Man k a n n ganz generell sagen: eine K r ie c h tie ra rt is t d o rt am häufigsten u n d zugleich
durch g rö ß te und k rä ftig s te In d iv id u e n v e rtre ten , wo die Lebensbedingungen fü r sie am
g ü n stig sten sind (vgl. auch Me l l , 1929b, S. 160). F ü r das Existenz-Optimum sind n u n
p h ysika lische F ak to ren u n d ausreichende Nahrungsquellen a u f d e r einen Seite, a u f der
an d e ren a b e r die A u s ro ttu n g sm itte l bestimmend. E in e besonders hohe Rolle spielen bei
R e p tilien n a tu rg em äß die T em p e ra tu rv e rh ä ltn iss e : als wechselwarme Geschöpfe müssen
sie in ih rem Vorkommen eine weit stä rk e re Abhän g ig k e it vom warmen K lim a zeigen als
die höheren V e rteb ra ten . Das kommt au ch in ih re r Größe zum A usdruck: im Gegensatz zu
den Vögeln und S äugetieren, fü r die die B e r g m a n n sehe Regel g ilt, h aben die K rie c h tie
re g erade in den heißesten Gebieten ih re g rö ß ten Fo rm en ausgehildet. Auch in n e rh a lb
der Species wiederholt sich dieses Bild: wenn eine A r t ein weites, auch in klim a tisch e r
Beziehung v e rschiedenartiges A re a l bewohnt, so zeichnen sich die P o p u la tio n en der
wärme ren Gegenden seh r o ft d u rch eine bedeutendere Größe v o r den Bewohnern der
k ä lte ren aus. So w ird beispielsweise Lacerta sicula, die namen tlich a u f d e r Apenninischen
Ha lbinsel w e itv e rb re ite te Verwan d te d e r Mauereidechse, offenbar u n te r dem E influß des
wä rme ren Klimas, das eine ganz an dere A k tiv itä t dieser sonneliebenden T ie re g e s ta tte t,
in S ü d ita lien u n d Sizilien um etwa 25% g rö ß e r als in Norditalien. Auch die Zauneidechse
(Lacerta agilis) e rre ic h t in den südrussischen Steppen wesentlich bedeutendere Dimensionen
als bei uns in Mitteleuropa. Nach D i t m a r s (1922, S. 197) w ird Eumeces fasciatus in den
südlichen Ve re in ig ten S ta a ten 9,5 Zoll lan g , wäh ren d die durchsch n ittlich e L änge der
gleichen Eidechse im Norden (Pennsylvanien, New York, New Je rs ey ) n u r 6 Zoll b e träg t.
Die g rö ß ten E x em p la re d e r beiden im Westen N o rd am e rik a s vorkommenden Ra ssen der
N a tte r Thamnophis sirtalis zeigen folgende Maße: concinnus (B ritish Columbien bis Oregon)
905 mm, infernalis (Süd-Oregon u n d K alifornien) 1080 mm. W äh ren d die Maxima lmaße
d e r nördlichen Ra ssen ein e r v erwandten, ebenfalls nordwest-amerikanischen N a tte r
Thamnophis ordinoides etwa zwischen 720—790 mm schwanken, e rre ichen sie hei den südlichen
(couchii u n d hammondii) n ich t weniger als 1100—1400 mm.
F ü r das Lebensoptimum d e r K rie c h tie re müssen ab e r au ß e r der T em p e ra tu r noch
an d e re Bedingungen e rfü llt sein, die m it dem F eu ch tig k e itsg eh a lt des U n te rg ru n d e s u n d
der L uft, m it geeigneten Versteckplä tz en u n d insbesondere m it ih re r E rn ä h ru n g Zusammenhängen.
In den meisten F ä llen wird die Gesamtheit der Lebenshedingungen a n den A re a lgrenzen
ein e r T ie ra r t weniger g ü n stig sein als im Are a lz en trum; u n d viele poikilotherme
W irb e ltie re re ag ie ren d a ra u f, indem sie in den Randgebieten ih re r V e rb re itu n g sa re a le
eine g e rin g e re Größe erre ichen. Diese re c h t bemerkenswerte T a tsache w ird z. T. belegt
d urch die v o rh in mitg e te ilten Beispiele; ganz äh n lich v e rh a lte n sich übrigens auch manche
Amphibien: daß a n den Arealgrenzen die w e stp a lä a rk tisch en Molche sich z. B. o ft d urch
eine g e rin g e re Größe auszeichnen, h a t v o r lä n g e re r Zeit W o l t e r s t o r f f (1905) gezeigt.
E s lieg t n u n a u f der Hand, d aß in vielen F ä lle n das Gebiet m it o p timalen E x isten z bedingungen
ein e r Species auch m it ihrem E ntstehungs- bzw. A u s b r e i t u n g s z e n t r u m
zusammenfallen wird. Be reits A l l e n (1876, S. 310) u n d A d a m s (1904, S. 210) haben
e rk an n t, d aß im A usbreitungszentrum einer T ie rg ru p p e die Lebensbedingungen fü r diese
optimal sein müssen. E s ist wohl sicher, daß diese Beziehungen zwischen dem Ausb re itu n g szentrum
und Lebensoptimum fü r viele F ormenkreise zutreffen werden; ab e r es g ib t auch
Ausnahmen. So e rre ic h t z. B. die südosteuropäische S an d o tte r (Vipera ammodytes) gerade
a n d e r n ördlichsten Grenze ih re s ausgedehnten V e rb re itu n g sa re a ls (Kä rn ten ) fa s t die doppelte
Größe der weiter im Süden (Balkan) lebenden Stücke, wo fü r diese Giftschlange die Lebensbedingungen,
wenigstens soweit sie das K lim a betreffen, doch g ü n stig e r sein müssen und
wo auch allem Anschein nach ih r Ausb re itu n g sz en trum zu suchen ist. — Sin d n u n zwischen
d e r Größe d e r In sel-Reptilien u n d ih ren o p timalen A re a len bzw. ih re n A usbreitungszentren
irgendwelche Beziehungen wahrnehmbar?
Obwohl die R e p tilien g e rad e a u f In se ln besonders häufig eine bedeutende Größe
e rre ichen |j|r man h a t d ah e r den E in d ru ck , daß fü r sie d o rt optimale E xistenzbedingungen
h e r rs c h e n d - , k an n m an in einigen F ä llen , so z. B. hei manchen Inselschlangen, beobachten,
wie m it d e r zunehmenden E n tfe rn u n g von ihrem kontin en ta len Optimum ih re Größe ger
in g e r wird; auch bei e inigen in su la ren Eidechsen lä ß t sich die gleiche E rs ch e in u n g fe ststellen.
Das is t vielleicht am häufigsten d an n der F a ll, wenn die Grenze des V e rb re itu n g sa
re a ls fü r eine oder m eh re re A rten d u rch einen Arch ip e l v e rlä u ft. W ie w ir schon frü h e r
(S. 67) sahen, zeichnen sich z. B. au ffa llen d viele Rep tilien (und Amphibien) d e r Kleinen
Sunda-Inseln d ad u rch aus, daß sie an Größe h in te r den In d iv id u e n d e r gleichen Rassen und
A rten , die die g roßen fe stlan d n ah en In se ln u n d die F e stlä n d e r bewohnen, n ich t unerheblich
Zurückbleiben. Das sehen w ir bei den verschiedensten A rten : z.B. bei Mabuyamultifasciata,
Varanus salvator, Python retieülatus, Ahaetulla prasina, Naja naja, Vipera russelii,
Trimeresurus gramineus (vgl. Me r t e n s , 1930, S. 203). In su la re n Riesenformen dagegen,
wie sie u n te r den K rie ch tie re n n ic h t selten sind, begegnet man a u f den Kleinen Sunda-
In se ln —- vielleicht m it Ausnahme des Varanus komodoensis, d e r ab e r möglicherweise auch
n u r ein in su la re r Zwerg is t (S. 62) -9 n icht. Bei allen v o rh in au fgezählten F o rm en (mit
Ausnahme des Varanus komodoensis), die einen Zwergwuchs aufweisen, h an d e lt es sich um
indo-orientalische A rten , fü r die die Kleinen Sunda-Inseln das südöstliche Grenzgebiet
ih re r ausgedehnten V e rb re itu n g sa re a le d a rstellen. Es scheint nun, daß die allgemeinen
Lebensbedingungen dieser Geschöpfe a u f den trockeneren u n d k ü h le ren sowie n ah ru n g sä
rm e re n Kleinen Sunda-Inseln n ich t meh r dem Optimum entsprechen, sonde rn sich dem
Pessimum n äh e rn ; das h a tte zu r Folge, daß diese K a ltb lü tle r d o rt zwerghafte Populatio-
nen.i^r- v e rm u tlich m it Hilfe wegweisender Genovarianten — ausbildeten.
Ab e r n ich t n u r die Gesamtheit d e r k limatischen u n d e rnährungsbiologischen Umweltsbedingungen
v e rm ag a u f das A rtb ild einen Einfluß auszuühen, sonde rn n a tü rlic h
au ch die ü b r i g e n M i t g l i e d e r i h r e s L e b e n s r a u m e s , namen tlich in so fe rn sie als
K o n k u rren te n oder F einde in B e tra c h t kommen. Gerade die E inw irk u n g von Organismengesellschaf
ten h a t b ek anntlich D a r w i n für die A rtb ild u n g a ls ü b e rau s wesentlich bezeichnet.
J e weniger K o n k u rren te n oder F einde v o rh an d en sind, desto g ü n stig e r werden im
allgemeinen die E xistenzbedingungen fü r eine Species sein. Auch in dieser Beziehung
scheinen n u n die In se ln fü r seh r viele Rep tilien d u rch au s optimale Lebensräume ahzugeben:
denn a u f zahlreichen E ilan d e n fehlen ih re Feinde völlig oder tre te n zum mindesten s ta rk
zurück; das g ilt im allgemeinen au ch fü r ih re K o n k u rren te n au s gleichen oder an d e ren
T ie rg ru p p en . So g ib t es z. B. a u f den Galapagos-Inseln keine Geschöpfe (außer dem Menschen!),
die den d o rt lebenden Landschildkröten, den Meeresechsen (Amblyrhynchus crista-
tus) oder den Drusenköpfen (Conolophus suberistatus) nachstellten; auch die k leinen Tropi-
durus-Echsen werden d o rt in d e r H au p tsa ch e n u r von S pottdrosseln belästigt, die ihnen
die Schwanzspitzen abbeißen. Dieselbe E id e chsengattung h a t auch a u f den p eruanischen
Guano-Inseln, wo sie stellenweise in Massen a u f tr itt, nach M u r p h y s Schilderung (1925,
S. 254), n ich t die gerin g sten Feinde. Das g ilt n u n auch fü r seh r viele an d e re Insel-Eidechsen
u n d -Schlangen, v o r allem do rt, wo S äu g e r fehlen. Wenn T r o s c h e l (1875, S. 116) au s
der Feststellung, daß bei meh re ren Stücken des kapverdischen Macroscincus coctei die