B. Morphologisch-ökologischer Teil,
i .
1. Die bezeichnendsten In selformen u n te r den K rie ch tie re n sind die E i d e c h s e n , und
zwar besonders au s den F am ilien d e r Gekkoniden, Ig u an id en , T ejiden, L a c e rtid en u n d
Scinciden. Krokodile u n d S childkröten (diese m it Ausnahme d e r re in te rre s tris ch en Tes-
tudo’s) sowie Schlangen tre te n a u f Inseln s ta rk zurück. W äh ren d das F ehlen d e r Krokodile
und S ch ildkröten in e rste r Linie wohl a u f re in ökologischen Ursa ch en — dem Mangel
an Süßwasser — b e ru h t, is t das sp ä rlich e Vorkommen d e r Schlangen a u f In se ln a u f ih r
— vom allgemein phylogenetischen S tan d p u n k te — n ich t allzu hohes A lte r, fe rn e r au f
die im Gegensatz zu den Eidechsen wenig indiv id u en re ich en Popu la tio n en , in denen sie
a u f dem F e stlan d e a u ftre ten , sowie vie lle ich t au ch a u f die S p ä rlic h k e it ih re r B eute tiere
a u f kle in e ren E ilan d e n zu rückzuführen. — Es g ib t n u r seh r wenige Inseln, die ausschließlich
von S chlangen, n ich t ab e r auch von Eidechsen, besiedelt sind.
2. In su la re Herp e to fau n en sind gegenüber den kontin en ta len d u rch ih re A r t e n a r m u t
ausgezeichnet. Diese e rk lä rt sich au s ih r e r Isolierung, die ste ts eine m eh r oder weniger
große E n tfe rn u n g von den kontin en ta len E ntw icklu n g sz en tren m it sich b rin g t, fe rn e r aus
d e r oft fü r eine reiche E n tfa ltu n g d e r T ie rw e lt wenig günstig en geologischen Geschichte
(marine Überflutungen, E ru p tio n en ) sowie aus einigen ökologischen Besonderheiten (gerin
g e Arealgröße, Biotopänderungen infolge des Inselklimas). E in e erneute Z uwanderung
d e r a u f In se ln einmal ausgestorbenen L an d k rie ch tie r-A rten is t infolge ih re r in den meisten
F ä llen sehr gerin g en oder ü b e rh a u p t fehlenden V a g ilitä t in bezug a u f das Meereswasser
zumeist unmöglich.
3. Dieser in su la ren A r te n a rm u t ste h t in d e r Kegel ein g ro ß e r I n d i v i d u e n r e i c h t
u m gegenüber, der n ic h t n u r a u f den Mangel bzw. Z u rü ck tre ten von F e in d en zurückzufü
h re n ist, sondern vielfach auch a u f das F eh len von ökologischen V ik a rian ten : ein Geschöpf
k a n n sich a u f ein e r In se l infolge d e r allgemeinen S p eciesarmut viel le ich te r üb e r
die verschiedensten, n amentlich auch die wenig oder g a r n ich t besetzten Biotope au sb re iten
u n d so eine wesentlich zahlreichere In d iv id u e n an z ah l p roduzieren als a u f dem F estlande .
n.
1. Den inselbewohnenden K rie ch tie re n kommen einige morphologische Kennzeichen
zu, die m an als „Inse lme rkma le “ bezeic hnen k an n , n ich t weil sie a u f In se ln alle in bes
c h rä n k t sind, sonde rn weil sie d o rt weit a u ffä llig e r in E rs ch e in u n g tre te n a ls a u f dem
F estlande . — So neigen die Körperdimensionen d e r In se lk rie ch tie re in ein e r re c h t au genfälligen
Weise sowohl zum R i e s e n w u c h s wie auch zum Z w e r g w u c h s . Namentlich
viele in su la re Re liktenformen zeichnen sich d urch eine bedeutende Größe aus; ab e r auch
ganz jun g e Formen, besonders u n te r den Eidechsen, sind o ft g rö ß e r als ih re kon tin en ta len
Ausgangsformen. U n te r den Schlangen is t in su la re r Riesenwuchs weniger v e rb re ite t;
ähnlich wie die S äu g e r neigen sie a u f Inseln eher zum Zwergwuchs. Aber auch bei m an chen
in su la ren E ide chsenarten, selbst bei solchen, die a u f Inseln Riesenrassen ausbilden,
is t Zwergwuchs fe ststellba r.
2. Auch die Ausbildung einer p l u m p e n und g e d r u n g e n e n K ö r p e r f o r m , der
w ir bei seh r vielen inselbewohnenden R e p tilien begegnen, k an n man a ls ein „Inse lme rk m
a l“ bezeichnen; ein d e ra rtig e r H ab itu s is t n amentlich d u rch eine Schwanzve rkürzung
u n d -— bei Eidechsen — d u rch eine Schwanzve rdickung c h a ra k te risie rt. Die Neigung zu
g rö ß e re r Sch lan k h e it t r i t t bei In selformen zwar auch au f, is t ab e r wesentlich se ltener als
die entgegengesetzte Tendenz.
3. In d e r B e s c h u p p u n g und B e s c h i l d e r u n g d e r In se lrep tilie n m a ch t sich eine
Tendenz zu r R eduktion d e r Stacheln u n d T uberkeln sowie v o r allem zu r Verm eh ru n g der
u rsp rü n g lich en Schuppenelemente geltend. Letzteres kommt n amentlich d u rch eine V e rm
eh ru n g d e r longitu d in a len Do rsalschuppenreihen sowohl bei Eidechsen wie au ch bei
einigen Schlangen zum Ausd ru ck ; ab e r auch die Z ahl der Bauchschildchen usw. wird oft
v e rg rö ß e rt. J e z ahlreicher die Schuppen werden, desto s tä rk e r n im m t in d e r Regel ih re
Größe ab; die entgegengesetzte T e n d e n z # - V erg rö ß e ru n g d e r Schuppen u n d Reduktion
ih r e r Z ahl kommt bei In se lrep tilie n se ltener vor. Daß kleinschuppige In se lk rie ch tie re
in d e r T a t von großschuppigen V o rfah ren abstammen, beweisen ih re zuweilen m it großen
S chuppen bedeckten Schwanzregenerate (Macroscincus). — Ganz ähnlich wie die S chuppen
v e rh a lten sieh bei den in su la ren R e p tilien auch die P rä a n a l- u n d Femoralporen.
4. Die F ä r b u n g und Z e i c h n u n g schlagen bei In se lrep tilie n n ich t selten ganz v e r schiedene
V a ria tio n srich tu n g en ein; au s dem v e rschiedenartigen Zusammenspiel dieser
beiden Komponenten des Fa rb k le id e s e rg ib t sich bei inselbewohnenden K rie ch tie re n seine
re c h t hohe Verän d e rlich k e it. Trotzdem d om in ie rt a u f Inseln — sowohl bei d e r F ä rb u n g
wie auch bei d e r Zeichnung — die Varia tio n sten d en z zu r P i g m e n t v e r m e h r u n g , d. h.
zum Melanismus, d e r im einzelnen a u f eine re ch t m an n ig fa ltig e Weise zustande kommen
k an n ; Cyanismus is t eine zwar häufige, ab e r keineswegs immer a u f tre ten d e Vorstufe dazu.
Die Neigung zu r A u sbildung melanistiscber In selformen is t d u rch au s n ich t ausschließlich
bei den Mittelmeereidechsen so augenfällig; vie lm eh r kommt sie in den verschiedensten
Archipelen bei fa s t allen R ep tilien g ru p p en (Eidechsen, Schlangen, Schildkröten) vor.
E in e in su la re A ufhellung des F a rb k le id e s is t bei K rie ch tie re n dagegen weit se ltener zu
beobachten; in A u snahmefä llen fü h r t diese V a ria tio n srich tu n g zum F lav ism u s oder
E ry th rism u s.
5. W äh ren d manche Inseleidechsen seh r m a rk a n te sek u n d ä re Geschlechtsmerkmale
wie a u f dem F e stlan d e zeigen, die n amentlich in d e r Gesamtgröße zum A usdruck kommen,
haben an d e re eine re c h t deutliche Neigung zur R e d u k t i o n des S e x u a l d i m o r p h i s mu
s , sowohl in d e r F ä rb u n g wie auch in d e r Beschuppung u n d in den Körp e rp ro p o rtio n en .
6 . Bei einigen In se lk rie ch tie re n (Schildkröten, Eidechsen) lä ß t sich eine re c h t deu tliche
R eduktion b estimmter S k e l e t t -El eme n t e nach weisen, während an d e re sich wieder
ge rade entgegengesetzt v e rh a lten ; soga r in n e rh a lb ein e r einzigen v e rwandtschaftlichen
Gruppe (Galapagos-Schildkröten, K anaren-Laz erten) k a n n die eine Species zu r intensivsten
Ossifikation, die an d e re ab e r zu r Rückbildung des Skeletts neigen.
I I I .
1. Im ö k o l o g i s c h e n V e r h a l t e n d e r In se lrep tilie n sind — a u ß e r ein e r allgemeinen
Tendenz zum E u ry to p ism u s — zunächst d re i Besonderheiten bemerkenswert, die v ie lleich
t a u f ernährungsbiologische Ursachen zu rü ck zu fü h ren sind: eine Vorliebe fü r den
A u fen th a lt in der Nähe menschlicher Siedelungen, dan n eine Bevorzugung d e r B ru tp lä tz e
m a rin e r Vögel a ls A u fen th a ltso rte und endlich eine Neigung zu r lito ra len Lebensweise.
K le in e re E ide ch sen a rten , die Meeresorganismen als N a h ru n g meh r oder weniger reg e lm
äß ig annehmen, bilden ökologisch den Ü b e rg an g zu Amblyrhynchus, d e r seine N ah ru n g
ausschließlich au s dem Meere holt.
Zoologica. Heft 84. ^