Verhältnisse irgendwie befremden zu können. Während die Zahl
von 15,000 Insekten-Arten für eine einzelne Lokalität Deutschlands das Ergebniss
hundertjähriger, eifriger und vielfach wiederholter Nachforschung von Seiten zahlreicher,
mit den Bodenverhältnissen, der Flora, den Schlupfwinkeln und der Lebensweise
der einzelnen Arten auf das Genaueste vertraut gewordener Sammler ist,
handelt es sich im Vorliegenden um die ganz gelegentliche, gleichsam nur im Fluge
gewonnene Ausbeute, wie sie eine während dreier Monate sich auf ein Terrain von
etwa 300 Quadratmeilen erstreckende, in ununterbrochener Fortbewegung begriffene
Expedition, welche überdies noch mit den mannigfachsten Schwierigkeiten und
Hindernissen zu kämpfen hatte, naturgemäss mit sich bringt. In Anbetracht solcher
erschwerenden Umstände, unter welchen — und der verhältnissmässig kurzen Zeit,
während welcher sie zusammengebracht wurde, immerhin als reich zu bezeichnen,
bei der Sachkenntniss, welche dem ebenso umsichtigen wie mit lebhaftem Interesse
für den Gegenstand erfüllten Dr. 0. Ke r s t e n zur Seite stand, sich sogar auf eine
grössere Anzahl solcher Formen erstreckend, welche jedem im Sammeln Ungeübten
unzweifelhaft entgangen wären, kann diese Ausbeute dennoch nur als ein erster
Anlauf, die Insektenfauna jenes Gebietes zur Kenntniss zu bringen, angesehen werden.
Gleich allen unter ähnlichen Verhältnissen in den Tropen veranstalteten Insektensammlungen
gewährt sie offenbar nur einen sehr beschränkten Einblick in
die für die dortige Fauna charakteristischen, einen beträchtlich umfassenderen schon
in die ihr mit anderen gemeinsamen Formen; vor Allem liefert ihr verhältnissmässig
geringer Umfang von Neuem den Beweis, wie schwer die Insektenfauna
der Tropen zu erschöpfen ist und dass wir uns mit der Kenntniss derselben auch
gegenwärtig noch in den. ersten Anfangsstadien bewegen. Während sich in den
sorglältiger durchforschten Tropengegenden die zur Zeit bekannten Land-Wirbel-
thiere zu den überhaupt existirenden durchschnittlich gewiss wie 3 : 4 verhalten,
übersteigt die Zahl der bis jetzt entdeckten Insekten offenbar nirgends ‘/5, meist
vielleicht kaum 1 io der muthmasslich vorhandenen.
Für die Verbreitung der Insekten in Afrika muss es, besonders im Gegensatz
zu Amerika und Asien, als charakteristisch angesehen werden, dass sie für die natürlichen
Gruppen weiteren und engeren Umfangs (Gattungen und Untergattungen)
eine auffallend gleichmässige und allgemeine, für eine grosse Anzahl von Arten
eine aussergewöhnlich weit ausgedehnte ist: zwei Eigenthümliehkeiten, an welchen
sich zugleich zahlreiche und unter diesen die grössten und bekanntesten Wirbel-
thiere betheiligen. Mit vielem Rechte hat zuerst Er i chson*) darauf hingewiesen,
dass diese weite Verbreitung zahlreicher Arten sich nicht nur, wie z. B. im nördlichen
Asien, in-der Richtung der geographischen Breite bewege, sondern zugleich
von Norden nach Süden und in der Diagonale hervortrete. Schon die damals vorliegenden
Erfahrungen, welche sich besonders auf die Kenntniss der Faunen Sene-
gambien’s, Guinea’s, Sennaar’s, Kordofan’s, der Nil-Länder, Port Natal’s, des Caplandes
und Angola’s stützten, verliehen der Annahme Ri t t e r ’s, wonach das Innere
Afrika’s ein nahezu gleichförmiges oder wenigstens nicht von hohen Gebirgsketten
durchsetztes Tafelland sei, eine gewichtige Stütze. Gleich wie nun Letzteres durch
die seitdem gemachten geographischen Entdeckungen in immer weiterem Umfange
bestätigt worden ist, ist auch durch die gleichzeitige Erforschung der Faunen
Abyssinien’s, Mosambik’s, des Gabon-Gebietes, Liberia’s, vor Allem aber des durch
Wa h l b e r g in ausgiebigster Weise zur Kenntniss gekommenen Caffernlandes nicht
nur die Zahl der weit verbreiteten Arten sehr beträchtlich gesteigert, sondern auch
der Verbreitungsbezirk der bereits bekannten vielfach erweitert worden. Einen
wie beträchtlichen Procentsatz die weiter verbreiteten Arten in den faunistischen
Uebersichten einiger dieser neu erforschten Gebiete ausmachen, ergiebt sich aus
folgender Zusammenstellung:
*) Beitrag zur Insekten-Fauna von Ango l a (Archiv f. Naturgesck. iS . 1. p. 199. ff.).