
 
        
         
		Soviel  über  den  gegenwärtigen  Zustand  der  liberianischen  
 Republik.  Ich  kann  jedoch  meine Mittheilungen  nicht  schliessen,  
 ohne  noch  kurz  der  Schilderungen  der  liberianischen  Zustände  
 zu  erwähnen,  die  R ichabd  Obebländeb  in  seinem .hochinteressanten  
 Buche  über  Westafrika  giebt1).  Derselbe  schöpfte  seine  
 Angaben  theilweise  aus  der  African  Times,  einer  in  London  
 erscheinenden  Zeitung,  die  meiner  Ansicht  nach  in  Fragen  über  
 Liberia  allzusehr  den  englischen Standpunkt vertritt und die besonders  
 während  der  langjährigen  Grenzstreitigkeiten  zwischen  
 England  und  Liberia  der Art  der  Sache  nach Manches  bereitwillig  
 aufhahm,  was  man  ihr  von  Sierra  Leone  her Nachtheiliges  über  
 Liberia  mitzutheilen  beliebte2).  Dabei  lässt  sich  leider  auch  nicht  
 leugnen,  dass  es  von  jeher  in  Liberia  selbst  unzufriedene  und  
 unpatriotische Leute  gab, welche sich nicht schämten, die Zustände  
 im  eigenen  Lande  von  ihrer  traurigsten  Seite  darzustellen  und  
 sogar  lächerlich  zu  machen. 
 Unser  Urtheil  über  die  Liberianer  dürfte  jedoch  etwas  milder  
 ausfallen,  wenn  wir  uns  nicht  verhehlen  wollten,  dass  selbst  in  
 unsern  hochcivilisirten  Staaten  Yerstösse  gegen  die  Sittlichkeit  
 und  Corruption  in  der  Beamtenwelt  häufig  genug  Vorkommen,  
 und  wenn  wir  bedenken,  dass  die  liberianischen  Colonisten  bei  
 den  Amerikanern  in  die  Schule  gegangen  sind.  Um  aber  Ausnahmen  
 als  Regel  hinzustellen,  wie  es  in  den  hier  genannten  
 Nummern  der  African  Times  zu  thun  beliebt  wird,  ist  eine  
 Ungerechtigkeit  gegenüber  der  liberianischen  Bevölkerung,  gegen  
 welche  ich  im Namen  der Letztem  entschieden  protestiren muss. 
 Ueberhaupt  will  es  mir  scheinen,  als  ob  man  von  diesem  
 Staate  und  seinen  Angehörigen  grössere  kulturfortschrittliche  
 Leistungen  erwarte,  als  die  vorhandenen Umstände  sie gestatten,  
 und  dass  man  Liberia  viel  zu  sehr  als  einen  Modellstaat  zu  betrachten  
 geneigt  sei,  an  welchem  jede  Unvollkommenheit  rücksichtslos  
 kritisirt  werden  dürfe,  ohne  zugleich  das  Gute  hervorzuheben, 
   das  unstreitig  auch  in  diesem Haushalt  gefunden  wird. 
 ’)  Richabd Obebländeb, Westafrika vom Senegal Ms Benguela, p. 179—192.  
 Siehe  namentlich die Citate Obebländeb’s  (pp.  186 u.  ff.) aus der African  
 'Times  vom  23.  August  und  23.  October  1871. 
 Es  ist  nun  durchaus  nicht meine Absicht,  die  socialen Zustände  
 in  Liberia  a ls . mustergültig  hinzustellen,  im  Gegentheil  glaube  
 ich,  dass  dieselben  in  mancher  Hinsicht  besser  werden  sollten. 
 Die  aus  Amerika  herübergekommenen  Ansiedler  waren  im  
 Allgemeinen  besser  geschult,  zudem  auch  viel  unternehmender  
 und  energischer  als  die  gegenwärtig  in  Liberia  gross  gewordene  
 Generation,  und  man  kann  im  Interesse  des  Staates  nur  wünschen  
 ,  dass  die während  einiger  Zeit  etwas  ins Stocken gerathene  
 Immigration  sich  wieder  beleben  und  dem  Lande  recht  viel  
 frisches Blut  Zufuhren  mögeJ).  Freilich sind nicht alle Einwanderer  
 geeignet,  den  Liberianern  mit  gutem  Beispiel  voranzugehen,  
 denn  auch  unter  ihnen  giebt  es  arbeitsscheue  Elemente  genug,  
 die  Amerika  darum  den  Rücken  kehrten,  weil  sie  glaubten,  dass  
 ihnen  in  Liberia  die  gebratenen  Tauben  in  den  Mund  fliegen  
 würden,  und  die  nun  dem  Lande  und  seinen  Institutionen  die  
 Schuld  geben,  wenn  sie  nicht  vorwärts  kommen  oder  gar  Mangel  
 leiden.  Es  giebt  aber  kaum  ein  Land,  dem  Zufuhr  von  fleissigen  
 Arbeitern  so  Noth  th u t,  und  wo  Unternehmungslust  und  angestrengter  
 Fleiss,  gepaart  mit  anspruchsloser  Lebensweise,  so  
 reiche  Früchte  tragen,  wie  gerade  Liberia. 
 Die  liberianischen  Gesetze  sind  gut  genug  und  werden,  wie  
 an  zahlreichen Beispielen nachgewiesen werden könnte, Niemanden  
 verhindern,  sein  bescheidenes  Auskommen  zu  finden  und  sogar  
 zu  bedeutendem  Wohlstand  zu  gelangen. 
 Die  Liberianer  haben  sich  unstreitig  zu  früh  emancipirt,  was  
 jedoch  dadurch  entschuldigt  werden  kann,  dass  sie  durch  die  
 damals  obwaltenden  Umstände,  die  hier  zum  Theil  schon  früher  
 erörtert  wurden,  zu  diesem  Schritte  gedrängt  worden  sind. 
 ')  Gerade  jetzt, während  der  inhumanen  Bestrebungen  der  Yankees,  die  
 Neger  und  Mulatten  aus  allen  gesellschaftlichen  Stellungen  zu  verdrängen  
 und  ihnen  das  Leben  in  Amerika  unmöglich  zu  machen,  dürfte  für  die  
 noch  dort  weilenden  Farbigen  der  Zeitpunkt  einer  Massenauswanderung  
 nach  Liberia  gekommen  sein.  Den  Liberianern  könnte man dazu nur gratu-  
 liren,  besonders  wenn  es  dann möglich wäre,  die  südöstlichen Grenzgebiete  
 am  San  Pedro-Flusse  mit  einer  Niederlassung  von  neuen  Einwanderern  zu  
 besetzen  und  auf  diese  Weise  etwaigen  Besetzungsgelüsten  irgend  einer  
 ändern Macht  entgegenzutreten.