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hiervon machen die Männchen, deren drittes Beinpaar gewöhnlich eine Verkürzung und Umbildung
erfahren hat. Namentlich ist davon das letzte, meistens gebogene G-lied betroffen. Mit
einer eigentümlich modifizierten Kralle ausgerüstet, wird dieses Endglied, wie überhaupt der
ganze Fuss, in der Regel bei dem Begattungsgeschäft als Samenüberträger verwendet. Auch das
letzte Beinpaar ist bei diesem Geschlechte durch eine auffallende Umbildung des vierten Gliedes
ausgezeichnet. An der Streckseite sanft gebogen, besitzt das letztere an seiner Unterseite eine
mehr oder minder tiefe Aushöhlung, deren Vorder- und Hinterrand mit zahlreichen kurzen, aber
breiten, sehr kräftigen, gewöhnlich stumpf endenden Borsten besetzt ist. Dieselben sind so gestellt,
dass sie, s tark nach einwärts gebogen, in die Konkavität hineinragen. Ausserdem ist noch
das äussere Ende des vierten Gliedes auf der Beugseite schief nach vorn in einen flügelartigen,
abgeplatteten Fortsatz ausgezogen, der ausser einer kurzen Borste auch noch eine schwankende
Anzahl langer Schwimmhaare trä g t. Bemerken möchte ich hier noch, dass bei den meisten der
Gattung Gurvipes zugeteilten Spezies sämtliche Beinpaare mit einer vom ersten bis zum letzten
sich steigernden reichen Ausstattung von Schwimrahaaren ausgerüstet sind.
Der Geschlechtshof liegt in geringer Entfernung vom hinteren Rande der vierten Epimere.
Bei den Männchen h a t sogar die Chitindecke, die die Genitalöffnung vollständig umgiebt, wenn
sie vorhanden ist, unmittelbaren Anschluss an das Hüftplattengebiet und lässt nur seitlich einen
schmalen Streifen zwischen beiden frei. Die weibliche Geschlechtsspalte ist auch hier auf beiden
Seiten durch breite gewölbte Schamlippen verschlossen, von deren hinteren Enden nach den Seiten
zwei in Form und Grösse sehr verschiedene Felder ausgehen, die zahlreiche, entweder auf chitinöse
Platten oder auch frei in die Körperhaut gebettete Geschlechtsnäpfe tragen.
Die Geschlechtsöffnung des Männchens beginnt fast unmittelbar hinter den zusammen-
stossenden Innenecken der vierten Epimeren und überrascht das Auge des Beschauers durch seine
auffallende Kleinheit, die wohl zum Teil mit dadurch verursacht wird, dass die Geschlechtsspalte
hinuntersteigt in ein unmittelbar dahinter gelegenes, tie f in die Leibeshöhle hineinragendes, taschen-
förmiges Gebilde, über dessen Verwendung als Samentasche (receptaculum seminis) Koenikes')
vortreffliche Beobachtungen vollen Aufschluss gebracht haben.
Die Vertreter der Gattung Gurvipes kommen sowohl in fliessendem, als auch stehendem
Wasser vor. Manche Arten bevölkern sogar die schmutzigsten Tümpel. In ihren Bewegungen äusserst
schnell und lebhaft, zählen sie zu den raublustigsten Gesellen unter den Wassermilben. Meist
von Crustern und anderen kleinen verwandten Wassertierchen lebend, verschonen sie auch nicht
die schwächeren ihres Geschlechts, sondern fallen über alles her, was sie bewältigen können.
Neben der Gattung Arrenurus gewähren sie am leichtesten einen Einblick in ih r Geschlechtsleben.
Ich kann nur die Beobachtungen bestätigen, die Koenike hierüber bei Gwrvipes
fuscatus Herrn, gemacht hat. Zugleich bin ich aber in der angenehmen Lage, die am Schlüsse
seiner Betrachtung ausgesprochenen Bedenken, ob der Geschlechtsakt allgemein in gleicher Weise
innerhalb der Gattung Gurvipes geübt werde, durch die Thatsache zerstreuen zu können, dass
derselbe genau so auch bei Gurvipes rufus Koch, Gurvipes carneus Koch und Gurvipes conglöbabus
Koch sich vollzieht, wie mich meine vielfachen Beobachtungen belehrt haben. In der Brunstzeit,
die meist in die Zeit fällt, wo das Weibchen verhältnismässig noch nicht viel grösser als das
Männchen ist, (die Weibchen treten gewöhnlich etwas später auf), oder wenigstens noch bedeu-
*) Koenike, Seltsame Begattung nnter den Hydrachniden. Zool. Anzeiger Nr. 369, 1891.
tend hinter seiner definitiven Grösse zurücksteht, fallen die letzteren durch die Gewohnheit auf,
das dritte Fusspaar mit seinen freien Enden und Krallen in der vorerwähnten Samentasche verborgen
zu halten, wie das ja auch von älteren Autoren bildlich dargestellt wird. Zwingt man
das Tier, diese Stellung aufzugeben, so bemerkt man, auch wenn dasselbe noch nicht mit dem
Weibchen in Berührung gekommen ist, an den immer noch krampfhaft zusammengehaltenen, aber
aus der Tasche gezogenen Krallen des dritten Gliedes ein Klümpchen, das zum Teil aus einem
zähen, weisslichen Stoff besteht, in welchem eine grössere Anzahl spitzer Stacheln eingeschlossen
sind. An diesen letzteren sind nun unterhalb der Spitzen mit ihren schwanzartigen, röhrigen
Verlängerungen flaschenförmige Schläuche aufgehängt, deren Inhalt aus zellenartigen Körpern
besteht, die ich in Übereinstimmung mit Koenike für Samentierchen halten möchte. In diesem
Falle repräsentieren die ebengenannten Schläuche nichts anderes als Spermatophoren, deren Vorhandensein
bei einer anderen Wassermilbe (Hyärodroma dispar v. Schaub), wenn auch in kugliger
Form, von dem um die Anatomie der Hydrachniden so hochverdienten Forscher von Schaub
ziemlich sicher nachgewiesen wurde.
Bei der Begattung erfasst das Männchen das sich lange und heftig sträubende Weibchen
dergestalt, dass das erstere sich mit der Brust gegen das Kopfende des letzteren stemmt und
mit dem gekrümmten Gliede des letzten Beines je einen weiblichen Vorderfuss (meist den zweiten)
am Grunde umschliesst. Wie Koenike ganz richtig bemerkt, spielen beim Festhalten die zahlreichen
rigiden Borsten an jenem Gliede eine hervorragende Rolle und verdienen vollständig den
Namen „Greifborsten“. Dass Hallers Angaben über die Funktion des in Rede stehenden Fuss-
gliedes unrichtig sind und wahrscheinlich auf einen Beobachtungsfehler hinauslaufen, ist ebenfalls
schon von Koenike betont worden.
Wenn das Weibchen sich beruhigt hat, zieht das Männchen das dritte Fusspaar mit dem
oben beschriebenen Klümpchen aus der Samentasche heraus und betupft damit die Bauchseite
des weiblichen Abdomens, sichtlich bestrebt, das Geschlechtsfeld zu treffen, ohne dabei immer E rfolg
zu haben. Die Vermutung Koenikes über den Zweck der beigefügten Stacheln, nämlich
das Öffnen der Spermatophoren zu beschleunigen, scheint nach meiner Meinung das Richtige zu
treffen. Die Begattung, deren Situation annähernd von mir in Fig. 77a, Tab. 37 zur Anschauung
gebracht wird, dauert oft eine Stunde lang und noch länger.
Die Gattung Gurvipes (Nesaea) wird in Deutschland durch 15 Arten vertreten, eine Zahl,
die gering erscheint gegenüber den stattlichen Listen) die frühere Antoren aufgestellt haben. So
zählt C. L. Koch 34 Aesoea-Spezies, C. Neuman 21. Der Unterschied wird aber sofort erklärlich,
wenn man daran denkt, dass Koch sich hei Aufstellung der Arten vorwiegend durch die Färbung
und Grösse des Tieres bestimmen liess, währender diejenigen morphologischen nnd anatomischen
Verhältnisse,' die in der neuen Systematik als wertvoll zur Unterscheidung und Charakterisierung
der einzelnen Arten angeführt werden, wohl infolge ungenügender Beobachtungsinstrumente und
Methoden fast gar nicht beachtete. Nichts ist aber bei den Cwrwpes-Arten variabler als die
Färbung. Unter den angeführten Spezies befinden sich ausserdem noch eine stattliche Zahl Larven
im zweiten Stadium. Auch Neumans Sammlung reduziert sich bei genauer Prüfung. Abgesehen
davon, dass Nesaea miraUUs und N. despiciens der G attung Curvipes überhaupt nicht angehören, finden
sich zwischen den Vertretern der einzelnen Arten so geringe Unterschiede neben einer Menge
von Übereinstimmungen, dass man wohl meinen kann, der gen. Forscher habe sich durch die
Färbung und das Grössenverhältnis der Beine und Palpen zum Körper, wie auch durch das Auf