Fam. Ascidiidae.
Diese in den gemässigten und wärmeren Gebieten der Erde zu so reicher Entfaltung
kommende Familie ist den mir vorliegenden umfangreichen Ausbeuten vom Magalhaensischen Gebiet
und von Süd-Georgien nur in 3 Arten vorhanden. Da es sich um ansehnliche Formen handelt, die
dem Sammler nicht leicht entgehen können, so darf angenommen werden, dass sie in diesem sub-
antarktischen Gebiet thatsächlich nur spärlich vertreten ist. In einér vorläufigen Mittheilung (Tunic.
Magalh. Süd-Georg., p. 370) stellte ich für die eine dieser Arten, die sieh als neu erwies, die neue
Gattung Agnesia auf. Der Charakter jener Mittheilung, die knappe Form, in der sie gehalten
werden musste, verbot eine eingehendere Erörterung und besondere Kennzeichnung dieser Gattung.
Ich füge deshalb hier die genaue Diagnose der Gattung Agnesia ein.
Agnesia Michaelsen.
D iag n o s e : „Kör p e r s i t z e nd; Kö r p e r Öffnun gen e i n a n d e r g e n ä h e r t , und
e u t l i c h ge l a pp t . Ce l l u l o s ema n t e l k n o r p e l i g , d u r c h s c h e in e n d . T e n t a k e l n
e i n f a c h . Ki eme n s a c k g l a t t , f a l t e n l o s ; r i p p e n a r t i g v o r t r e t e n d e L. ängsge-
f ä s s e f ehl en . Qu e r g e f ä s s e d e u t l i c h v o r t r e t e n d , mi t z u n g e n f ö rmi g e n P a pi
l l en be s e t z t . Ki eme n s p a l t e n e i n f a c h e S p i r a l e n b i l d e n d . Ge s c h lo s s e n e
Do r s a l f a l t e fehlend, du r c h v o l l s t ä n d i g g e t r e n n t e , g rö s s e r e , d o r s a lme d i a n
a u f d e n Q u e r g e f ä s s e n s t e h e n d e Z ü n g e l c h e n e r s e t z t . Darm an d e r Hin t e r -
s e i t e des Ki eme n s a c k e s , e i n e Sch l e i f e n a c h d e r l i n k e n Se i t e e n t s e nden d.
Ein e zwi t t r i g e Gona de an d e r l i n k en S e ite .“ —Einzige Art: A. glaciata Mic h a e l s e n .
H e r dm a n stellt in dem Bericht über die Tunicaten-Litteratur des Jahres 1898 (Zool. Rec.,
35, Tunic., p. 6) die Berechtigung der Gattung Agnesia in Abrede. Der betreffende Satz lautet :
„M ic h a e l s e n does not define his new genera Polyzoa and Agnesia, and they appear to the Recorder
to be indistinguishable from previously known forrns, and therefore unnecessary.“ Ich muss
gegen diese Berichterstattung und Kritik Eiuspruch erheben. Was Polyzoa anbetrifft, so handelt
es sich überhaupt nicht um eine neue Gattung, sondern um die älteste (schon im Jahre 1830 von
L e s so n aufgestellte) Gattung ihrer Familie *).
Was die Gattung Agnesia anbetrifft, so hätten wir bei ihrer Annullirnng wohl eine Angabe
darüber erwarten dürfen, welcher anderen Gattung der Referent die typische Art, A. glaciata, zuzuordnen
gedächte. Die Diagnose der A. glaciata ist, wenngleich kurz gefasst, doch so ausführlich,
dass sie genaue Auskunft über das Verhältniss der Art zu den bisher aufgestellten Gattungen ihrer
1) Siehe unten p. 13.
Familie ergiebt. Ich meinerseits kenne und finde unter diesen (H e r dm a n ’s eigene Tabellen in: „Rev.
Class. Tunic., p. 587, u. f.“ der Beurtheilung zu Grunde gelegt) keine, bei der die Dorsalfalte durch
getrennte Züngelchen repräsentirt ist und bei der zugleich dem Kiemensack rippenförmige Längsgeiasse
fehlen. Aus der unten zusammengestellten Tabelle ergiebt sich klar, dass die Gattung Agnesia von
allen in Frage kommenden Gattungen durch wesentliche Charaktere unterschieden ist. Sie nimmt
nicht nur eine Zwischenstellung zwischen den verschiedenen Gattungen, sondern sogar zwischen gewissen
Unterfamilien der Fam. Ascidiidae ein. Ich halte demnach die Gattung Agnesia aufrecht.
Die Gattung Agnesia muss wohl der deutlich spiraligen Kiemenspalten wegen zu der Unterfamilie
Corellinae gerechnet werden. Hierfür spricht auch der Charakter der Dorsalfalte, die durch
eine Reihe schlanker Züngelchen repräsentirt wird. Ein anderer sehr wesentlicher Charakter entfernt sie
von den Corellinen, um sie der Unterfamilie Hypobythiinae zu nähern; es fehlen bei Agnesia dem
Kiemensack jegliche rippenartigen Längsgefässe, eine Eigenheit, die sich innerhalb der Familie
Ascidiidae sonst nur noch bei der Tiefseegattung Hypobythius, der einzigen Gattung der Unterfamilie
Hypobythiinae, findet. Da Hypobythius jedoch eine vollständige, häutige, glattrandige Dorsalfalte
und unregelmässig lochförmige Kiemenspalten besitzt, so ist eine Vereinigung mit dieser Gattung
und ihrer Unterfamilie ausgeschlossen. Agnesia hat mit dieser Hypobythiinen-Tiefseegattung und
zugleich auch mit der Corellinen-Tiefseegattung Corynascidia auch das Fehlen deutlicher Lappen
an den Körperöffnungen gemein. An die Gattung Chelyosoma der Unterfamilie Corellinae erinnert
Agnesia durch den Besitz von Papillen an der Innenseite des Kiemensackes. Nun stehen diese
Papillen bei Chelyosoma in bestimmter Beziehung zu den rippenartigen Längsgefässen, und zwar
finden sie sich an den Kreuzungspunkten derselben mit den Quergefassen, während bei Agnesia
rippenartige Längsgefässe überhaupt nicht Vorkommen. Es ist hierin vielleicht ein Anzeichen zu
erblicken, dass diese rippenartigen Längsgefässe bei Agnesia zurückgebildet sind, und zwar wohl
in Parallelismus mit der Zurückbildung einer geschlossenen Dorsalfalte. Wie von dieser letzteren
nur einzelne, weit voneinander getrennte Züngelchen auf den Kreuzungspunkten der Quergefässe mit
der dorsalen Medianlinie zurückgeblieben sind, so sind von den ursprünglichen papillentragenden
Längsgefässen nur die Papillen auf den ursprünglichen Kreuzungspunkten mit den Quergefässen
übrig geblieben. Aus diesem Vergleich mit den hier in Frage kommenden verwandten Gattungen
bezw. Unterfamilien der Ascidiiden geht deutlich hervor, dass sich die betreffende Art, Agnesia
glaciata, nicht nur in keine der früher aufgestellten Gattungen einreihen lässt, sondern dass, nach
Maassgabe der HERDMAN’schen Charakteristik der Ascidiiden-Unterfamilien sogar eine besondere Unterfamilie
für dieselbe geschaffen werden müsste. Ich sehe jedoch von der Aufstellung einer neuen
Unterfamilie ab und erweitere lieber die Diagnose der Unterfamilie Corellinae so weit, dass sie sowohl
die Gattung Agnesia wie auch die Gattung Hypobythius mit umfasst. Agnesia repräsentirt
eine Zwischenform, die wesentliche Charaktere der sämmtlichen Corellinen- und Hypobythiinen-
Gattungen in sich vereinigt, so dass eine Trennung der beiden HERDMAN’schen Unterfamilien Corellinae
und Hypobythiinae fernerhin nicht gerechtfertigt erscheint.
Die folgende Tabelle mag die verwandtschaftlichen Beziehungen der Gattung Agnesia zur
deutlicheren Anschauung bringen. Die verschiedenen Charaktere sind nach ihrer grösseren oder
geringeren Bedeutung für die Verwandtschaft von oben nach unten aneinander gereiht. Die Charaktere
der Gattung Agnesia, sowie die mit diesen übereinstimmenden der anderen Gattungen sind
durch Fettschrift hervorgehoben.