- 62 -
wollte, so würde man ihr entschieden Unrecht thun. Dies wusste
man in Liberia sehr wohl, und mit Recht sagt der damals in
Monrovia erscheinende Observer vom 23. März 1882: „Nicht dass
wir an der Rechtlichkeit der Engländer in England selbst zweifelten,
denn die ganze, diese Fragen betreffende Correspondenz
wird zeigen, dass jedesmal, wenn die Frage in Downing Street
besprochen wurde, man sich stets auf einen rechtlichen Standpunkt
stellte, und sowohl R oberts wie seine Nachfolger, die persönlich
mit dem britschen Ministerium unterhandelten, haben ohne
Ausnahme günstige Eindrücke von dem guten Willen der englischen
Minister, um das Richtige zu treffen, mitgebracht. Nur die
engherzige, eigennützige Politik von neidischen oder nach Gunst
strebenden Colonialbeamten, die bei ihrer Regierung die Verhältnisse
unrichtig darstellten, hat die nun so lange schwebende
Frage aufgeworfen und ihre friedliche Lösung jedesmal zu vereiteln
gewusst. Und unsere Meinung ist, dass auch diesmal die
Unterhandlungen kein befriedigendes .Resultat liefern werden,
wenn die Frage nicht einem gänzlich unparteiischen Schiedsgericht
unterworfen wird. Einem solchen uns zu unterwerfen wären
wir gerne bereit, so ungünstig dessen Urtheil auch für uns aus-
fallen möchte.”
Die Ansichten in Monrovia über diese Frage waren getheilt.
Während die eine Partei eine Besprechung der Frage einfach
verweigern und im Falle von gewaltsamer Besetzung der streitigen
Gebiete durch England feierlich dagegen protestiren wollte,
hielt es die andere für klüger, durch ein theilweises Nachgeben
wenigstens noch etwas zu retten. Sie glaubte mit Recht, dass
gegenüber dem gewaltigen England alle feierlichen Proteste nichts
helfen würden, und dass es keiner Macht einfallen könnte, ihr
Gewicht England gegenüber in die Wagschale zu werfen zur
Erhaltung, von liberianischen Provinzen, die dieses Land, wenigstens
vorläufig, doch sich selbst zu überlassen genöthigt sei.
Inzwischen ernannte Präsident Gardner Dr. E. W. B ly den,
Professor am Liberia College in Monrovia, und den Advokaten
W. M. Da v is als Commissäre, um mit Gouverneur H avelock
nach dessen Ankunft zu unterhandeln. Mr. A. B. King in Monrovia
wurde ihnen als Sekretär beigeordnet.
Der britische Gouverneur schien durch Machtentfaltung den
Liberianern imponiren zu wollen. Nicht nur blieb der nach Cape
Coast bestimmte „Pioneer” vom 29. Februar bis zum 9. März
vor Monrovia liegen, sondern es erschien bald darauf (9. März)
das von letzterm Platze kommende Kriegsschiff „Flirt” und setzte
erst zwei Tage später die Reise nach Sierra Leone fort. K a um
hatte auch der „Briton” die Rhede verlassen (19. März), als am
folgenden Tage früh morgens das Kanonenboot „Algerine”, Com-
mandant G. W. A l l e n , erschien1, und mit ihr die coloniale
Yacht „the Prince of Wales” welche den Gouverneur H avelock
mit seiner Frau und Kapitän J ackson, seinen Privatsekretär,
an Bord hatte.
Wer nun etwa geneigt wäre zu glauben, dass man sich in
Monrovia in Verlegenheit befunden hätte über die Weise, wie
ein so hoher Gast zu empfangen sei, der würde sich sehr irren.
Sobald der Präsident von der Ankunft des Gouverneurs unterrichtet
war, sandte er einen Offizier nach der Yachtr um demselben
seinen Willkommensgruss zu bringen und ihn an Land
zu begleiten. Bei seiner Ankunft wurde der Gouverneur von den
Höhen des Vorgebirges herunter mit 15 Kanonenschüssen begrüsst
und am Landungsplätze durch den Bürgermeister von Monrovia
und weitere Beamte im Namen der Stadt, bewillkommt und nach
dem Hause des Präsidenten {Executive Mansion) begleitet. Im
Parlor dieses Hauses wurde der Gouverneur dem Präsidenten
und dem Cabinet vorgestellt, und nachher erschienen die Vertreter
verschiedener fremder Regierungen und einzelne Notabi-
litäten von Monrovia, um dem Gouverneur ihre Aufwartung zu
machen. Nachdem die Gesellschaft Platz genommen hatte, wurde
an den hohen Gast durch den Staatsminister im Namen der
Regierung ein herzliches Wort des Willkomms gerichtet, welches
dieser auf ebenso höfliche Weise beantwortete.
Hierauf las der Gouverneur eine Cabinetsordre aus London
vor, die ihn zur Führung von Unterhandlungen mit der liberianischen
Regierung über gewisse Differenzen zwischen letzterer
und der Colonialregierung von Sierra Leone ermächtigte und
präsentirte seine Vollmachten als englischer Consul bei der
liberianischen Regierung. Nach Ablauf dieser Formalitäten nahm