zu b e trachten. Wenn ab e r zwei Ra ssen wäh ren d ih re r räum lich en Sonderung — bei p h y siologisch
fehlender oder n u r g e rin g e r E n tfrem d u n g — sich n ich t n u r morphologisch, sond
e rn auch ökologisch (oder n u r ethologisch) vo n e in an d e r e n tfe rn t haben, so w ird nach
ihrem neuen Zusammentreffen eine V e rb a sta rd ie ru n g vielfach unmöglich sein, u n d wir
werden sie infolgedessen schon als A rte n a u f fassen müssen; selbst d an n werden w ir sie
a ls A rten betra ch ten , wenn zwischen den beiden Formen noch ganz vereinzelte Hyb rid en
Vorkommen sollten.
c) Die morphologische Divergenz is t gering, die physiologische ab e r groß. In diese
K a teg o rie gehören die n ich t g e rade seltenen F ä lle , d aß in einem Gebiete zwei seh r wenig
verschiedene Formen Vorkommen, die ab e r m ite in an d e r niemals d u rch Übergänge v e r b
unden sind. W äh ren d die S y stem a tik e r d e r ä lte ren Schule, fü r die d e r A rtb eg riff n a tu r gemäß
in d e r Hau p tsa ch e ein re in morphologischer wa r, d e ra rtig e Fo rm en systematisch
ü b e rh a u p t n ich t an e rkennen wollten oder ab e r sie als „V a rie tä te n “ bzw. „U n te ra rte n “ a u f faß
ten oder auch heute noch auffa ssen, b e tra ch ten w ir sie je tz t als A rten , u n d zwar als
A rten , die physiologisch so s ta rk en tfrem d e t sind, daß eine V e rb a sta rd ie ru n g in d e r fre ien
N a tu r n ich t meh r e rfolgt. So kommen z. B. in Südeu ro p a bestimmte Eidechsenformen
nebeneinande r vor, die sich n u r ganz wenig u n terscheiden — ih re Unterschiede sind b isweilen
so gering, daß sie sich in einem Bestimmungsschlüssel ü b e rh a u p t n ic h t zum Ausd
ru ck brin g en lassen — ; trotzdem werden niemals in te rm e d iä re In d iv id u en im Gebiete
des gemeinsamen Vorkommens gefunden.
d) Die morphologische u n d die physiologische Divergenz sin d beide seh r erheblich.
E s is t ganz k la r, daß so s ta rk differenzierte Rassen nach ih rem Zusammentreffen in allen
F ä llen A rten , wenn n ic h t soga r schon verschiedene G attungen ergeben werden.
Wenn w ir nunm eh r die E rgebnisse dieser B e tra ch tu n g k u rz zusammenfassen und
u n te r Iso la tio n n ic h t n u r die räum lich e Sonderung v erstehen, sonde rn diesen Begriff möglich
st weit fassen u n d auch a u f die Selektion ausdehnen, so sind w ir b e re ch tig t zu sagen:
ohne Iso la tio n is t die E n ts teh u n g einer neuen Species unmöglich. Trotzdem müssen w ir
ab e r s tren g d a ra n festh a lten , daß Iso la tio n n ich t etwa d a s P rin z ip d e r A rtb ild u n g ist; eine
Isolation, sei es eine räumliche, physiologische oder selbst a u f n a tü rlic h e r Z uchtwahl beruhende,
ste llt n i e m a l s e i n e v a r i a t i o n s s c h a f f e n d e K r a f t d a r, sondern lediglich
eine v a ria tio n se rh a lten d e oder v a riationsausmerzende. Denn ohne die F ä h ig k e it zu
v a riie ren , die allen Lebewesen eigen ist, w ä re au ch die schärfste , viele Ja h rm illio n e n lang
d au e rn d e Iso la tio n n ich t imstande, bei den Geschöpfen irgendwelche V a ria tio n en auszu lösen,
die einen stammesgeschichtlichen F o rts c h r itt oder R ü c k sch ritt bedeuten würden.
IV. Insularer Formenwandel und die Mutationstheorie.
1. Die Mutabilität der Insel-Variationen.
Z ugunsten der z en trip e ta len G ru n danschauung d e r Abstammungslehre (vgl. S. 119)
haben u n se re bishe rigen E rö rte ru n g e n üb e r die Ursachen d e r In se lv a ria tio n en n ich t allzu
viel positives M a te ria l zusammenzutragen vermocht. Denn die u nm itte lb a re Beeinflussung
d e r In se lv a ria tio n en durch in su la re Umweltsfaktoren is t zur Zeit kaum nachweisbar. Auch
die räum lich e Sonderung, ein Umweltsfaktor, d e r fü r die In s e ln a tu r ü b eraus bezeichnend
u n d m it dem A u ftre ten — oder r ic h tig e r m it der E rh a ltu n g I jlilm a n n ig fa ltig s te r In se lv
a ria tio n en au fs engste v e rk n ü p ft ist, ste llt, wie w ir im letzten K ap ite l gesehen haben,
keine variationsschaffende, also auch keine z en trip e ta le K r a f t d a r. Es g ilt d a h e r nunm eh r
nachzuprüfen, ob die E n ts teh u n g in su la re r E igenschaften bei Reptilien sich m it d e r z e n t
r i f u g a l e n Anschauung in d e r Deszendenztheorie besser in E in k lan g bringen läß t.
Im zoogeographischen Teil haben w ir festgestellt, d aß viele Rep tilien schon se it u r alten
Zeiten a u f In se ln leben. Die morphologische E ig e n a rt d e r inselbewohnenden K rie ch tie
re v e rd a n k t also teilweise ganz gewaltigen Z e iträumen ih re Ausbildung. Was jedoch
ih re E n ts teh u n g betrifft, so b e ru h t sie einzig und allein a u f d e r allen Lebewesen innewohnenden
F ä h ig k e it zu v a riie ren , d. h. neue E igenschaften zu erzeugen. Die V a r ia b ilitä t der
Organismen is t es, die d a fü r sorgt, daß eine lan g d au e rn d e Isolation n ich t zum S tillstan d
des Evolutionsprozesses fü h rt, wie die so m an n ig fa ltig differenzierten F au n en auch der
älte sten Inseln, z. B. Madagaska rs, au fs deutlichste zeigen. Daß die Auslösung d e r V a r ia tionen
n ic h t ausschließlich a u f das Konto d e r Umweltsbedingungen gesetzt werden kann,
is t nach u n se ren b ishe rigen E rö rte ru n g e n gewiß. Wohl v e rm ag die Umwelt u nm itte lb a r
a u f den Organismus, zuweilen sog a r seh r erheblich, einzuwirken; ab e r die a u f diese Weise
erzeugten V a ria tio n en betreffen in den weitaus meisten F ä llen n u r den P h än o ty p u s und
sind d ah e r n ich t erblich. Diesen Modifikationen stehen n u n die erblichen V a ra tio n en
gegenüber, die Mu t a t i o n e n . Und daß es sich bei den Inselmerkmalen zum weitaus g rö ß ten
Teil um erbliche Va ria tio n en , d. h. um Verän d e ru n g en des Genotypus, handelt, steht
a u ß e r jedem Zweifel: werden sie doch au f die Nachkommen auch dan n ü b e rtrag e n , wenn
man die in su la ren K rie ch tie re in eine ganz andere Umgebung I etwa in ein T e rra rium
— versetzt.
Inwieweit n u n die Umwelt a n der Auslösung dieser Genovariationen be te ilig t ist, das
ste llt b ek anntlich in d e r Gegenwart eine viel um stritten e F ra g e d a r. Daß fü r die in su la ren
Muta tionen d e r R e p tilien die Umwelt keine allzu hohe Bedeutung haben kan n , wurde
b e re its v erschiedentlich betont; u n d u n te r dem von uns zusammengetragenen M a te ria l
ü b e r die In se l Variationen der K rie ch tie re befindet sich eigentlich nichts, was m it absolute r
S ich e rh e it zugunsten ein e r Beeinflussung des Keimplasma s durch somatische V ariationen,
also fü r die Abhän g ig k e it des Genotypus vom P h än o ty p u s sprechen würde. Indessen ist
d u rch au s n ic h t unmöglich, daß bis zu einem gewissen Grade bestimmte Umweltsbedingungen
oder ih re Gesamtheit doch d ire k t a u f den Genotypus eines In se lk rie ch tie re s w irk sam
sein können, wie es noch weiter u n ten e rö rte rt werden soll.
Trotzdem k a n n ab e r meiner A nsicht nach als wahrsche inlich gelten, daß d e r g rößte
Teil d e r genotypischen V a ria tio n en a u f Inseln, die ja n a tu rg em äß d urch Änderungen im
Keimplasma , also im Genbestande der Organismen, b ed in g t werden, a u t o n o m ist, d. h.
au f ein e r F ä h ig k e it und Neigung d e r Geschöpfe b e ru h t, erbliche V a ria tio n en zu erzeugen,
ohne jeden Einfluß der Außenwelt. Diese Tendenz zu r V e rm an n ig fa ltig u n g wird noch
b eg ü n stig t d urch die au ß e ro rd en tlich hohe genotypische Verschiedenheit d e r Organismen,
die ja o ft im P h än o ty p u s g a r n ich t zum Ausdruck kommt und infolgedessen zumeist viel
zu wenig b e rü ck sich tig t wird. In d e r fre ien N a tu r scheinen n u n die a u f in n e ren Ursachen
beruhenden V a ria tio n en g erade bei der Ausbildung geographische r Fo rm en oder Rassen
(Subspecies) in den verschiedensten T ie rg ru p p en weit v e rb re ite t zu sein. So lassen beispielsweise
a u f dem Festlan d e zahlreiche geographische Formen der Säuger, Vögel, K rie ch tie
re , Lurche, Gliedertiere u n d Mollusken, die o ft ganz k o n tin u ie rlich e „R assenketten“
oder „Rassenkre ise“ bilden, keine d irek ten Beziehungen zu den äu ß e ren Lebensbedingungen
erkennen, indem etwa irgendeine S te ig e ru n g oder Abschwächung einzelner Merkmale
entsprechend ein e r V e rän d e ru n g d e r Umweltsfaktoren nachzuweisen wäre; d a ra u f is t ja