Allgemeiner Teil.
A. Die horizontale Verteilung und die ökologisdien Hauptgruppierungen
der planktischen Infusorien im Baikalsee.
Der Baikalsee, einer d e r g rö ß ten u n d tie fsten Seen der Welt, dessen A u sdehnung nach
ein e r R ich tu n g h in ü b e r 600 km b e träg t, um faß t, a u ß e r dem nach seinen Ausmaßen u n d
auch nach der M a n n ig fa ltig k e it d e r Tiefen ausschließlichem P e lag ia l, noch eine Reihe um fan
g re ic h e r Ba ien, die ih r eigenes P e lag ia l, ih re eigenen physiko-geographischen, hydrologischen
u n d ökologischen Bedingungen aufweisen, Ba ien, die in gewissen Beziehungen einzelnen
g roßen Wasserbecken gleichgestellt u n d zu verschiedenen T y pen d e r bestehenden
E in te ilu n g d e r Wasserbecken, etwa d e r von T h i e n e m a n n , N a u m a n n u .a . zugerechnet
werden können. Außerdem n im m t d e r Ba ika lsee zahlreiche, d a ru n te r seh r g roße u n d wasse
rreiche Flüsse au f, die in ganzen Be zirken des Sees e ig en a rtig e Bedingungen schaffen.
Dadurch bie te t d e r Ba ika lsee in seinen einzelnen Abschnitten eine d e ra rtig e M a n n ig fa ltig k
e it von Bedingungen u n d von Gru p p ie ru n g en se iner Bevölkerung, d aß die allgemeine
limnologische C h a ra k te ristik dieses Sees n ich t als C h a ra k te ristik eines räum lic h in ihm
dominierenden Gebiets — des P e lag ia ls des offenen Sees — v e rstan d en u n d eventuell durch
diese e rsetzt werden k an n ; sie muß vie lm eh r d u rch eine gewisse k omplizierte synthe tische
F o rm e l au sg ed rü ck t werden, welche die ganze Summe d e r H au p tm e rkm a le d e r einzelnen
Regionen wie auch des Sees im ganzen, als ein e r limnologischen E in h e it höchsten Grades,
einschließt. E s leu ch te t ein, daß die reiche In fu so rie n fa u n a des Sees, entsprechend den
m an n ig fa ltig en Bedingungen dieses Wasserbeckens, in ihm n ic h t diffus v e rte ilt ist, sonde
rn sich zu gewissen bestimmten Gemeinschaften g ru p p ie rt. Von diesem S ta n d p u n k t aus
machen w ir im vorliegenden A b sch n itt den Versuch, die H au p tg ru p p ie ru n g e n d e r In fu so rien
im Ba ika lsee zu schildern. Diese Gru p p ie ru n g en werden, wie sich im v o rau s v e r m
uten läß t, zum Teil m it den noch n ic h t vorliegenden G ru p p ie ru n g en an d e re r, v o r allem
p lan k tisch e r Organismen des Baikalsees zusammenfallen, teilweise a b e r auch von ihn en
ahweichen, wie dies ja ü b e rh a u p t fü r verschiedene O rg anismengruppen in der Bio-Geograph
ie gilt. Aus d e r Gegenüberstellung d e ra rtig e r Gemeinschaften w ird sich d an n die gesetzmäßige
V o rstellung üb e r die V e rte ilu n g der Ba ika lb ev ö lk e ru n g ergeben, die, zusammen
m it d e r V e rte ilu n g d e r hydrologischen Erscheinungen, eine d e r Grundlagen fü r die zu k ü n ftig
e v e rtie fte Ken n tn is, C h a rak te ristik und Klassifikation dieses Sees lie fe rn wird.
W ir b e tra ch ten also diese G ru p p ie ru n g der In fu so rien von zwei Gesichtspunkten aus:
d ire k t vom S ta n d p u n k t d e r Protisten-Ökologie als Selbstzweck, u n d in d ire k t als eines der
vielen Momente fü r die zukün ftig e allgemeine C h a rak te ristik des Sees, die sich aus dem
allse itig en Stu d ium desselben ergeben wird.
U n te r den von uns im B a ika lsee Vorgefundenen In fu so rien u n terscheiden w ir folgende
ökologische Hauptgemeinschaften:
I. In fu so rien des pelagischen1) P lan k to n s u n d P lanktonepibionten.
I I . In fu so rien des U fe rp la n k to n s1) und die U ferepibionten2).
E s u n te rlie g t keinem Zweifel, daß im Ba ika lsee noch eine g roße In fu so rien g ru p p e v o rkommt,
u n d zwar die In fu so rien , die den G rund besiedeln, die Bodeninfusorien; d a uns
die entsprechenden Geräte fehlten, k onnte diese Gruppe von uns n ich t u n te rsu c h t werden.
U n te r den In fu so rien des pelagischen P lan k to n s u n d den Plan k to n ep ib io n ten u n te r scheiden
w ir folgende Gruppen:
1. Gemeinschaft d e r In fu so rien , die im P e la g ia l des Hauptbaikalsees, des Pelagial-
gebietes d e r offenen B uchten u n d um fan g re ich e r tie fe r Ba ien leben
a) bei nied rig en W a s se rtem p e ra tu ren ,
b) hei hohen W a s se rtem p e ra tu ren .
2. Gemeinschaft d e r In fu so rien des P elagialgebietes d e r kleinen Buchten, d e r tie f e in drin
g en d en seichten Ba ien, d e r Vormündungsgebiete u n d d e r Regionen um fan g re ich e r
Seichtwasser.
U n te r den In fu so rien des U fe rp lan k to n s u n d d e r U ferepibionten u n terscheiden w ir
1. In fu soriengeme inschaft, die an den m it Algen bewachsenen U fe rn vorkommt:
a) u n te r lebenden Algen,
b) u n te r verwesenden Algen.
2. In fu so rien v e ru n re in ig te r Ufer.
Wenden w ir u n s n u n jed e r dieser Gruppen im einzeln zu:
I. Infusorien des pelagischen Planktons und Planktonepibionten.
1. Gemeinschaft der Infusorien, die im Pelagial des Hauptbaikalsees, im Pelagial offener
tiefer Buchten und umfangreicher tiefer Baien leben.
a) B e i n i e d r i g e r T e m p e r a t u r d e s Wa s s e r s .
U n te r dem „H a u p tb a ik a l“ v e rsteh en w ir das umfangreiche , große Tiefe a u f weisende
Gebietes des Sees, das räum lic h ü b e r alle seine an d e ren Teile d ominiert, u n d in dem die h y d ro logischen
Bedingungen weder durch den E influß d e r Flüsse noch d u rch den d e r Seichtwasser
v e rä n d e rt sind. Als offene Buchten sin d von denen, die w ir e rfo rsc h t haben, zu n en nen:
die M a ritu j-B u ch t, B u ch t Koty, Bolschaja Kossa, M a la ja Kossa, Mushinaj, Sosnowka,
Dawscha, I rin d a u. a.; b e trä ch tlich e Tiefen beginnen bei ihn en in d e r Nähe der Ufe r; sie
sind gegen den H a u p tb a ik a l weit geöffnet u n d kommunizieren m it ihm u n b eh in d e rt; ih r
P e lag ia l ste llt eine u nm itte lb a re F o rtse tzu n g des P e lag ia ls des Sees d a r. Zu den großen,
tie fen Ba ien, deren umfangreiche s P e la g ia l u nm itte lb a r m it dem „H auptbecken“ kommun
iz ie rt, gehören die Ba rg u sin -B a i (vor allem ih r z e n tra le r Teil u n d die d e r B a rg u s in -S traß e
anliegenden Teile), das Maloje More (kleine Meer) (vor allem d e r nördliche u n d m ittle re
Teil) u n d die B u ch t K u ltu k , haup tsä ch lich im n ördlichen Teil.
*) In diesem Abschnitt, wie ü b e rh a u p t in d e r ganz en vorliegenden Arb eit, h a lten w ir uns an d ie Deutung d e s Ausd
rucks „planktisch“, „P lan k to n “, d ie von W. M. R y l o w (1922 u nd 1923) in folgenden W orten fo rmu lie rt w u rd e : „die
m e isten V e rfa sse r zäh len zum „P lan k to n “ n u r d ie pelagischen Formen, we shalb auch d ie Ausdrücke „planktisch“
und „pelagisch“ zu Synonymen gew o rd en sind. Meiner Ansicht nach muß u n te r P lanktonorganismen d ie gesamte
Gemeinschaft d e r T ie r- u n d P flanzenformen v e rsta n d en we rd en , d ie d e r F o rm u lie ru n g w a h re r ec h te r Planktonorganismen
entspre chen, ab g e seh en davon, ob s ie n u r im pelagischen, n u r im lito ra len Gebiet Vorkommen, o d e r ganz gleich in diesen
b eid e n Gebieten. Deswegen können w ir von einem lito ra len u nd einem pelagischen Pla n k to n sp re ch en “ (R y low , „Das
Zooplankton d e r Newabucht“, 1923, u nd „Was is t u n te r einem Planktonorganismus zu v e rs te h e n ? “, 1922).
2) Diese r A usdruck w ird von uns en tsp re ch e n d d em Ausdruck „P lanktonepibiont“ gebraucht, d e r in d ie Hydrobiologie
von S c h r ö d e r (1914) ein g e fü h rt wurde.