Man b ra u c h t n ich t d a ra n zu zweifeln, daß das Nichtvorfinden dieser Fo rm en in u n b
edeutender Tiefe im Ba ika lsee eine Z u fä llig k e it is t u n d daß bei weiteren eingehenden
U n te rsuchungen die e rw äh n ten A rte n auch in unbedeutender Tiefe nachgewiesen werden.
Die ü b rig en 10 A rte n dieser Gruppe sind neue Formen. Von ihnen is t n u r Nidula
multicapitata eine seh r eigen a rtig e Form, welche von den üb rig en C o th u rn in a so s ta rk ab weicht,
daß fü r sie eine neue U n te rfam ilie a u f gestellt werden mußte. Dieses In fu so r wurde
im L au fe u n se re r A rb e iten n u r ein einziges Mal in ein e r Tiefe von 595 m angetroffen, in
ein e r Zahl von 2 E x em p la ren ; es gehört, wie es scheint, zu den se h r seltenen Formen. I n folge
des Gesagten können w ir diese A r t n ich t fü r eine echte T ie fse e a rt erk lä ren .
Die ü b rig en 9 neuen F o rm e n gehören zu so gewöhnlichen Gattungen, wie Vorticella,
Zoothcimnium, Epistylis, Cothurnia, Tokophrya u. a. u n d stehen den schon bekan n ten
A rte n nahe. Abgesehen davon kamen einige von ihnen, z. B. Cothurniopsis aurea, Rhabdo-
styla pellucida, Vorticella constricta, Zoothamnium digitalis seh r selten vor; es ist wiederum
möglich, daß diese F o rm e n au ch in g e rin g e ren Tiefen gefunden werden können, wenn
man die e rw äh n te Ä h n lich k e it derselben m it gewöhnlichen A rten der entsprechenden
G attungen in B e tra c h t zieht.
Au f Grund alles Gesagten kommen w ir zu r Schlußfolge rung, daß im B a ika lsee eine
spezifische T ie fseeinfusorienfauna k aum vorkommt; eine ziemlich b e trä ch tlich e Z ahl von
L ito ra lfo rm en konnte sich im Ba ika lsee von den U fe rn bis a u f bedeutende Tie fen v e rb re iten;
einige von ihn en konnten bis a u f die Grenztiefen des Baikalsees Vorkommen; in A n b
e tra c h t dessen, daß in ih ren äu ß e ren Merkmalen g a r keine me rklichen Ve rän d e ru n g en
eingetreten sind, d a rf m an ab e r annehmen, daß die E ro b e ru n g d e r Tie fen d u rch die lito-
ra le n Infu so rien fo rm en im geologischen Sinne ein v e rh ä ltn ism äß ig ju n g e r Proz eß ist. Diese
Schlußfolge rungen stimmen m it den geologischen Angaben überein, nach welchen die
E n ts teh u n g des Baikalseekessels sich a u f das E nd e d e r te r tiä re n oder soga r a u f die q u a te
rn ä re P e rio d e bezieht (W. O b r u t s c h e w , M. T e t j a j e w ) .
C. Über die marinen Elemente in der Infusorienfauna des Baikalsees.
Wie bek an n t, is t die F ra g e ü b e r die geologische V e rg an g en h e it u n d H e rk u n ft des
Baikalsees und den allgemeinen C h a rak te r se iner F a u n a u n d F lo ra vielfach um s tritte n
worden. Zwei entgegengesetzte Theorien: diejenige d e r Meer- u n d die d e r Süßwasser-
abstammung des Sees u n d se iner Bevölke rung käm p fen um die Lösung dieser F ra g e , die
n ic h t n u r d ad u rch Bedeutung e rh ä lt, daß sie zu r K en n tn is dieses in bezug a u f seine H y d ro g
rap h ie und Bevölke rung einzigen Wasserbeckens fü h rt, sonde rn auch d a rum , daß „die
E rfo rsch u n g dieser a lten Z u fluchtstä tte eine d e r vornehmsten Methoden ist, die V o rgeschichte
d e r Süßw a sse rfau n a zu entscheiden“ ( E kma n , 1927).
Nach einigen Schwankungen nach d e r einen oder än d e rn Seite*) e rh ie lt die d u rch die
A u to r itä t von L . S . B e r g u n te rstü tz te Theorie d e r S üßwasserabstammung des Baikalsees
das Übergewicht und w urde auch bis a u f die neueste Zeit von allen angenommen.
Nach dieser Theorie h a t sich das Gebiet des Baika lsees „seit d e r P e rio d e d e r Ablageru
n g en des u n te rk am b risch en Meeres n ic h t meh r m it Meer bedeckt“ (Be r g, 1922), und
deswegen „gibt es im Ba ika lsee ü b e rh a u p t keine Elemente, die m it irg en d welchen fossilen
oder je tz t noch lebenden Meeresformen v e rw an d t sind. Wenn dennoch einige Ä h n lich k
eiten m it m a rin en Fo rm en zu bemerken sind, so haben w ir es h ie r m it Konvergenz-
*) E in e au sfü h rlich e Übe rsicht d e r Anschauungen ü b e r d e n Ursp ru n g des Baikalsee s u nd se in e r Bevölkerung siehe
b e i B e r g (1910, 1922, 1925, 1928), J o h a n s e n (1925) u nd W e r e s t s c h a g i n (1930).
E rsch e in u n g en zu tu n “ (Be r g, 1925). Die F a u n a des Baikalsees ab e r besteht au s 2 E le menten:
1. au s Formen, welche sich im Ba ika lsee selbst w äh ren d seines langen geologischen
Lehens e n tw ic k fjj h aben u n d 2. au s Ü b e rre sten (Relikten) ein e r meh r Warm- u n d
Süßwasser- (und Brackwa sse r-)F au n a , die z u r Zeit des O b e rte rtiä rs das n ördliche Asien
(und Nordamerika ) u n d die anliegenden Teile Z entralasiens besiedelte“ (L. B e r g, 1928).
Jedoch d an k der A n h äu fu n g n eu e r geologischer Angaben u n d dem umfassenderen u n d
vie lse itig e ren S tu d ium d e r F a u n a u n d F lo ra des Baikalsees u n d d e r Wasserbecken der
b en a ch b a rten Gebiets m u ß te wiederum die F ra g e üb e r die E n ts teh u n g des Baikalsees und
se iner Bevölke rung ein e r Revision u n te rw o rfen werden. Ganz v o r kurzem, 1928, 1930,
h a t W e r e s t s c h a g i n eine Übe rsich t u n d k ritis ch e Bewe rtu n g d e r a lten u n d neu a n gesammelten
Angaben ü b e r den F a u n a - u n d F lo ra b e stan d des Baikalsees vom bio-geographischen
S ta n d p u n k t gegeben und, als geologische Vorbedingungen, die v o r kurzem e r schienenen
A rb e iten von T e t j a j e w (1926, 192?) u n d Lwow (1924) annehmend, Ansichten
g e äu ß e rt, die den v o raufgegangenen vollkommen entgegengesetzt erscheinen. Die wesentlichsten
Seiten d e r A n schauungen dieses Verfa sse rs b rin g en w ir h ie r in F o rm von kurzen
Auszügen au s seinen Aufsätzen: „Die N a tu rb ed in g u n g en des Baikalsees können die besteh
enden Ä hnlichkeiten se in e r F a u n a u n d F lo ra m it d e r F lo ra u n d F a u n a des Meeres n ich t
e rk lä re n .“ „Die U rsachen . . , sind u n b ed in g t in dem u nm itte lb a re n E in d rin g en d e r m a rinen
F a u n a u n d F lo ra in den Be stand der Ba ika lb ev ö lk e ru n g zu suchen“ ; „die möglichen
Quellen, woher die m a rin en Elemente in den Baikalsee eirigedriingeri waren,„sind das südlich
vom Bäikal&ee gelegene Ju ra -M e e r u n d die boreale T ran sg re ssio n nördlich vom B a ikalsee,
„Es lag en zwei Möglichkeiten des E in d rin g en s m a rin e r Elemente in den Baikalsee
vor: 1. die a k tiv e Im m ig ra tio n flußaufwä rts, 2. d e r Zufluß von Gewässern au s den benachb
a rte n Gebieten.“ „ In d e r Ju ra -P e rio d e ste llte Z e n tra la s ie nB - tro tz d ek-Irüher festgewurzelten
A n sich t — ein Meer d a r “ ; „ in der nachfolgenden Zeit, d ire k t bis zum T e rtiä r , fan d
eine Aus^üßung dieses Meeres, seine Z ergliederung in einzelne B e standteile u n d die B ild
un g ein e r Re ihe von re lik te n Wasserbecken s ta tt, die in ih rem Bestände eine Re ihe von
V e rtre te rn d e r marinen))J u ra fa u n a - u n d -flora aufwiesen, die sich den Süßwasserbeding
ungen angepaß h a tte n .“ „Bei den nachfolgenden V e rän d e ru n g en der re la tiv e n Höhe einzelner
P u n k te d e r Oberfläche des ganzen Gebietes fan d en diese Wasserbecken,ojnen Abfluß
in die Region des B a ika lsees“ , dessen Becken sich e rst am Ausgang d e r te r tiä re n u n d Beg
in n d e r q u a r tä re n P e rio d e gebildet hatte .
Die Bevölke rung des Baika lsees setzt sich nach W e r e?#t‘s'e 'h a g i n aus folgenden
Grundelementen zusammen: „1. D a s a l l g e m e i n V e r b r e i t e t e s i b i r i s c h e E l e me
n t , ; 2 . d a s u r a l t e S ü ß w a s s e r e l e m e n t , zu dem die Fo rm en gehören, die als Üb e rre
ste d e r u ra lte n te rtiä re n Sü ßw a sse rfau n a erscheinen, 3. d a s m a r i n e E l e m e n t , zu
dem die Fo rm en gehören, deren n ächste Verwan d te au ß e rh a lb des Baikalsees im Meere
leben und im süßen W a s se r n u r als Re likte oder Im m ig ra n te n V o r k o m m e n “ u n d 4. E l e m
e n t e u n g e k l ä r t e n U r s p r u n g s , d. h. Formen, die keine genetische V e rw an d tsch
a ft m it an d e ren au ß e rh a lb des Baika lsees verkommenden F o rm e n iä u fw e is en .“ ( We r
e s t s c h a g i n , 1928; 1930, S. 82, 83, 84, 107, 108, 109, 112, 113.1
E s u n te rlie g t keinem Zweifel, d aß die F e stste llu n g eines vollkommenen F ehlens u n d
noch meh r des Vorkommens m a rin e r Elemente im Bestände irg en d welcher Gruppe der
Ba ika lb ev ö lk e ru n g in einigen F ä llen die Bedeutung eines wesentlichen Zeugnisses fü r diese
oder jene Theorie d e r Abstammung d e r Ba ika lb ev ö lk e ru n g e rh ä lt. Welches Ma te ria l, welche
Zeugnisse lie fe rn u n s n u n in bezug a u f diese F ra g e die Ba ika linfusorien?