bilden, und die namentlich im Gedächtnisse der Bauernmädchen ihr Archiv haben. Sie rühren meist
von Glosadors (Improvisatoren) her, die noch heutzutage auf dem Lande und selbst unter den
sonst ungebildeten Bauern häufig anzutreffen sind. Ihre Improvisationen tragen sie mit einer
Betonung, die ganz den Eindruck eines Gesanges macht, jedoch meist uncorrect vor, w ie man es
von Personen, die weder lesen noch schreiben können, nicht anders erwarten kann. Es fehlt
denselben nicht an wahrem, dichterischem Schwung; bei grösser Einfachheit und schlichter äusserer
Form überraschen sie nicht selten durch die Schönheit der Bilder und die Tiefe und Zartheit der
Gedanken. Die dazu verwendete Sprache ist stets das Mallorquinische und zwar ganz so w ie man
es spricht oder wenigstens zur Zeit, w o das Gedicht verfasst wurde, gesprochen hat. In der Regel
ist der Verfasser und die genaue Zeit der Entstehung dieser Volksdichtungen unbekannt, sie sind
Gemeingut des Volkes geworden, und wenn sich auch die Namen der neueren bedeutenderen V o lk s dichter
durch Tradition erhalten haben, so ist man doch kaum mehr im Stande, anzugeben, welche
Schöpfungen ihreMusse von diesem Wüste von Liedern hervorbrachte. Die meisten Gedichte bestehen
nur aus wenigen Versen und sind, w ie man sich denken kann, überwiegend der Liebe geweiht.
Andere Lieder stimmt man beim Säen und Pflügen an, andere lassen die Aehrenleserinnen und
Schnitter auf den sonndurchglühten Feldern weithin durch die reine Sommerluft erschallen, und
noch andere pflegen den lärmenden Takt der trabenden Maulthiere und das Knirschen der Carretö
zu begleiten. Es giebt aber auch Volkslieder mit satirischem Charakter, die sogenannten Codo-
ladas (Steinwürfe); sie sind entweder gegen irgend ein Laster im Allgemeinen oder gegen die
Fehler bestimmer Personen, Familien oder Stände gerichtet, die darin gekennzeichnet sind, und
Jedermann ist begierig, sie zu erfahren. Sie machen keinen Anspruch auf künstlerische Schönheit,
es ist daher anzunehmen, dass die meisten von ihnen nahezu improvisirt wurden.
Es giebt aber auch unter den mallorquinischen Volksliedern wahrhaft schöne Gedichte, von
denen manche sogar um mehrere Jahrhunderte zurückreichen, und unter diesen findet der Philologe
noch immer Anklänge und Ueberbleibsel von der alten kräftigen Mundart.
Eines der beliebtesten Cansös, die man durch ganz Mallorca singen hört und welches Schon
sehr alt zu sein scheint, ist das folgende:
La Donzella.
A sa vorera de màr
ona donzella
Hey brodàba un mocador
ló per la Reina?
■ Còm va esser à mitx brodar
li manca seda.
— Mariner, bòn mariner
¿que portau seda?
¿Quina seda voleu vos,
bianca <5 vermella?
— Vermelleta la vull jò
que es la mes bella. —
— Entràu, entràu dins la nàu
Triareu d’ e l la . -^ '
Com va esser dins la nàu
se adormi ella;
Y dormint molt descansàda
la nàu fà vela,
Y ab lo cant del mariner
desperta ella.
— Mariner, bon mariner,
portàume en tèrra,
Das Mädchen.
Am Meer.esufer stickte
ein Mädchen i
Ein Schnupftuch,
gut für die Königin.
Wie sie es zur Hälfte gestickt hatte,
fehlte.ihr die Seide.
— Matrose, guter Matrose,
bringst Du Seide?
— Welche Seide willst Du,
weisse oder rothe?
— Roth will ich sie,
Denn sie ist die schönere.
.— Komm herein, komm herein in das Schiff,
Du sollst sie aussuchen.
Als sie im Schiffe war
schläft sie ein.
Und während sie ruhig schlief,
Spannt das Schiff die Segel auf,
Und beim Gesänge des Matrosen
wacht sie auf.
— Matrose, guter Matrose,
bringe mich an’s Land,
Que las onas de la màr
me donan péna
Voltàu la nàu,
que plorant và.
Duisme en el pòrt
hont pàre està. .
Mon páre ¿ hem voleu quità?
Mòros me venan.
Ma fili e digàu, digàu,
¿per cuant vos vener.?
Mon pare, per cent escuts
vòstra seria.
Ma fia, per un menut
nous quitaría.
Voltàu la nàu
que plorant và.
Duisme en el pòrt
hont màre està.
Ma màre,¿hem voleu quità?
Móros me venen,
Ma fia, digàu, digàu,
¿ per cuant vos venen?
Ma màre, per cent escuts,
vòstra seria.
Ma fia, per un menut
nous quitaría.
Voltàu la nàu,
que plorant và.
Duisme en el pòrt
hont germà està.
Mon germà ¿hem vleu quità?
Mòros me venan.
Germàna digàu, digàu,
¿ per cuant vos venen?
Mon germà, per cent escuts
vòstra seria.
Germana, per un menut
nous quitaría.
Voltàu la nàu,
que plorant và.
Duisme en el pòrt
hont mon bé està.
Lo meu bé ¿ hem voleu quità?
Moros me venan. —
Mon amor, digàu, digàu,
¿per cuant vos venan?
Mon amor, per cent escuts
vòstra seria.
Lo meu bé, per tot lo mon
nous deixaria.
Denn die Wogen des Meeres
machen mir Angst.
Wendet um das Schiff,
welches weinend fährt.
Bringe mich in den Hafen
wo mein Vater ist.
Mein Vater, willst Du mich loskaufen?
Mauren verkaufen mich.
Meine Tochter, sage, sage,
für wie viel sie Dich verkaufen?
Mein Vater, für hundert Escudos
wäre ich Dein.
Meine Tochter, für einen Menut (Pfennig)
würde ich Dich nicht loskaufen.
Wendet um das Schiff,
welches weinend fährt.
Bringe mich in den Hafen,
wo meine Mutter ist.
Meine Mutter, willst Du mich loskaufen?
Mauren verkaufen mich.
Meine Tochter, sage, sage,
für wie viel sie Dich verkaufen?
Meine Mutter, für hundert Escudos
wäre ich Dein.
Meine Tochter, für einen Menut
würde ich Dich nicht loskaufen.
Wendet um das Schiff,
welches weinend fährt.
Bringe mich in den Hafen,
wo mein Bruder ist.
Mein Bruder, willst Du mich loskaufen?
Mauren verkaufen mich.
Meine Schwester, sage, sage,
für wie viel sie Dich verkaufen.
Mein Bruder, für hundert Escudos
wäre ich Dein.
Meine Schwester, für einen Menut
würde ich Dich nicht loskaufen.
Wendet um das Schiff,
welches mit Weinen fährt.
Führe mich in den Hafen,
wo mein Geliebter ist.
Mein Geliebter, willst Du mich loskaufen?
Mauren verkaufen mich.
Meine Liebe, sage, sage,
für wie viel sie Dich verkaufen?
Mein Lieber, für hundert Escudos
wäre ich Dein.
Meine Geliebte, für die ganze W elt
möchte ich Dich nicht lassen.