Die Bewohner von Mallorca.
Zahl der Bewohner; hygienische Verhältnisse; Charakter der Mallorquiner.
Nach der im Jahre 1860 stattgefundenen Volkszählung besass Mallorca 209,064 Einwohner, es
kamen somit 5,77 Einwohner auf 10 ha. Die verschiedenen Bezirke der Insel sind nicht gleich
stark bevölkert. Im Partido de Inca kommen 5,39, in Manacor 4,02 und in Palma mit Einrechnung der
Stadt 7,93 Bewohner auf 10 ha. Die Bevölkerung hat seit der letzten Zählung im Jahre 1840 um
22,1 Prozent zugenommen.
Das Klima Mallorca’s kann als ein sehr gesundes bezeichnet werden und nicht mit Unrecht
hat man die Insel wegen der milden Temperatur und der Schönheit des Himmels mit dem südlichen
Italien verglichen. Unter den südeuropäischen Erdstrichen gleicher Zone giebt es kaum
einen anderen, der so wenige Todesfälle aufzuweisen hat. Die Partidos von Manacor und Palma
sind die gesündesten, während in Inca wegen der Sümpfe, die Fieber und Brechruhr erzeugen,
eme grössere Sterblichkeit herrscht. Ortschaften in der Nähe von Morästen müssen ^sogar als
entschieden ungesund bezeichnet werden, wenn sie nicht in höheren Lagen sind. Eigentliche epD
demische Krankheiten kommen nur ausnahmsweise vor.
Die Milde des Klima’s übt einen höchst günstigen Einfluss auf manche chronische Leiden
und auf altersschwache Leute aus. Nach genauer Berechnung beträgt die mittlere Lebensdauer
beider Geschlechter 30V2 Jahre und das Mittel der im A lter über 60 Jahren stehenden Personen
8,33 Prozent, darnach steht nahezu * / s t der Bevölkerung in dem Alter von 70— 100 Jahren. Personen,
welche das Alter von 100 Jahren erreichen, sind so selten w ie überall.
W ie überall in Spanien, ist auch auf Mallorca seit den ältesten Zeiten die katholische Religion
die fast ausschliessliche, die einzelnen wenigen Nichtkatholiken sind durchweg Ausländer, Israeliten
fehlen auf der Insel gänzlich.
Die Mallorquiner sind im Allgemeinen milden Charakters, heiter, offenherzig und mittheilsam.
Gegen Vorgesetzte sind sie ehrerbietig und dankbar für empfangene Wohlthaten, mitleidig
und hülfebereit gegen Arme, treu in der Freundschaft und die Liebe für 'ihre Frauen und Kinder
äussert sich bis zum Uebermaise. Charakteristisch für sie, w ie für die Bewohner aller Balearen,
ist ihre Gastfreundschaft. Diese schöne Tugend beobachtet man nicht blos beim Bauern, sondern
sie ist ebenso bei den höheren Ständen verbreitet. Jeder Fremde ist ein willkommener Gast, den
sie mit Aufmerksamkeiten überhäufen und wenn er wollte, könnte er die ganze Insel durchwandern,
ohne nöthig zu haben, in einem Gasthause einzukehren, denn in jedem Hause, mag er nun an die'
Thüre des luxuriösen Landsitzes eines spanischen Granden oder an die Hütte des armen Bauern der
Sierra anklopfen, überall würde er herzliche Aufnahme und eine gastliche Herberge finden.
Zahl der Bewohner; hygienische Verhältnisse; Charakter der Mallorquiner. 129
Die Anhänglichkeit an die Heimath, die sich stets bei den Insulanern viel lebhafter als bei
den Bewohnern des Festlandes äussert, ist bei den Mallorquinern besonders stark ausgeprägt; sie
betrachten ihre Insel, die sie mit einem rührend-zarten Ausdruck Sa Roqueta (die kleine Klippe)
nennen und die heimathliche Lebensweise als das Beste und Schönste auf der Welt. In Folge dieser
Anhänglichkeit an die Heimath, die ihnen die Trennung von derselben zu dem schwersten Opfer
macht, haben nur wenige Bewohner der Balearen ihren Wohnsitz auf dem Festlande aufgeschlagen.
Hierin ist auch der Grund ihrer Abneigung gegen den Waffendienst zu suchen, denn
sie sehen dann die in der Ferne verlebte Zeit als die unheilvollste im Leben an.
Wenn die Mallorquiner auch nicht das Feuer so mancher anderen V ö lk er des Südens besitzen,
so zeichnen sie sich doch durch einen gesunden kernigen Verstand und eine gewisse Naivetät
aus, die ihnen ein ungemein natürliches und einnehmendes Benehmen verleiht.
Es ist der Mensch in seiner natürlichen Unverdorbenheit und frei von aller Künstelei, den
wir in Mallorca vor uns sehen. Gar häufig vernahm ich aus dem Munde der dortigen Bauern
Aeusserungen, die dies bezeugten, und ganz besonders erfreute mich ihre Unbefangenheit, namentlich
die der Mädchen. Ich erinnere mich noch, w ie mir ein Mädchen eröffnete, sie w o lle in’s
Kloster gehen, denn sie liebe das zurückgezogene Leben, und es wäre überhaupt besser, sich ganz
dem Dienste Gottes zu widmen. „Sie sind so lieb, die Nonnen,“ fuhr sie lächelnd fort, während
ihr kleines, von einem weissen mallorquinischen Schleier umrahmles Gesicht einen wahrhaft klösterlich
milden und engelhaft reinen Ausdruck annahm. „Ja, eins von beiden wünschte ich, entweder
im Kloster oder in Barcelona zu sein; das sind die Orte meiner Sehnsucht.“ „Und warum denn
in Barcelona?“ fragte ich befremdet. „W e il dort viele Soldaten sind,“ antwortete ganz offen das
naive Kind. Ein anderes Mal ritt ich auf einem Maulthier durch das Gebirge, welches das Thal
des malerisch gelegenen Orient umschliesst; dann und wann hielt ich an, um ein oder das andere
Bild zu zeichnen. Ein junger Kohlenbrenner, der mir als Führer durch die Wälder diente und
zugleich der Besitzer des Thieres war, schaute jedesmal, wenn ich zeichnete, aufmerksam zu und
verwunderte sich nicht wenig, w ie sich auf dem weissen Papier allmählich aus wenigen Strichen
die Umrisse der Gegend entwickelten; er erkannte einen Berggipfel nach dem anderen, bezeichnete
jeden mit seinem Namen und blickte dann bald die Berge, bald das Papier, bald mich mit eigentüm
lich en Staunen und mit Befremdung darüber an, w ie ein fremder Eindringling die h e im a t lichen
Berge in seinem Skizzenbuch mit forttragen könne. Nach einiger Zeit fragte er auch, w ie
ich das Bild zu Stande bringe; nachdem ich es ihm so gut w ie möglich erkärt hatte, sagte er, w ie
erfreut darüber, das Geheimnis entdeckt zu haben: „Ja, jetzt weiss ich es: Sie befehlen den Bergen,
und diese gehorchen und kommen auf das Papier.“ — Ihre kräftige Constitution, ihre Genügsamkeit
und ihre Liebe zur Arbeit machen die Mallorquiner geeignet für den Ackerbau, aber auch für
das Handwerk zeigen sie bedeutende Befähigung, namentlich für jene Gewerke, die gewissen
Kunstsinn voraussetzen, w ie die Goldschmiedekunst. Fast ebenso verbreitet sind natürliche Anlagen
zur Musik, Malerei und Dichtkunst. Unternehmungsgeist geht ihnen im Allgemeinen ab, sie ziehen
daher einen sicheren, wenn auch kleinen Gewinn einem ungewissen grösseren vor.
O bwoh l es mit der Sittlichkeit seit etwa 50 Jahren auf Mallorca wesentlich schlechter
geworden ist, so kann man diese Insel doch noch immer in sittlicher Beziehung als eine der vorzüglichsten
Gegenden von ganz Spanien rühmen. Den besten Beweis bildet die geringe Anzahl
unehelicher Geburten. Statistische Erhebungen haben festgestellt, dass im Bezirk und Stadt Palma
ein uneheliches Kind auf 708 Einwohner kommt und das Geburtsverhältniss hinsichtlich ehelicher
und unehelicher Kinder sich w ie 22: r stellt, in ganz Mallorca sogar nur w ie 3 3:1 sich berechnet.
Au f die Gesammteinwohnerzahl der Balearen und Pityusen berechnet, kommt 1 uneheliches auf
30 eheliche Kinder.
Prostitution nnd Concubinate kommen natürlich auch auf M allorca vor, sie treten aber nicht
so auffallend hervor, wie auf dem Festlande und werden möglichst geheim gehalten. Das Laster
der Trunksucht zeigt sich selten, dagegen ist die Spielwuth noch immer heimisch und auf dem
Lande verbreiteter, als in den Ortschaften und Städten. Diebe giebt es wenige und nur selten hört
man über Diebstähle klagen. Man fühlt sich so sicher, dass in den Ortschaften die Hausthüren
Balearen I. 17