Seinen Gipfelpunkt erreicht jedoch dieser religiöse Paroxismus
in den sogenannten camp-meetings oder Feldgottesdiensten. Diese
sind festliche Gottesdienste auf freiem Felde oder, wo dies thun-
lich ist, auf einer lichten Waldstelle, an der einige stehen gelassene
Bäume willkommenen Schatten spenden. Wie die revivals
und andere Auswüchse des Sektenkultus, sind auch die camp-
meetings aus Amerika herübergebracht. Obwohl von der Sekte
der Methodisten ausgehend , wird den camp-meetings auch von
Anhängern anderer Sekten beigewohnt. Sie finden nicht alljährlich
s ta tt, dauern gewöhnlich 8—14 Tage und werden nicht nur
von den Bewohnern des betreffenden Ortes, sondern, wie eine
europäische Kirchmesse, auch von Leuten von Nah und Fern
besuchtJ).
Es werden dann auf dem Yersammlungsplatze Schutzdächer
und Laubhütten aufgeschlagen und eine besondere Hütte mit einer
etwas erhabenen Rednerbühne wird für die Prediger erbaut. Vor
dieser Bühne werden auf einem freien Platze alle transportäbeln
Sitzbänke aus Kirchen, Versammlungslokalen . u. s. w. für das
Auditorium aufgestellt. Die Leute ziehen dann aus, ausgestattet
mit Betten, Tischen, Stühlen, Kochgeräthen und Lebensmitteln,
überhaupt mit Allem was ihnen je nach ihren Bedürfnissen
zu einer mehrtägigen camping nöthig erscheint. Besonders zur
Nachtzeit erhält das Feldlager mit all seinen verschiedenartigen
Hütten und den vor ihnen versammelten Menschengruppen,
durch den rothen Feuerschein phantastisch beleuchtet , ein abenteuerliches
Aussehen und erinnert unwillkürlich an ein riesiges
Zigeunerlager. Es ist für einen Fremden ausserordentlich interessant,
einmal das Treiben in einem solchen Feldlager, das viel
Aehnlichkeit mit einem altjüdischen Laubhüttenfeste haben mag,
zu beobachten.
länger, denn die meisten Schulen werden in Kirchen gehalten, und während
der revivals ist es bei den Büssenden gebräuchlich, den ganzen Tag betend,
schlafend und träumend in der Kirche zuzubringen, so dass während
dieser ganzen Zeit der Unterricht eingestellt werden muss.”
■) Im Februar 1882 bot sich mir die Gelegenheit, einem derartigen religiösen
Feste, das wie immer in die Zeit der revivals fiel, in der Nähe von
Monrovia beizuwohnen.
Schaarenweise ziehen die Leute am ersten Morgen, einem
Sonntag, aus: ernst und würdig aussehende Männer in schwärzer
Kleidung und hohem Cylinder, junge Stutzer in ihrem besten
Anzug, Krüppel und Arme, ältere Damen in dunkeln Kleidern,
ein weisses Taschentuch und das hymn-book (Gesangbuch) in der
Hand, in Gruppen oder am Arm ihrer Ehemänner, und dazwischen
junge ladies mit schlanker, in enge Corsets geschnürter
Taille, vom Scheitel bis zur Sohle nach Pariser Mode gekleidet.
Nebenher hinkt ein altes, krummes Mütterchen, auf ihren
Krückstock gelehnt, und eine Schaar von Dienern, theils halbnackte,
eingeborne boys, mit Töpfen, Schüsseln, Stühlen und
ändern Utensilien äuf dem Kopf, bildet den Schluss des interessanten
Zuges.
Doch folgen wir den Gläubigen, die wir eben Revue passiren
liessen, hinaus zum Lagerplatze. Schon auf dem Wege k an n
ein aufmerksamer Beobachter die Dahinziehenden in verschiedene
Categorien eintheilen. Den Einen liest man schon auf dem
Gesichte, dass es ihnen mit dem Gottesdienste, den sie besuchen
wollen, Ernst ist: sie gehen still und andächtig ihres Weges.
Dort besprechen Männer in eifrigem Gespräch irgend einen Kauf
oder ein Geschäft, und unter einer Gruppe van Frauen cirkulirt
irgend ein pikanter Stadtklatsch j®S$diese alle gehen hin, weil’s
Mode ist. Mit welchen Gedanken sich aber jene jungen dandies
und feinen ladies beschäftigen, das zeigt sich schon in der Art
und Weise, in der sie ihre eleganten Anzüge tragen, die besonders
Letztere durch graziöse Haltung noch mehr zur Geltung zu
bringen wissen; das zeigen auch die bedeutungsvollen Blicke
aus den grossen, schönen Feueraugen des zarten Geschlechts,
die mit denen des stärkern gewechselt werden. Wandelt sich’s
doch so schön in der kühlen Abenddämmerung, nachdem man
sich den Tag über die Kehle heiser gesungen und die Kniee
wund gekniet! Die Prediger aber in schwarzem Tuchrock und
tadelloser, • weisser Halsbinde, herbeigekommen von Nah und
Fern, um ihr Licht leuchten und ihre Stimme hören zu lassen,
sie mögen schon zum Voraus ihr oratorisches Talent bewundert
sehen. Wie Sturm und Ungewitter wollen sie während dieser
meeting-days auf die sündige Menge niedereifern, in den glühend