Erfahrungen J) zu Rathe zu ziehen und vor allem auch der geographischen Verbreitung bei diesen
systematischen Fragen die Beachtung zu schenken, die ihr zweifellos gebührt.
Meiner Ansicht von der hohen Bedeutsamkeit geographischer Verhältnisse entspricht es,
wenn ich eine auffallende Beziehung zwischen geographischer Verbreitung und innerer Organisation
zum Ausgangspunkt der weiteren Betrachtungen mache. Gruppiren wir die besonders gut durchforschten
Polyzoiden des südatlantischen Gebietes nach der Gestaltung des Geschlechtsapparates,
jenes Organsystemes, das auch in der Systematik der den Polyzoiden zunächst verwandten Styeliden
eine so bedeutsame Rolle spielt, so ergiebt sich folgende wichtige geographische Beziehung: Sämmt-
liehe Polyzoiden des Kapland-Gebietes besitzen zwittrige Polycarpe, bei denen der männliche Theil
aus einer mehr oder weniger grossen Zahl mit den distalen Enden oder den Sonderausführungsgängen
zusammenfliessender Hodenblasen besieht. Keine der vielen bekannten Polyzoiden des süd-
georgisch-magalhaensischen Gebietes weist derartige Polycarpe auf, sondern stets anders gestaltete,
die sich in zwei Gruppen sondern lassen. Die süd-georgisch-magalhaensischen Polyzoiden der ersten
Gruppe besitzen zwittrige, in zwei regelmässigen Reihen angeordnete Polycarpe, deren männlicher
Theil aus einer einzigen, verhältnissmässig grossen Hodenblase besteht. Die der zweiten Gruppe
besitzen getrennt-geschlechtliche Polycarpe, und zwar sind die männlichen und weiblichen Polycarpe
nicht untereinander vermischt, sondern nach bestimmten Regeln räumlich voneinander getrennt; die
männlichen Polycarpe bestehen aus einer einzigen Hodenblase, die entweder klein und einfach, oder
gross und verzweigt ist. Wie verhalten sich nun die übrigen Organisationsverhältnisse, vor allem
die Gestaltung der Kolonie, zu diesen nach dem Geschlechtsapparat gesonderten Gruppen? Bei den
südgeorgisch-magalhaensischen Gruppen trifft die Gestaltung des Geschlechtsapparates genau mit einer
besonderen Gestaltung der Kolonie zusammen. Die mit getrennt-geschlechtlichen Polycarpen aus1)
D ie se Erfahrungen lassen sieh der Hauptsache nach in folgen d en Sätzen zusammenfassen: Es
führt leicht zur Au fste llu n g ein es künstlichen, den Ve rwandtschaftsverhältnissen nicht entsprechenden
Systems, wenn man e in ze ln e scheinbar bed eu ten d e und innerhalb g ew isse r en ger er Ve rwandtschaftskreise
(etwa Gattungen) v ielleich t auch wirklich konstante, also systematisch bedeutsame Charaktere von vo rn herein
für die höhere systematische Kategor ie (e twa Familie) als durchgehendes Sonderungsprinzip fe stleg t.
Häufig ist ein Charakter-Gegensatz für die S ond erun g zweier en ger er Verwandtschaftskreise bedeutsam,
während ein dritter, g le ichw e r tig ' n eben jen en stehender Verwandtschaftskreis ein bedeutendes Schwanken
in B ezu g a u f je n e Charaktergruppe z e ig t. Der Verzicht a u f schroff durchzuführende Eintheilungs-
prinzipien ist für die Bestimmung der Gattung'en und anderer systematischer Kategor ien etwas unbequemein
e nur die verwandtschaftlichen Beziehu ngen berücksichtigende, also dem natürlichen System an gep asste
Bestimmungstabelle hat in Fo lg e der vielen nothwendigen Verklauselirungen häufig* etwas schwerfälliges. An drerseits
haftet einer glatten, je g lich e r Ausnahme-Bestimmungen baaren Gattungs-Bestimmungstabelle der
Verdacht des Gekünstelten an. Es b ed a rf zur Feststellung der W er thigkeit e in e s Charakters der P rü fu n g
von Fall zu Fall. J e grösse r die Zahl der k onstant zusammentreffenden nicht dir ekt von einander abhäng
ig en Charaktere innerhalb ein es Formenkreises ist, um so grö sse r ist die Wahrscheinlichkeit, dass man es
hier mit einem Verwaudtschaftskreise zu thun habe. E ine g u te G attu n gsdiagn ose repräsentirt die Summe
der gemeinschaftlichen Charaktere einer grösse ren Anzahl von Arten, die man als näher verwan dt miteinander
erkannt hat. D ie Erweiterung unserer Kenntniss v on den Arten wird häufig zu einer Aendernng,
Verbesserung, der G attu n gsdiagn ose führen. Nicht immer lässt sich e in e G a ttu n gsdiagn ose als eine
solche Au slese der für v erwandte Arten gemeinschaftlichen Charaktere bilden. B e i isolirt stehenden Arten,
den e in zig en ihrer Gattung, kann d ie Gattu n gsdiagn ose nur e in e willkürliche Au slese aus den Charakteren
der ein zigen Art sein. Bei derartigen Gattungen darf n icht ausser Acht g e la ssen werden, dass ihre Diagnose
nur problematisch und nur das Sur rogat einer regelre ch t g eb ilde ten G attungsdiagnose ist. D en besten P rüfstein
für verwandtschaftliche B eziehu ngen und somit auch für d ie systematische Werthigkeit g ew isse r Charak
te re bilden e tw a ig e g eo g r aph isch e Verhältnisse.
gestatteten Polyzoiden dieses Gebietes weisen durchweg krustenförmige Kolonien auf. Die süd-
georgisch-magalhaensischen Polyzoiden mit zwittrigen, in zwei Reihen angeordneten und mit einer
einzigen Hodenblase ausgestatteten Polycarpen bilden durchweg freiwachsende Stöcke, die durch
Stolonen mit einander verbunden sind, oder aus einer Stolonen-haltigen Basalmasse hervorsprossen.
Das stetige Zusammentreffen je zweier derartiger Charaktere bei den zahlreichen Arten des süd-
georgisch-magalhaensischen Gebietes ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass wir es hier mit natürlichen
Gruppen zu thun haben, denen Gattungsrang zuerkannt werden muss. Der Gruppe mit freistöckigen,
stoloniferen Kolonien und zwittrigen, einmännigen Polycarpen gebührt nach der ihr angehörenden
ältesten Polyzoiden-Art, Polyzoa opuntia Lesson, der Gattungsname Polyzoa Lesson.
Die Gruppe mit krustenförmigen Kolonien und getrennt-geschlechtlichen Polycarpen mag den Namen
Alloeocarpa führen. Dieser neue Name kann nur als provisorisch angesehen werden. Da die Geschlechtsverhältnisse
der typischen Arten der Krustenform-Gattungen Thylacium J. V. Carus, Po-
lystyela G ia rd und Synstyela G ia rd nicht bekannt sind, so würde es nur Verwirrung anrichten,
wollte ich einen dieser älteren Namen an die soeben charakterisirte Gattung knüpfen. Sollte sich
später durch Nachuntersuchung der typischen Arten dieser alten Gattungen herausstellen, dass die
eine oder die andere derselben dieser neugebildeten Gattung zugehöre, so mag das Prioritätsgesetz
in Kraft treten und die Gattungsbezeiehnung Alloeocarpa in die Reihe der Synonyme verweisen.
Als Typus der Gattung Alloeocarpa Mchlsn. mag A. incrustans (Herdman) ( = Synstyela incrustans
Herdman) gelten.
Bei der Gruppe der kapländischen Polyzoiden mit zwittrigen, vielmännigen Polycarpen
findet sich nicht eine derartig einheitliche Gestaltung der Kolonie. Neben krustenförmigen Formen,
wie Synstyela monocarpa Sluiter, finden sich Formen mit freiwachsenden, gestielten, basal in Sto-
lonenmassen endigenden Stöcken, wie Goodsiria placenta Herdman. Soll deshalb eine weitere
Spaltung dieser Gruppe in zwei Gattungen vorgenommen werden? Das ist meiner Ansicht nach
nicht nothwendig. Die Gestaltung der Kolonie mag sehr wohl bei gewissen Gattungen (den süd-
georgisch-magalhaensischen) einheitlich sein und einen wesentlichen Theil der Diagnose bilden, während
sie bei einer anderen (der kapländischen) Gattung nur eine Bedeutung als Art-Charakter besitzt.
Ich fasse diese kapländischen Formen mit zwittrigen, vielmännigen Polycarpen und verschiedenartiger
Kolonie-Gestaltung zu einer Gattung zusammen, der ich, unbeschadet etwaiger später festzustellender
Rechte älterer Gattungsbezeichnungen, den Namen Gynandrocarpa gebe. Als Typus dieser Gattung
ist G. placenta (Herdman) (— Goodsiria placenta Herdman) anzusehen. Den Ausschlag bei der
Formulirung dieser Gattungsdiagnose gab ein eigenthümliches Gestaltungsverhältniss, das zwar nicht
bei allen Formen der Gattung, wohl aber zugleich bei einer krustenförmigen und einer stoloniferen
Form auftritt. Es betrifft die Zahl der Geschlechtsorgane. Im Allgemeinen besitzen die geschlechts-
reifen Polyzoiden-Personen zahlreiche Polycarpe. Nur ein einzige]' Fall ist bisher sicher bekannt,
bei dem diese Zahl bis auf zwei (ein einziges Geschlechtsorgan jederseits) reducirt ist, nämlich
die krustenförmige Gynandrocarpa (Synstyela Sluiter) monocarpa (Sluiter) vom Kapland.
In der Sammlung des Naturhistorischen Museums zu Hamburg findet sich nun eine auf der
Kap-Agulhas-Bank gedredgete stolonifere Polyzoide, die in ihren wesentlichen Charakteren mit
Gynandrocarpa placenta (Herdman) ttbereiustimmt, bei der sich jedoch nur ein einziges Geschlechtsorgan
fand, und zwar an der rechten Körperseite. Ich bezeichne diese Form als G. placenta var.
unilateralis (siehe unten, p. 29). Bei dieser Form ist also die Zahl der Geschlechtsorgane in ähnlicher
Weise reducirt, wie bei G. monocarpa. Wenn auch dieses seltene Vorkommen einer Re