die U ntersuchungen A b e l s an fossilen T ie ren kennen — folgt d an n ein E rlöschen der
ganzen Species.
U n te r den in su la ren R e p tilien können vie lle ich t a ls Me rkmal einer beginnenden E n ta
r tu n g die re c h t häufig a u f tre ten d en h y p e r t r o p h i s c h e n K a l k s ä c k c h e n mancher
Inselechsen aus den F am ilien d e r Haftz eh e r und Leguane g e n an n t werden. E s h an d e lt sich
offenbar um eine e igenartige E rk ra n k u n g des Gehörorgans, u n d zwar jenes Teiles des h ä u tig
en L ab y rin th s , den m an als den Duc tu s endolymphaticus bezeichnet. Dieser n o rm a le rweise
m it Otholithenbre i an g e fü llte K an a l, der m it ein e r b la s en a rtig en A u ftre ib u n g , dem
Saccus endolymphaticus endet, k a n n n u n bei e inigen Echsen zu rie sig en K alksäcken a n schwellen,
die lin k s u n d re ch ts von d e r Halswirbelsäule liegen u n d o ft a ls weißliche oder
hellgelbe Flecken durch die H a u t h indurchscheinen. Sie sind bisweilen so s ta rk ausgebildet,
daß sie sich a u f d e r V en tra lse ite fa s t b e rü h ren . Me rkwürdigerweise sin d es. g e rad e in su la
re Geckonen, die zu einer H y p e rtro p h ie dieser Kalksäckchen neigen. Ic h habe sie n am en tlich
bei Peropus mutilatus, Hemidactylus garnotii u n d Cosymbotus platyurus a u f den
Kleinen Sunda-Inseln gefunden; sie sind ab e r au ch von einigen an d e ren in su la ren A rten
(z. B. Phyllodactylus europaeus; W i e d e r s h e im , 1879, S. 529) bekannt. Manche Stücke
der madagassischen Taggeckos (Phelsuma madagascariensis) können na ch K r e f f t (1925,
S. 494, 497) a u f Nossibe d urch abnorme Kalkgeschwülste ganz u n fö rm ig e n ts te llt sein und
müssen langsam dahinsiechen. Außerdem habe ich diese H y p e rtro p h ie bei dem k u b a n ischen
Anolis porcatus festgestellt. Offenbar wird diese k ra n k h a fte B ild u n g d urch irgend
eine S tö ru n g des Stoffwechsels h e rv o rg e ru fen ; vielleicht k a n n man diese Wucherungen
m it den gelegentlich h y p e rtro p h is ch au ftre ten d e n Kalksäckchen d e r Fro sch lu rch e v e r gleichen,
die ja morphologisch ebenfalls als An h än g e des Saccus endolymphaticus zu betra
c h te n sind. — Wie hei allen „ In se l-V a ria tio n en “ h an d e lt es sich ab e r auch bei d e r Kalk-
sä ckchen-Hypertrophie, v e rm u tlich ein e r nich t erblichen E rscheinung, n ich t um ein au sschließlich
a u f Inseln au ftre ten d e s E nta rtu n g s-M e rkma l.
4. Der Verlauf des insularen Formenwandels.
In seinen b e rü hm ten V o rträg e n üb e r die Deszendenztheorie bezeichnet W e i s m a n n
(1913, 2 , S. 257) das V a riab e l werden „ einer einsamen E inw an d e rin a u f ju n g fräu lich e s Geb
ie t“ geradezu als ein Gesetz. W ir wissen zwar, daß es n ic h t u n b ed in g t e rfo rd e rlich ist,
daß ein Geschöpf, das nach einem neuen A re a l vermöge seiner M ig ra tio n sfäh ig k e it g elangt
oder das von seinem Mutterbestande durch Iso la tio n in ein eigenes Gebiet v e rse tz t wird,
sich in V a ria n te n a u f sp a lte t; eine u n b e s tre itb a re und d u rch das E x p e rim en t d e r H au stie r-
Z üchtung belegte T atsache is t aber, daß eine S e p a ra tio n d e r Organismen in vielen F ä llen
von d e r P ro d u k tio n meh r oder m in d e r z ah lre ich e r V a ria tio n en des Genotypus begleitet ist.
D a r w i n faß te die F ä h ig k e it der Organismen, V a ria tio n en zu erzeugen, als etwas Gegebenes
auf. W ir nehmen an, daß die Auslösung erblicher In se lv a ria tio n en , die ja au f
chemischen und q u a n tita tiv e n Gen-Änderungen beruhen, im wesentlichen au s i n n e r e n
U r s a c h e n s ta tth a t: d a ra u f d eu te t v o r allem die T atsache hin, daß die M a n n ig fa ltig k e it
d e r in su la ren T ie re bei weitem g rö ß e r is t als die Verschiedenheit d e r Lebensbedingungen.
Ob und inwieweit bei dem in su la ren Formenwandel a u c h ä u ß e r e F a k t o r e n mit-
wirken, is t geg enw ä rtig noch n ich t m it B e stim m th e it zu sagen. Die moderne Genetik h a t
a lle rd in g s gezeigt, daß Muta tionen n ich t n u r einen ausgesprochen autonomen C h a rak te r
haben, sonde rn auch d u rch E inw irk u n g von A u ß en fak to ren entstehen können: so d urch
B e strah lu n g m it Radium u n d Röntg en strah len , fe rn e r d urch E in fü h ru n g von Blei- und
Mangansalzen in den Stoffwechsel sowie endlich d urch extreme T em p e ra tu ren . Doch
scheint die Q u a litä t d e r mutationsauslösenden Reize von sek u n d ä re r Bedeutung zu sein,
also ganz ähnlich wie das gegensätzliche E x trem des gleichen F a k to rs oft den gleichen
Effekt im P h än o ty p u s h e rv o rz u ru fen ve rm ag : w urde doch eine S teigerung des Melanismus
beispielsweise sowohl d urch Hitze wie K ä lte , durch F eu ch tig k e it wie Trockenheit,
d u rch s ta rk e B e lichtung wie Dunkelheit, ja soga r d u rch Über- wie U n te re rn ä h ru n g
beobachtet!
Wen n es sich n u n auch bei der experimentel len Auslösung von M u ta tionen n am en tlich
d u rch Rön tg en strah len u n d Radium — ste ts um re ch t tiefgreifende E inw irk u n g en
han d e lt, die in d e r fre ien N a tu r n u r ganz selten einmal Vorkommen d ü rften , so lä ß t es sich
n ich t ganz von d e r H an d weisen, daß z. B. abweichende T em p e ra tu rv e rh ä ltn iss e eines neuen
Areals, das von einem Geschöpf vermöge se iner Mig ra tio n sfäh ig k e it e rre ic h t wird, bei der
E n ts teh u n g von Mu ta tionen eine Rolle spielen können. In diesem Zusammenhänge is t es
wichtig nochmals a u f die Versuche von J o l l o s (vgl. S. 174) hinzuweisen, d e r d u rch erhöhte
T em p e ra tu r bei d e r Essigfliege soga r g e rich te te Muta tionen erzielen konnte.
Obwohl weitere ex akte Versuche in dieser Richtung, namen tlich an höheren Tieren,
noch fehlen, h a lte ich es doch keineswegs fü r unwahrsche inlich, daß bei dem in su la ren
Formenwandel neben autonomen Grund u rsa ch en auch der T em p e ra tu rfa k to r gelegentlich
a ls v a ria tio n sfö rd e rn d e K r a f t mitwirk en kan n . Vielleicht g en ü g t a b e r schon eine plötzlich
au ftre ten d e u n d n u r vorübergehend wirkende S te ig e ru n g irg en d eines anderen, etwa e rnährungsbiologischen
Umweltsfaktors, von d e r d e r IsolierungsVorgang einer Popula tio n
ö fter begleitet sein mag, um eine V e rän d e ru n g im physiologischen Zustande des K ö rp e rs
u n d d e r Keimzellen h e rv o rz u ru fen u n d d am it auch die E rzeu g u n g von Muta tionen zu beg
ü nstigen; vielleicht is t a b e r d a fü r auch eine leichte Ä n d e ru n g d e r Umweltshedingungen
in ih r e r Gesamtheit, die ja fa s t jed e r Isolationsprozeß fü r k ü rz e re oder län g e re Zeit m it
sich b rin g t, entscheidend. Im gewissen Sinne k a n n m an das A u ftre ten d e r Mu ta tionen bei
in su la ren T ie ren m it dem Mutieren d e r Geschöpfe im Zustande der Domestikation v e r gleichen:
denn auch bei einem, vom Menschen k ü n stlich isolierten H a u s tie r stamm pflegen
die Genovariationen o ft ohne irgend eine deutlich nachweisbare U rsa ch e — trotzdem aber
vielleicht doch n ich t ganz ausschließlich a u f Grund in n e re r F a k to re n — sich auszuhilden.
Wenn w ir also auch in e rste r L in ie d u rch au s an d e r zen trifu g a len Grund an sch au u n g der
Abstammungslehre (vgl. S. 119) festh a lten , so sollen auch die z en trip e ta len Gedankengänge
— im oben an g edeuteten S inne — beim F ormenwandel d e r In sel-Reptilien d u rch au s nich t
ganz abgelehnt werden.
Über den eigentlichen chemischen Mechanismus, d e r bei d e r E n ts teh u n g ein e r Mu ta tion
d urch Gen-Veränderung wirk sam ist, wissen w ir zu r Zeit nichts. Vielleicht e rfo lg t die
Auslösung b e stimmter Mu ta tionen bei in su la ren R eptilien, die z. B m it dem Melanismus
und Riesenwuchs Zusammenhängen, m it Hilfe in n e rsek re to risch e r Vorgänge. So wissen wir,
daß die P a r s in te rm e d ia d e r Hypophyse ein Hormon (Infundin) erzeugt, das die E xpan sio n
d e r Melanophoren bedingt, während die P a r s a n te rio r die Größenzunahme des K ö rp e rs
w äh ren d des Wachstums reg u lie rt. Da nun melanistische In se lrep tilie n sich o ft auch durch
eine bedeutende Größe auszeichnen (ähnlich wie manche Nigrinos a u f dem F estlande : z B.
schwarze N a tte rn , H amster), so lieg t d e r Gedanke nahe, daß eine in su la re Muta tion, die sich
d urch gesteigerte Schwärzung u n d Riesenwuchs zu e rkennen gibt, m it ein e r besonderen
Ausbildung der Hypophyse in einem kau sa len Zusammenhänge stehen k an n ; daß also die
von den Genen ausgehende W irk u n g zunächst n u r die Ausbildung d e r Hypophyse b e trifft
Zoologica. Heft 84. 23