Als ich einmal auf meiner Rückkehr von der Jagd — wir
stationirten damals in Hokhie am Fisherman Lake — durch die
Negerstadt Buluma kam, wurde ich durch, eine Menge von Menschen
aufgehalten, die, jammernd und sich das Haar zerraufend,
wie toll herumliefen. Als ich nach der Ursache fragte, erhielt
ich endlich zur Antwort, dass des Königs (Häuptlings) älteste
Tochter im Sterben liege. Nachdem ich Flinte und Jagdtasche
meinem Jungen übergeben hatte, begab ich mich nach dem
Trauerhause. Man hatte die Sterbende nach Landessitte auf ihrer
niedrigen Bettstelle aus dem Hause unter einen offenen Schuppen
getragen, und rings um sie knieten schluchzende Frauen, die sie am
Kopfe und an den Händen festhielten. Nach einigen Augenblicken war
sie, die schon bei meiner Ankunft bewusstlos da lag, eine Leiche.
Das Geheul aber, welches nun entstand, diese Klagetöne zu beschreiben,
ist unmöglich. Wie toll stürzten sich die Frauen, händeringend
und mit hoch aufgehobenen Armen, mitten unter die
klagenden Zuschauer, und fielen laut schluchzend der ersten der
besten Person an die Brust; Andere wälzten sich auf der Erde
hei um, streuten Sand auf den Kopf, und die Sklavinnen rutschten
unter fast thierischem Geheul auf Händen und Knieen um
den Schuppen herum, in welchem die Todte ausgestreckt lag.
Ich konnte das Elend nicht länger mit ansehen und begab mich
zu dem Häuptling Soh Ka i , der, wie mir schien,- in stummem
Schmerze hinbrütend, das Gesicht in die Hände gestützt, abseits
in der Thüre seiner Hütte sass. Ich setzte mich zu ihm hin,
um ihm Muth einzusprechen und ihn zu trösten. Wie erstaunte
ich aber, als er mir, die Augen nach oben gewandt, in seinem
eigenthümlichen Englisch erwiederte, dass Gott seine Tochter zu
sich genommen habe und sie nun bei ihm im Himmel sei! Leider
wurde ich durch einen Fieberanfall verhindert, der kurz darauffolgenden
Todtenklage und dem Begräbniss beizuwohnen, und ich
berichte darum über eine andere Todtenklage, die kurz nachher
bei dem Tode eines Söhnchens des nämlichen Häuptlings Statt fand.
Diesmal war es still wie im Grabe, als ich durch die Stadt
kam. Wieder fand ich die ganze Einwohnerschaft auf dem öffentlichen
Platze oder besser unter den Schutzdächern (Palaverhütten),
die denselben umgaben, versammelt. Mitten auf dem Platze aber
lag, der heissen Mittagsonne ausgesetzt, die Leiche des etwa
sechsjährigen Knaben auf einer Matte und einigen Tüchern, den
Unterkörper mit einem weissen Shawl bedeckt, und auf der
blossen Brust ein offenes Messer. Neben ihm sassen auf der
Erde ein Mann und eine Frau, der Mann mit gekreuzten Beinen,
unbeweglich vor sich niederstarrend und mit einem dünnen
Stäbchen in langsamem Tempo auf den Rand eines messingenen
Kessels schlagend, den die Frau vor sich zwischen den gerade
ausgestreckten Beinen hielt. Der Mann sprach kein Wort, desto
mehr aber die Frau, die in klagendem Tone alle Tugenden des
kleinen Todten aufzählte und die rund herum im Schatten
der Häuser sitzenden, stummen Zuhörer aufforderte, Einsprache
zu erheben, wenn sie nicht die Wahrheit sage. „Ach,” fuhr sie
dann, als Niemand das Wort ergreifen wollte, zu der Leiche
gewendet fort, „wie konntest du so grausam sein, deinen Vater
zu verlassen und deine Mutter, du Sonne ihrer Tage, ihr Glück
und ihr Stolz! Ach, ihre Augen sind trübe und blind geworden
von dem vielen Weinen um dich, du Liebling ihrer Herzen.
Ach, wenn du doch reden könntest! Wenn du sagen könntest,
welcher Elende mit bösem Zauber dein junges Leben geraubt!
Komm her, du Zauberer, wo du auch sein mögest, und trinke,
wenn du den Muth hast, von diesem kony!” 1). Mit der Verwünschung
des bösen Zauberers und der Drohung, dass er seiner
Strafe nicht entrinnen werde, endete die rührende Klage, die
über eine Stunde gedauert und während welcher der Mann keinen
Augenblick versäumt hatte, in gleichmässigem Tempo mit
seinem Stäbchen an den Kessel zu schlagen, und die Versammlung,
welche während der ganzen Ceremonie die grösste Stille
beobachtet hatte, löste sich auf.
Ohne Zweifel ist diese Ceremonie als der Ueberrest der Gottes-
urtheile zu betrachten, wie sie früher nach dem Tode jedes Gliedes
einer Häuptlingsfamilie Statt fanden und von denen uns Dapper
viel zu berichten weiss. In alten Zeiten, und wahrscheinlich
auch jetzt noch, wurde jeder Todesfall dem Einflüsse irgend
') Die im Kessel enthaltene Flüssigkeit, die hei Beschwörungen und Orda-
lien angewandt wird, um den Schuldigen herauszufinden.
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